Medical Tribune
17. Nov. 2023Gute Aussichten für Patienten mit Sichelzellanämie und Beta-Thalassämie

Erste CRISPR-Gentherapie exa-cel zugelassen

Mitte November 2023 hat Grossbritannien die erste Therapie auf Basis der Genschere CRISPR/Cas zugelassen. Bei exa-cel handelt es sich um eine Therapie für die Sichelzellanämie und Beta-Thalassämie. Bei aller Würdigung des medizinischen Durchbruchs bemängeln Experten unklare Langzeitnebenwirkungen und hohe Preishürden.

Mit der Gentherapie exa-cel kann die normale Funktion von Erythrozyten bei Hämoglobien wieder hergestellt werden.
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Sowohl bei der Sichelzellanämie als auch bei der Beta-Thalassämie liegen Mutationen des Beta-Globingens vor, die die Synthese der korrekten Form von Hämoglobin verhindern und zu einer verminderten Funktion des Blutfarbstoffs führen (siehe Kasten).

Eine nun von der britischen Regulierungsbehörde für Arzneimittel und Gesundheitsprodukte MHRA zugelassene Gentherapie soll die Auswirkungen der beiden Hämoglobinämien verhindern. Bei dem Genprodukt «Exagamglogene autotemcel (exa-cel handelt es sich damit um die erste zugelassene Therapie auf Basis der Genschere CRISPR/Cas (1).

Fetales Hämoglobin reaktiviert

Bei der Therapie mit dem CRISPR-basierten Konzept exa-cel handelt es sich nicht um Genreparatur im eigentlichen Sinne. Stattdessen werden die Gendefekte der Sichelzellanämie und der Beta-Thalassämie umgangen, indem man in den blutbildenden Stammzellen das normalerweise im Neugeborenenalter stillgelegte Gen für das fetale Hämoglobin (HbF) wieder aktiviert.

Fetales Hämoglobin besitzt eine höhere Sauerstoffaffinität, was im Mutterleib die Sauerstoffaufnahme des Fötus erleichert. Nach der Geburt wird die Produktion von fetalem Hämoglobin zugunsten des regulären Hämoglobin A unterdrückt.

Wie läuft die Behandlung mit exa-cel ab?

Für die Behandlung erhalten Patienten zunächst Medikamente die zur Mobilisierung hämatopoetischer Stammzellen in das Peripherblut führen, wo diese anschliessend entnommen werden. In vitro wird dann in den Stammzellen mit der Genschere CRISPR/Cas gezielt ein Gen zerstört, das normalerweise die andauernde Ablesung des fetalen Hämoglobingens hemmt.

Können im Labor genügend modifzierte Stammzellen hergestellt werden, erhält der Patient eine hochdosierte Chemotherapie, um die verbleibenden fehlerhaften Stammzellen zu eliminieren. Anschliessend werden ihm die modifizierten Stammzellen zurück verabreicht. Ein Teil von ihnen besiedelt dann das Knochenmarkt und bildet eine langfristige Quelle für Erythrozyten mit fetaler Hämoglobin-Produktion. Diese verdünnen die fehlerhaften Formen des Hämoglobins und ermöglichen den Erythrozyten somit eine normale Funktion.

Gentherapie umgeht bisherige Therapienebenwirkungen

Prof. Dr. Semin Corbacioglu, Leiter der Abteilung für Pädiatrische Hämatologie, Onkologie und Stammzelltransplantation, Universitätsklinikum Regensburg, führt in seinem Zentrum schon jetzt kurative Behandlungen von Hämoglobinopathie-Patienten durch. Für ihn besteht der Hauptvorteil der Gentherapie darin, dass es, anders als bei der Stammzelltransplantation, mit exa-cel nicht zu einer Abstossung des Transplantates und zur Graft-versus-Host-Erkrankung kommt, da es sich um ein autologes Transplantat handelt (2). «In den aktuellen Studien der Hersteller benötigte ein Grossteil der Probanden mit Beta-Thalassämie am Ende des Studienzeitraums keine Bluttransfusionen mehr beziehungsweise hatten Sichelzellpatienten auch keine Schmerzkrisen mehr» fügt er an.

