Medical Tribune
18. Feb. 2024Individuell und symptomorientiert: körperliches Training muss sitzen wie ein Anzug

Besonders Brustkrebs-Patientinnen sollten in Bewegung bleiben

Tumorpatienten sollten sich nicht schonen, sondern im Gegenteil körperlich aktiv bleiben. Doch wie viel Bewegung ist ausreichend und welches Training ist das richtige? Ein Experte gibt Antworten.

Eine reife ältere Frau wandert zufrieden durch einen Wald.
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Zügiges Gehen als Ausdauertraining tut im Wald besonders gut.

"Der sedentäre Lebensstil setzt pathophysiologische Mechanismen in Gang, und führt zum Tumorwachstum", sagt Professor Dr. Martin Halle von der Technischen Universität München (1). Im Gegensatz dazu hat körperliches Training viele positive Auswirkungen.

Brustkrebspatientinnen oft dekonditioniert

Zu den vorteilhaften Auswirkungen von Sport bei Krebspatienten zählen

  • die Verbesserung der Stoffwechselsituation
  • die Mobilisierung von Immunzellen aus dem Knochenmark
  • die erhöhte Produktion von Antioxidanzien durch wiederholtes Training und
  • der positive Einfluss auf das Herz.

Die positiven Auswirkungen auf das Myokard sind insbesondere im Zusammenhang mit der Prävention von Herztoxizität durch eine Anthrazyklintherapie von Bedeutung, betont Prof. Halle.

Brustkrebspatientinnen sind dabei oft in einem schlechten körperlichen Zustand. Über den gesamten Krankheitsverlauf hinweg wird eine deutliche Einschränkung der maximalen Sauerstoffaufnahme und damit der Leistungsfähigkeit beobachtet. "Im Prinzip haben wir 40-jährige Patienten, die mit gesunden 70-jährigen Personen vergleichbar sind", resümierte Prof. Halle. Dies liegt auch daran, dass die Betroffenen tendenziell mehr Fettgewebe in der Muskulatur einlagern und Muskelmasse verlieren.

Intensivere Bewegung senkt die Gesamtmortalität

Eine Studie aus dem Jahr 2022 ergab, dass 15 bis 20 Minuten intensivere körperliche Aktivität (vigorous physical activity, VPA; «bei der man etwas aus der Puste kommt») pro Woche die Mortalität jeglicher Ursache um 18 bis 24 Prozent verringern können. Die optimale Dosis lag bei 50 bis 75 Minuten pro Woche.

Zwei maximal zwei­minütige Einheiten pro Tag verringerten dabei die kardiovaskuläre Mortalität. Auch die Inzidenz an Tumorerkrankungen und die krebsassoziierte Mortalität sanken durch VPA, Letztere um etwa zwei Drittel.

«Es geht also darum, Patientinnen an eine intensivere Belastung heranzuführen, wohl wissend, dass deren maximale Belastung deutlich reduziert ist», stellt Prof. ­Halle fest. Aus diesem Grund können die Betroffenen nicht einfach an normalen Sportgruppen teilnehmen, das wäre zu viel.

Es ist hingegen entscheidend, den aktuellen Zustand zu erfassen, und dann ein individuelles Training zu entwerfen. Dabei geht es nicht um 30 Minuten pro Woche; schon 10 Minuten VPA pro Woche führten in der Studie immerhin bereits zu einer deutlichen Reduktion von Krebsinzidenz und krebsassoziierter Mortalität.

«Es geht darum, kurze körperliche Aktivität, also die Belastung der Muskulatur, zu induzieren. Wenn Sie Ihren Patientinnen sagen, eine Minute intensivere Kurzbelastung und das öfter pro Tag, dann sind Sie auf dem richtigen Weg», erklärt Prof. Halle.

Bei der Erstellung eines individuell angepassten Trainingsplans für Erkrankte, die sich in Therapie befinden, ist auch die Zielsetzung des Trainings wichtig. Möchte man Symptome wie Fatigue verbessern, die Leistungsfähigkeit steigern oder die Prognose beeinflussen?

Ein weiteres Ziel ist die Prävention von kardiovaskulären Erkrankungen. Eine grosse Studie ergab, dass der Nutzen körperlicher Aktivität umso grösser war, je häufiger moderates bis intensiveres Training pro Woche durchgeführt wurde.

Bei höherer Intensität kann die Dauer der körperlichen Aktivität kürzer sein, bei geringerer Intensität muss länger trainiert werden. Es sollte jedoch nicht zu viel sein, denn für Krebspatienten ist Regeneration entscheidend. Ein optimales Training findet daher jeden zweiten Tag statt. Die Patientinnen sollten also nicht versuchen, mit Sport gegen Fatigue oder Abgeschlagenheit anzukämpfen.

Trainieren auch unter Anthrazyklintherapie

"Ärzte sind oft sehr vorsichtig, wenn es um Bewegung bei Anthrazyklinen geht", stellt der Referent fest. Die randomisierte BREXIT-Studie in Australien untersuchte, ob zwölf Monate körperliches Training den Funktionsverlust durch die Behandlung mildern, die kardiorespiratorische Fitness verbessern und eine kardiale Dysfunktion verhindern können.

Die Studie verfolgte einen individualisierten Ansatz: Wenn die Teilnehmer Chemotherapie erhielten, wurde die Intensität reduziert. Das Gleiche galt, wenn Fatigue auftrat. Bei einer Kortisonbehandlung erhöhten die Studienautoren jedoch die Intensität. Über die zwölf Monate hinweg nahm in der Kontrollgruppe die kardiale pulmonale Leistungsfähigkeit ab, ebenso wie die Pumpfunktion des linken Ventrikels und die Koordination. In der Trainingsgruppe verbesserten sich dagegen die maximale Sauerstoffaufnahme sowie die Ejektionsfunktion des linken und rechten Ventrikels, die Funktionsparameter blieben gleich.

Abschliessend betonte Prof. Halle, wie wichtig es ist, auch Koordination und Muskelkraft zu trainieren. Dies kann bereits durch kurze Belastungen und mehrmals täglich wiederholte Übungen wie das Aufstehen vom Stuhl, das Sitzen an der Wand oder das Stehen auf einem Bein mit geschlossenen Augen erreicht werden. Diese Übungen sollten zwei Drittel des Trainings ausmachen, das verbleibende Drittel sollte ein individuelles Ausdauertraining sein. Eine Faustregel lautet: Die Patientinnen sollten etwas ausser Atem kommen. Als Beispiel nennt Prof. Halle fünf Minuten zügiges Gehen, dann eine Pause oder langsames Gehen, dann wieder fünf Minuten zügiges Gehen.

Bewegung muss integraler Bestandteil von Therapiekonzepten sein

Alle anwesenden Experten waren sich einig, dass körperliches Training ein Standard und integraler Bestandteil onkologischer Therapiekonzepte sein muss. Es geht nicht mehr darum, ob Bewegung in die Versorgungsroutine gehört, sondern nur noch darum, wie er umgesetzt werden kann.