Medical Tribune
18. Mai 2023Apo-B ist der bessere Risiko-Prädiktor als LDL-Cholesterin

Was der Lipidstoffwechsel bei Adipositas verraten kann

Bei Patienten mit einer stammbetonten Adipositas sind die triglyzeridreichen Lipoproteine in der Regel hauptverantwortlich für das erhöhte kardiovaskuläre Risiko. Dieses lässt mit dem Apo-Lipoprotein B besser erfassen als mit dem LDL-Cholesterin und sollte deshalb sowohl zur Risikoeinschätzung und zur Verlaufskontrolle bestimmt werden.

Lipide können viel über das kardiovaskuläre Risiko von Patienten mit Adipositas aussagen.
Carther/gettyimages

Das Herzinfarktrisiko lässt sich stark reduzieren, wenn ein Risikofaktor beseitigt wird. Den grössten Effekt hat dabei die Elimination von erhöhten Lipiden (1). «Eine grosse Rolle spielen aber auch Rauchen und Stress sowie stammbetontes Übergewicht», erklärt PD Dr. Bilz, erklärt PD Dr. Stefan Bilz, Leitender Arzt an der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie, Osteologie und Stoffwechsel­erkrankungen am Kantonsspital St. Gallen (2).

ApoB entspricht der Gesamtzahl der atherogenen Lipoproteine.

Darüber hinaus besteht zwischen Gewicht und Lipidstatus ein klarer Zusammenhang (3). Je grösser der Anteil an viszeralem Fett, desto niedriger ist das HDL und desto höher sind die Triglyzeride (3).

Triglyzeride finden sich vor allem in den Chylomikronen, den VLDL, IDL und im Remnant-Cholesterin. Alle diese triglyzeridreichen Lipoproteinpartikel tragen auf ihrer Oberfläche Apo-Lipoprotein B (ApoB). «Diese triglyzeridreichen Lipoproteine sind atherogen, vermutlich sogar atherogener als das LDL-Cholesterin», erläutert der Experte. Bei hohen Triglyzerid-Spiegeln haben Patienten also immer auch vermehrte Chylomikronen, Remnants, VLDL, IDL sowie eine atherogene Dyslipidämie.

Das Lipidprofil lässt sich mit verschiedenen Parametern bestimmen. Dazu gehören neben Cholesterin und Triglyzeriden auch das Nicht-HDL-Cholesterin. Dieses spiegelt das Gesamtcholesterin ohne HDL und somit den Cholesteringehalt aller atherogenen Lipoproteine wider. Das Remnant-Cholesterin entspricht dem Cholesteringehalt der triglyzeridreichen Lipoproteine, und das ApoB der Gesamtzahl der atherogenen Lipoproteine.

Auch bei normalem LDL kann das kardiovaskuläre Risiko hoch sein

«Patienten mit erhöhten Remnants haben unabhängig von LDL ein deutlich erhöhtes kardiovaskuläres Risiko (4,5). «Ist das LDL erhöht und das ApoB normal, besteht für Patienten unter einer Statintherapie kein erhöhtes Risiko für Gesamtmortalität und Herzinfarkt. Ist umgekehrt aber das LDL normal und das ApoB erhöht, haben die Patienten selbst unter einer lipidsenkenden Behandlung noch immer ein erhöhtes Risiko für einen Myokardinfarkt», führt der Experte mit Verweis auf dänische Daten (6) aus .

Die Erkenntnisse haben zwischenzeitlich auch in die europäische Guidelines Eingang gefunden. ESC/EAS und AGLA empfehlen bei Patienten mit Adipositas und Dyslipidämie und hohen Triglyzeridwerten und/oder einem Diabetes mellitus das ApoB für die Risikobeurteilung und die Therapiekontrolle zu bestimmen.

Als ApoB-Zielwerte gelten:

  • < 0,65 g/l bei sehr hohem Risiko
  • < 0,8 g/l bei hohem Risiko, und
  • < 1g/l bei moderatem Risiko und Diabetes mellitus sowie in der Primärprävention bei niedrigerem Risiko.

Auch nach bariatrischer Operation erreichen nur 30% der Hochrisiko-Patienten den LDL-Zielwert

Gewichtsreduktion beeinflusst Lipide moderat. Wenn Patienten Gewicht verlieren, beeinflusst dies auch die Lipide. «Die Veränderungen des LDL-Cholesterins sind jedoch meist sehr moderat», sagt PD Dr. Bilz. Bei einem Gewichtsverlust von 10 kg durch eine Veränderung des Lebensstils beispielsweise verbessert sich das LDL-C im Schnitt um 0,2–0,5 mmol/l (7).

Verlieren Patienten unter einem GLP1-Analogon (8,9) an Gewicht, verbessern sich die Lipide etwas mehr, und nach einer bariatrischen Operation (10) nochmals mehr. «Allerdings erreichen von den Hochrisiko-Patienten nach dem Eingriff nur 30 Prozent den LDL-Zielwert.

Bei sehr hohem Risiko erreicht gar kein bariatrisch behandelter Patient den LDL-Zielbereich. «Die Blutfette sind sehr stark genetisch determiniert», begründet PD Dr. Bilz. Um die LDL-Therapieziele zu erreichen, brauche es meistens eine medikamentöse Therapie.

Icosapent-Ethyl senkt kardiovaskuläres Risiko

Besteht eine leichte bis moderate Hypertriglzerid­ämie (< 10 mmol/l) liegt der Behandlungsfokus auf der kardiovaskulären Risikoprävention. Die Guidelines empfehlen eine mediterrane Ernährung, Bewegung und eine risikoadaptierte lipidsenkende Therapie primär mit einem Statin und bei (sehr) hohem kardiovaskulären Risiko auch mit Ezetimibe, einem PCSK9-Inhibitor, oder Bempedoinsäure. Mit Icosapent-Ethyl, einem Fischöl, lassen sich die Triglyzeride ebenfalls senken.

Im März 2023 wurde ein erstes Präparat in der Schweiz zugelassen. Noch ausstehend ist die Aufnahme in die Spezialitätenliste. In der Reduce-it Studie (10) reduzierte Icosapent-Ethyl signifikant das kardiovaskuläre Risiko um fast fünf Prozent.

Bei schwerer Hypertriglyzeridämie auch auf das Pankreas achten!

Liegt eine schwere Hypertriglyzeridämie (> 10 mmol/l) vor, muss zusätzlich zum kardiovaskulären Risko das Pankreatitisrisiko beachtet werden. «Diese Patienten haben ein erhöhtes Risiko für eine akute Pankreatitis im einstelligen Prozentbereich», erklärt PD Dr. Bilz. Sie sollten sich primär fettreduziert ernähren und zur Reduktion der Triglyzeride auch ein Fibrat erhalten.

Fibrate senken die Triglyzeride effektiver als Icosapent-Ethyl, eine Senkung des kardiovaskulären Risikos konnte aber nicht konsistent nachgewiesen werden, sodass sich der Einsatz dieser Medikamente auf Personen mit einer schweren Hypertriglyzeridämie beschränkt. In zweiter Linie muss auch das kardiovaskuläre Risiko beachtet und oft zusätzlich eine Statintherapie verordnet werden. Für das Therapiemonitoring eignen sich die Triglyzeride und das ApoB zur Beurteilung des Atherosklerose-Risikos.