Chronische Schmerzen lassen das Gehirn schneller altern
Chronische Schmerzen im Bewegungsapparat sind möglicherweise nicht nur unangenehm, sondern könnten über körperliche Beschwerden hinausgehen. Neue Forschungsergebnisse zeigen, dass der chronische Schmerz auch die Hirnalterung beschleunigen kann.
Die Autoren der Studie im Journal Nature Mental Health nutzten eine Kombination aus Magnetresonanztherapie (MRT)-Daten und maschinellem Lernen, um das Hirnalter von Patienten mit ihrem chronologischen Alter zu vergleichen.
Dabei sahen sie, dass das Gehirn von Patienten mit Kniearthrose (Gonarthrose) deutlich schneller alterte als bei gesunden Probanden. In einer Längsschnittuntersuchung gingen die Gehirnveränderungen ausserdem mit vermehrtem Gedächtnisverlust und einem höheren Demenzrisiko einher.
Hirn von Gonarthrose-Patienten altert schneller
Rund 40 Prozent der Menschen leiden weltweit unter chronischen muskuloskelettalen Schmerzen. Diese wirken sich nachweislich auf die kognitive Funktion aus – so entwickeln Betroffene etwa häufiger eine Demenz.
Eine nun veröffentlichte Untersuchung könnte mehr Klarheit über die Mechanismen bringen, die zu dem kognitiven Abbau der Patienten führen. Die Forscher nutzten dabei die Strukturdaten aus den MRTs von rund 6.700 gesunden Erwachsenen in zwei britischen Kohorten. Daraus entwickelten sie mittels maschinellem Lernen ein Modell, um das Hirnalter eines Patienten mit seinem chronologischen Alter zu vergleichen («vorhergesagte Altersdifferenz»).
Um festzustellen, welche Schmerztypen Einfluss auf die Hirnalterung ausüben, zogen sie im Anschluss die Gehirnscans von Patienten mit den folgenden Erkrankungen heran:
- Chronische Knieschmerzen
- Chronische Rückenschmerzen
- Chronische Nackenschmerzen
- Chronische Hüftschmerzen
Verglichen mit gesunden Kontrollen hatten Patienten mit chronischen Knieschmerzen statistisch signifikante Abweichungen von der vorhergesagten Hirnalterung. Eine genauere Analyse zeigte, dass die vorzeitige Hirnalterung auf Patienten mit Gonarthrose beschränkt waren. Das Ergebnis war dabei unabhängig von anderen Merkmalen wie Geschlecht, Medikation, Komorbiditäten und Bildungsniveau.
Chronische Schmerzen trieben auch kognitiven Verfall voran
In einer Längsschnittkohorte mit 43 Patienten mit Gonarthrose evaluierten die Forscher die MRTs nach fünf Jahren erneut. Sie sahen, dass die Gehirnalterung nach dieser Zeit deutlich schneller vorangeschritten war, als bei Gesunden zu erwarten gewesen wäre.
Zudem gingen die strukturellen Gehirnveränderungen mit einer Abnahme der Gedächtnisfunktion (nach altersbereinigtem Wechsler Memory Scale) innerhalb der fünfjährigen Nachbeobachtung einher, und war mit höheren Werten in einem Demenz-Screening (AD8) verbunden.
Was steckt hinter der beschleunigten Alterung?
Während sich die Struktur des Gehirns mit zunehmendem Alter auch bei Gesunden progressiv verändert, gehen diese Prozesse bei einigen Menschen schneller vonstatten. Dahinter können z.B. eine genetische Veranlagung oder bestimmte Pathologien stecken. Frühere Forschungsergebnisse deuten etwa darauf hin, dass die systemische Entzündung bei Menschen mit chronischen Schmerzen auch vor dem Gehirn nicht Halt macht.
In der vorliegenden Arbeit fanden die Forscher strukturelle Gehirnveränderungen hauptsächlich im Hippocampus, einer Schlüsselregion des Gehirns, in der die kognitive Verarbeitung stattfindet. Darüber hinaus sahen sie, dass Patienten mit Gonarthrose häufiger als Gesunde Mutationen im Gen SLC39A8 trugen. Dieses war in makroskopischen Strukturen, die typischerweise von Hirnalterung bei Gonarthrose-Betroffenen verändert waren, stärker exprimiert, und wird hauptsächlich von Gliazellen und Astrozyten gebildet.
Die Forscher vermuten daher, dass die Beschleunigung der Hirnalterung bei Gonarthrose auch bis zu einem gewissen Grad erblich sein könnte.
Gedächtnistraining für Schmerzpatienten?
Auf Basis der Ergebnisse könnte es daher sinnvoll sein, Patienten mit chronischen Schmerzen zu Massnahmen zu ermutigen, die die kognitive Funktion unterstützen. Dazu gehören etwa Bewegung, eine gesunde Ernährung und ausreichend kognitive Stimulation zur Senkung des Demenzrisikos.
- Zhei L et al. Morphological and genetic decoding shows heterogeneous patterns of brain aging in chronic musculoskeletal pain. Nature Mental Health 2024 (2), 435-449. doi: 10.1038/s44220-024-00223-3