So diagnostiziert und korrigiert man Hyperkalzämie und Hypokalzämie
Die Kalziumhomöostase ist ein komplexer Regelkreis, der bei Störungen zu Krampfanfällen, Herzrhythmusstörungen oder Koma führen kann. Das Parathormon spielt dabei eine wichtige Rolle bei der Diagnose. Die Behandlung richtet sich nach der Ursache.
Ein Erwachsener hat etwa ein Kilogramm Kalzium im Körper, wovon 99 Prozent für die Stabilität von Zähnen und Knochen sorgen. Den Rest benötigt der Körper für verschiedene Prozesse, wobei konstante Kalziumkonzentrationen im Blut erforderlich sind.
Abweichungen von der Kalziumhomöostase (Hyperkalzämie bzw. Hypokalzämie) sind jedoch recht häufig, wie Professor Dr. Markus Ketteler vom Robert Bosch Krankenhaus in Stuttgart in seiner Übersichtsarbeit berichtet (1).
Bei jedem 100. Patienten lässt sich eine Hyperkalzämie nachweisen
Bei etwa jedem 100. Patienten im Krankenhaus kann eine Hyperkalzämie (Gesamtkalzium > 2,65 mmol/l) festgestellt werden. Diese macht sich jedoch nur klinisch bemerkbar, wenn sie stark ausgeprägt ist. Symptome können Muskelschwäche, Ängstlichkeit, Depressionen und kognitive Beeinträchtigungen sein, in manchen Fällen kann es auch zu Delirium oder Koma kommen.
90 Prozent der Hyperkalzämien werden durch Hyperparathyreoidismus (HPT) oder Tumorerkrankungen verursacht, für die restlichen Fälle kommen verschiedene andere Auslöser infrage (siehe Kasten).
Ursachen für Hyperkalzämie
- primärer Hyperparathyreoidismus
- Tumorerkrankungen (z.B. Knochenmetastasen, Plasmozytom)
- genetische Ursachen
- Medikamente (Thiazide, Lithium, Teriparatid)
- schwere Hypervitaminose A
- protrahierte Immobilisation
Um die genaue Ursache zu bestimmen, kann das Labor helfen. Bei erhöhtem Gesamtkalzium sollte die Hyperkalzämie zunächst durch die Bestimmung des ionisierten Kalziums bestätigt werden. Alternativ kann auch das Serumalbumin zur Korrektur herangezogen werden (korrigiertes Kalzium = gemessenes Kalzium [mmol/l] – 0,25 x Albumin [g/l] + 1). Bleibt der Kalziumwert weiterhin pathologisch, misst man für die weitere Ursachenabklärung das Parathormon (PTH).
Bei einem hochnormalen oder erhöhten PTH-Wert kann die Kalziumkonzentration im 24-Stunden-Sammelurin zwischen primärem HPT und familiärer benigner hypokalziurischer Hyperkalzämie (FHH) unterscheiden. Wenn das PTH erniedrigt ist, sind weitere Laboruntersuchungen erforderlich.
Schwere Hyperkalzämie erfordert forcierte Diurese
Sind das Vitamin D und seine Metaboliten normal, und das PTHrp (parathormonverwandtes Peptid) erhöht, empfiehlt sich eine Suche nach Tumoren. Eine Erhöhung von 25D deutet auf eine Vitamin-D-Überdosierung hin, während zu viel 1,25D auf Erkrankungen wie Sarkoidose, Tuberkulose oder Lymphom hinweisen kann.
Die Behandlung der Hyperkalzämie hängt vom Schweregrad ab. Bei leichter bis mässiger Hyperkalzämie ist zunächst die Ursache zu behandeln und kalzitrope Medikamente wie Vitamin-D-Derivate abzusetzen. Bei schwerer Hyperkalzämie ist eine verstärkte Diurese mit isotonischer Kochsalzlösung erforderlich. Wenn dies aufgrund von Herzinsuffizienz oder Nierenversagen nicht möglich ist, können Hämo- und Peritonealdialyse in Betracht gezogen werden.
Je nach Fall können auch kalzitrope Medikamente wie Calcitonin eingesetzt werden, um die Aktivität der Osteoklasten zu hemmen und die Kalziumausscheidung zu fördern. Tumorbedingte Hyperkalzämien sprechen langfristig gut auf Antiresorptiva wie Bisphosphonate und Denosumab an. Bei granulomatösen Erkrankungen werden in der Regel Glukokortikoide eingesetzt, um die endogene Vitamin-D-Aktivierung und die Kalziumaufnahme im Darm zu hemmen.
Besteht ein primärer HPT oder ein Nebenschilddrüsenkarzinom, lässt sich das Kalzium langfristig mit dem Kalziummimetikum Cinacalcet senken. Dies ist vor allem bei mässiger Hyperkalzämie und asymptomatischen Verläufen der Fall. In anderen Fällen besteht die kausale Therapie in einer chirurgischen Entfernung der Nebenschilddrüsen (Parathyreoidektomie).