Bislang, so kritisiert er aber, sei der bislang rund vier Jahre umfassende Nachbeobachtungszeitraum der Studien noch vergleichsweise kurz. Das spätere Auftauchen von Nebenwirkungen sei daher weiterhin denkbar. «Ausserdem wissen wir nicht, ob die Patienten womöglich nach einigen Jahren plötzlich doch wieder Transfusionen benötigten oder Schmerzkrisen bekommen, weil die Zellen verschwunden sind.»

Extreme Aufwände und Kosten

«Die Herstellung der modifizierten Stammzellen ist komplex, erfordert eine aufwendige Logistik und benötigt Ressourcen, die dazu führen, dass der Prozess nicht unbegrenzt skalierbar ist», warnt zudem PD Dr. Joachim Kunz, Oberarzt der Klinik für pädiatrische Onkologie, Hämatologie und Immunologie sowie ärztlicher Leiter der Spezialsprechstunde für seltene Anämien und Hämoglobinkrankheiten, Universitätsklinikum Heidelberg.

Mehr als zwei Millionen Euro soll die Therapie pro Patienten kosten. Zum Vergleich: Eine Stammzelltransplantation liegt bei maximal 300.000 Euro. Eine pauschale Anwendung bei allen in Frage kommenden Patienten sei derzeit also unrealistisch. Für beide Experten ist klar, dass die CRISPR-Therapie vorerst nur wenigen Patienten pro Jahr zur Verfügung stehen wird.

In der EU und den USA mögliche Zulassung diskutiert

Auch die US-Arzneimittelbehörde FDA hat für die Sichelzellanämie bereits eine Entscheidung für den 8. Dezember angekündigt. Anfang Oktober hatte das FDA-Beratungsgremium bereits die Sicherheit und den klinischen Nutzen der Therapie betont (3). Über den Einsatz der Therapie gegen die Beta-Thalassämie soll ausserdem im Frühjahr 2024 entschieden werden. Bei der europäischen Arzneimittelagentur EMA läuft derzeit noch ein Bewertungsverfahren (4).

Das Genprodukt, das nun in Grossbritannien unter dem Handelsnamen Casgevy zugelassen ist, wurde von den Zulassungsinhabern Vertex Pharmaceuticals und CRISPR Therapeutics zwar nur in relativ kleinen Zulassungsstudien getestet, die nur wenige Patienten einschlossen. Diese erzielten jedoch vielversprechende Ergebnisse (4,5). Im Fokus der Arzneimittelbehörden stehen derweil Bedenken, inwieweit durch die CRISPR-Technik auch unbeabsichtigt weitere Genabschnitte verändert werden können. Dass dies grundsätzlich möglich ist, haben Studien bereits gezeigt (8).

Sichelzellanämie und Beta-Thalassämie betrifft weltweit Hunderttausende

Insbesondere die Sichelzellanämie kann für Patienten lebensbedrohlich verlaufen. Aufgrund einer Punktmutation im Beta-Globingen wird bei Betroffenen das normale Hämoglobin A durch abnormales Hämoglobin S ersetzt, und die Erythrozyten nehmen eine atypische Sichelform an.

Dies führt zur Funktionseinschränkung der roten Blutkörperchen, was mit Schmerzen, Anämien, Thrombosen und Organschäden verbunden ist. Die einzige nachhaltige Therapie besteht bislang in einer Stammzelltransplantation. Jährlich werden rund 400.000 Neugeborene mit Sichelzellanämie diagnostiziert, davon befinden sich 80 Prozent in Afrika. Die Häufigkeit der genetischen Mutation ist eng mit der Verbreitung von Malaria verbunden (6). In der Schweiz ist die Erkrankung bei rund 200 Personen bekannt.

Für die Beta-Thalassämie ist ebenfalls ein Gendefekt im Beta-Globingen verantwortlich. Die Erkrankung kann zu unterschiedlich stark ausgeprägten Anämien führen. Patienten mit schwerer Erkrankung benötigen häufig regelmässige Bluttransfusionen, sowie lebenslang Injektionen und Medikamente. Die Beta-Thalassämie betrifft hauptsächlich Menschen mediterraner, südasiatischer und nahöstlicher Herkunft. Die jährliche Inzidenz beträgt weltweit rund 1:100.000, und in der EU 1:10.000 (7).