Medical Tribune
8. Juni 2023Krankhafte Erschöpfung

Fünf Fallen bei der Diagnose der Fatigue

Die Fatigue macht es allen schwer, die damit zu tun haben: Patienten büssen massiv an Lebensqualität ein und Ärzte haben Probleme, die Erkrankung zu erkennen und zu managen. Insbesondere fünf Fehler gilt es zu vermeiden.

Patienten mit Fatigue wird oft eine Dekonditionierung unterstellt.
MissTuni/gettyimages

Obwohl viele Patienten unter einer Fatigue leiden, wurde die Erkrankung lange Zeit nicht ernst genommen. Durch Long Covid hätten nun auch Diskussion und Berichterstattung rund um das Thema Auftrieb bekommen, meint Professor Dr. ­Gabriela ­Riemekasten von der Klinik für Rheumatologie und klinische Immunologie am Uniklinikum Schleswig-Holstein, Standort Lübeck (1).

Auch die Forschung zur krankhaften Erschöpfung nimmt Fahrt auf. Erfahrungen mit ­Long Covid und neue Erkenntnisse zu myalgischer Enzephalo­myelitis bzw. chronischem Fatigue-Syndrom (ME/CFS) helfen dabei, typische Fallen beim Management dieser komplizierten Erkrankung zu vermeiden. Fünf davon zählte die Expertin auf.

Falle 1: Alle Patienten über einen Kamm scheren

Fatigue ist nicht gleich Fatigue, betont die Expertin. Denn es gibt viele Formen dieser Erkrankung. Sie kommt sowohl im Rahmen einer postviralen Rekonvaleszenz als auch im Zusammenhang mit schweren Erkrankungen (Malignome, Auto­immunerkrankungen usw.) vor.

Eine weitere Variante ist das posturale Tachykardie­syndrom als Form einer Fatigue mit Zeichen der orthostatischen Intoleranz. Immer prominenter wird zudem die ME/CFS als anhaltende Fatigue mit Belastungs­intoleranz und weiteren neuro­kognitiven Beschwerden wie ­Brainfog und Schmerzen. Die richtige diagnostische Zuordnung ist nötig, um die Erkrankung erfolgreich zu managen.

Falle 2: Sich auf Laborwerte verlassen

Oft werden bei Patienten mit Verdacht auf Fatigue reihenweise Labor­untersuchungen durchgeführt. Sind diese unauffällig, schliesst man da­raus schnell, dass körperlich alles in Ordnung ist und die Beschwerden psychisch bedingt sind. Doch das ist ein Fehlschluss, stellt Prof. Riemekasten klar.

Normale Laborwerte schliessen eine ME/CFS nicht aus. Tatsächlich gibt es sogar Marker für die Fatigue, allerdings sind diese nicht trivial. So kann man anhand einer Proteosom-Analyse aus dem Liquor Patienten mit starker und geringer Fatigue voneinander unterscheiden.

Falle 3: Beschwerden der Patienten bagatellisieren

Wenn Patienten berichten, dass sie sich ohne vorangegangene Anstrengung geistig und körperlich abgeschlagen fühlen und ihre Erschöpfung durch Schlaf nicht besser wird, nehmen Ärzte dies oft nicht ernst. Sie vertreten die Meinung, dass Müdigkeit und Schlappheit weit verbreitet sind, und raten zu Psychohygiene und Training. Das ist ein Fehler, sagte Prof. Riemekasten. Denn auf diese Weise werden sowohl die Diagnose als auch die leitliniengerechte Behandlung der Fatigue versäumt.

Der Rat zu körperlichem Training ist für viele Fatigue-Patienten sogar fatal: Anstrengung führt bei ihnen oft zu einer massiven Verschlechterung der Beschwerden, die teilweise über mehrere Tage anhält. Diese auch post-exertionelle Malaise (PEM) genannte Belastungsintoleranz wird nicht nur durch körperliche, sondern auch durch emotionale, kognitive oder orthostatische Belastungen ausgelöst

Falle 4: Dem Patienten mangelnde Kondition unterstellen

Viele Kollegen glauben, dass die Betroffenen sich hängen lassen und die Ursache ihrer Fatigue mangelnde Kondition ist. Das ist Unsinn, stellte Prof. Riemekasten klar. Studien haben inzwischen eindeutig gezeigt, dass Gesunde und ­ME/CFS-Patienten ganz unterschiedlich auf körperliche Belastung reagieren. Nach Ergome­trie kommt es z.B. bei Gesunden zu einem Überschiessen verschiedener Metaboliten im Urin. Bei Fatigue-Patienten ist dies nicht der Fall.

Falle 5: Die Fatigue als Depression oder Burn-out verkennen

Fatigue und Schlafstörungen sind tatsächlich sowohl bei der Depression als auch bei der ME/CFS zentrale Beschwerden. Trotzdem unterscheiden sich die Erkrankungen. Patienten mit Depression oder Burn-out leiden unter Antriebsarmut. ME/CFS-Patienten müssen sich dagegen oft aktiv bremsen, um sich in ihren besseren Phasen nicht zu überlasten und eine PEM zu riskieren.

Ausserdem geht es depressiven Patienten nach körperlicher Aktivität oft besser. Bei Patienten mit ME/CSF verschlechtert sich der Zustand eher.