Hypokalzämien: Meist ist ein Mangel an Parathormon schuld
Hypokalzämien (Serumkalzium < 2,2 mmol/l) sind häufiger als Hyperkalzämien. Sie entstehen meist durch einen Mangel an PTH, wobei in 75% der Fälle eine Parathyreoidektomie die Ursache ist. Die zweithäufigste Ursache ist ein Vitamin-D-Mangel. Seltener treten Hypokalzämien aufgrund genetischer, autoimmuner oder septischer Faktoren auf (siehe Kasten).
Mögliche Ursachen für die Hypokalzämie
- Hypoparathyreoidismus
- Vitamin-D-Mangel
- Niereninsuffizienz
- autoimmune polyglanduläre Syndrome
- genetische Ursachen (Parathyreoideahypoplasie, autosomal-dominante Hypokalzämie)
- PTH-Resistenz bei Hypomagnesiämie und Pseudohypoparathyreoidismus
- Tumorlyse-Syndrom, akute Pankreatitis, osteoblastische Metastasen, Sepsis
- Medikamente wie Bisphosphonate, Kalzimimetika, Komplexbildner und Phenytoin
Leichte Hypokalzämien verlaufen in der Regel ohne Symptome. Wenn der Kalziumwert jedoch stark abfällt, können Kribbeln in den Fingerspitzen und im Mundbereich auftreten, und tetanische Krampfanfälle sind möglich. Bei Verdacht können die Trousseau- und Chvostek-Zeichen helfen. Ein EKG ist immer erforderlich, da bei Hypokalzämien Herzrhythmusstörungen auftreten können (QT-Verlängerung).
Das PTH ist diagnostisch wegweisend. Niedrige Werte deuten auf einen primären oder sekundären Hypoparathyreoidismus hin, während hochnormale oder erhöhte PTH-Werte auf einen Vitamin-D-Mangel, eingeschränkte Nierenfunktion oder Pseudohypoparathyreoidismus hinweisen.
Aktive Vitamin-D-Analoga für chronisch Nierenkranke
Die Therapie erfolgt durch Kalziumsubstitution. Wenn der Kalziumwert über 1,75 mmol/l liegt, wird eine orale Kalziumgabe und eine Korrektur des Vitamin-D-Status empfohlen. Bei Kalziumwerten unter 1,75 mmol/l und begleitenden Symptomen wird eine parenterale Substitution durchgeführt, zunächst mit 1-2 g Kalziumgluconat über 20 Minuten, gefolgt von einer Dauerinfusion mit ca. 1 mg Kalzium/kg/h. Nach Erreichen eines Kalziumwerts von 1,9 mmol/l kann auf orale Kalziumsubstitution umgestellt werden.
Kalziumsenkende Medikamente sollten grundsätzlich abgesetzt werden, jedoch ist bei Bisphosphonaten oder Denosumab kein schneller Effekt zu erwarten.
Die Korrektur des Vitamin-D-Status erfolgt je nach Ursache. Ein Vitamin-D-Mangel ist in der Regel mit Vitamin D3 zu behandeln, wobei die Dosierung von der gewünschten Geschwindigkeit der Korrektur abhängt. Bei chronischer Nierenerkrankung können auch aktive Vitamin-D-Analoga wie Calcitriol, 1a-Calcidiol und Paricalcitol eingesetzt werden.
Für Patienten mit primärem Hypoparathyreoidismus gab es früher ein rekombinantes PTH. Dieses wurde jedoch aufgrund von Herstellungsproblemen vom Markt genommen. Derzeit befinden sich Nachfolgepräparate in klinischer Prüfung.
Notfall hyperkalzämische Krise
Bei einem Serumkalzium über 3,5 mmol/l und assoziierten Symptomen liegt eine hyperkalzämische Krise vor. In diesem Fall muss parallel zur Volumenexpansion Calcitonin s.c. oder i.m. verabreicht werden. Es hemmt die Osteoklasten innerhalb von vier bis sechs Stunden und kann alle sechs bis zwölf Stunden wiederholt gegeben werden.
Zu beachten ist, dass Calcitonin nach etwa zwei Tagen aufgrund einer Rezeptor-Down-Regulation unwirksam wird. Parenterale Bisphosphonate wirken erst nach etwa 24 Stunden, Denosumab braucht mit vier bis zehn Tagen noch länger für einen Effekt. Glukokortikoide sind Mittel der Wahl, wenn die hyperkalzämische Krise durch Vitamin-D-Überdosierung oder granulomatöse Erkrankungen ausgelöst wurde.
- Ketteler M. Hyper- und Hypokalzämie: Was gibt es zu beachten? [Hyper- and hypocalcemia: what should you watch out for?]. Dtsch Med Wochenschr. 2024 Feb;149(3):79-85. German. doi: 10.1055/a-2055-3442