EORA: Wenn Senioren die Gelenke schmerzen
Eine rheumatoide Arthritis kann sich auch noch im hohen Alter entwickeln. Die späte Manifestation (Elderly Onset Rheumatoid Arthritis, EORA) zu erkennen und die Diagnose zu stellen, wird allerdings durch verschiedene Stolperfallen erschwert.
Die höchste Prävalenz und Inzidenz hat die rheumatoide Arthritis (RA) zwar bei Menschen fortgeschrittenen Alters.
Doch bei ihnen treten auch viele andere Krankheiten mit Gelenkbeschwerden auf. Die grosse Zahl möglicher Differenzialdiagnosen mit RA-ähnlichen Beschwerden ist deshalb bei alten Patienten die erste diagnostische Hürde, die genommen werden muss, betont PD Dr. Björn Bühring, Chefarzt der Klinik für Internistische Rheumatologie am Krankenhaus St. Josef in Wuppertal (1).
Rheumadiagnose wird inflationär gestellt
«Denn auch wenn etwas quakt, schwimmt und aussieht wie eine Ente, muss es keine Ente sein», beschreibt Dr. Bühring das Dilemma. Als wichtigste Differenzialdiagnosen nennt er
- Arthrose,
- Polymyalgia rheumatica,
- RS3PE-Syndrom,
- Kristallarthropathien,
- Malignome und paraneoplastische Arthritis.
Wie vorschnell Gelenkbeschwerden bei Patienten über 65 Jahre als RA oder Arthritis bezeichnet werden, verdeutlicht eine US-amerikanische Untersuchung. Dieser zufolge hatten knapp 58,5 Mio. Erwachsene von ihrem Arzt Rheuma attestiert bekommen – entweder als RA, Arthritis, Gicht, Fibromyalgie oder Lupus. Das sind knapp 23 Prozent der US-Bevölkerung! Von den über 65-Jährigen sollten danach sogar knapp 50 Prozent an «Rheuma» leiden.
Tatsächlich sind dies jedoch bedeutend weniger, hinsichtlich der RA z.B. nur 0,6 bis ein Prozent, erklärt der Rheumatologe. Hinter der vom Arzt gestellten Diagnose steckten folglich neben dem tatsächlichen Rheuma auch andere Ursachen für Gelenkprobleme.
Sein Rat, um nicht den gleichen Fehler zu begehen: Auch wenn die Beschwerden wie eine RA imponieren und das Patientenalter passt, sollte man immer alle infrage kommenden Differenzialdiagnosen ausschliessen.
Einem positiven Rheumafaktor ist bei EORA nicht unbedingt zu trauen
«Es schwimmt nicht, quakt nicht und schaut nicht wirklich aus wie eine Ente – und trotzdem ist es eine.» Übertragen auf die RA illustriert dieses Entenbeispiel die zweite wichtige Stolperfalle. Denn eine erst bei Menschen über 60 auftretende rheumatoide Arthritis (elderly onset rheumatoid arthritis, EORA) präsentiert sich oft anders als bei jüngeren.
So sind bei EORA-Patienten häufiger grosse und seltener kleine Gelenke betroffen. Klinisch ähnelt die EORA oft dem RS3PE-Syndrom oder der Polymyalgia rheumatica.
Im Labor gibt es zusätzliche Besonderheiten: Patienten mit EORA weisen oft höhere Entzündungswerte auf, sind aber seltener seropositiv als jüngere RA-Patienten. Selbst einem vorhandenen Rheumafaktor (RF) sollte man nicht unbedingt trauen, warnt der Experte. Denn aufgrund der grossen Varianz bei den über 70-Jährigen ist er weniger prädiktiv als bei Jüngeren.
Um diese Stolperfalle zu umgehen, rät PD Dr. Bühring, die Krankheit auch dann in Betracht zu ziehen, wenn ein Patient mit Gelenkbeschwerden keine typischen RA-Symptome oder Laborbefunde aufweist.
Im Zweifel hilft die Bildgebung
Im Zweifel hilft die Bildgebung weiter: Über eine Röntgenaufnahme der Hände lässt sich eine rheumatoide Arthritis gut von einer Arthrose, Psoriasisarthritis und einer Gelenkbeteiligung bei Hämochromatose unterscheiden.
Der Ultraschall ermöglicht zudem eine Abgrenzung zur Kalziumpyrophosphatarthropathie (CPPD). Das ist wichtig, denn viele seronegative Arthritiden entpuppen sich nach Erfahrung von Dr. Bühring als CPPD.
Die Magnetresonanztomografie ist dagegen eine tückische Option. Denn mit dem Alter der Patienten steigt die Rate falsch-positiver MRT-Befunde. Das traf in einer Studie sowohl für den Erosions- als auch für den Synovitis- und den Tenosynovitis-Score zu. Vor allem bei alten Patienten sind deshalb auffällige MRT-Bilder kein ausreichender Beweis dafür, dass der Patient an einer Arthritis leidet.
Schwierigkeiten bei der Anamnese aufgrund von Hörproblemen oder kognitiven Defiziten sorgen für eine weitere Stolperfalle in der Diagnostik. Um beim tierischen Vergleich zu bleiben: Es fällt schwer, zu prüfen, ob es schwimmt, quakt oder aussieht wie eine Ente. Etwa 30 Prozent der alten Patienten weisen kognitive Defizite auf, fast 40 Prozent hören schlecht, erinnert Dr. Bühring. Um diese Herausforderungen zu meistern, schlägt er vor, bei alten Menschen zunächst ein geriatrisches Assessment durchzuführen. Durch diese Massnahme erhalte man mehr Informationen über den Patienten und könne seine Aufnahmefähigkeit beurteilen.
Biologisches Alter wichtiger als chronologisches
Ein geriatrisches Assessment kostet allerdings Zeit, räumt der Referent ein. Es hilft jedoch dabei, auch die vierte grosse diagnostische Hürde zu meistern: die Unterscheidung zwischen chronologischem und biologischem Alter des Patienten.
Das biologische Alter als Spiegel der physischen und mentalen Funktionalität variiert insbesondere bei Älteren enorm. So bewältigte der Japaner Hiromu Inada am 13. Oktober 2018 im Alter von 85 Jahren und 328 Tagen den «Ironman» – während so mancher Altersgenosse seine Tage schon längst im Heim verbrachte. Für eine erfolgreiche Therapie der rheumatoiden Arthritis sollte man sich also immer nach dem biologischen und nicht nach dem chronologischen Alter des Patienten richten, forderte PD Dr. Bühring.
EULAR 2023 – Annual European Congress of Rheumatology