Medical Tribune
26. Apr. 2022Prävention

Prädiabetes: Die Hyperglykämie hinter sich lassen

Ein Prädiabetes bleibt häufig unerkannt. Frühzeitig diagnostiziert, kann man ihn jedoch ausbremsen und die Entwicklung hin zum Typ-2-Dia­betes zumindest hinaus­zögern. Das geht auch ohne Kalorienzählen und quälendes Sportprogramm.

Mit leichten Lebensstiländerungen schaffen es die meisten Menschen mit Prädiabetes, wieder normale Zucker-Levels zu erreichen.
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Mit leichten Lebensstiländerungen schaffen es die meisten Menschen mit Prädiabetes, wieder normale Zucker-Levels zu erreichen.

In über 80 Prozent der Fälle wird ein Prä­diabetes nicht als solcher erkannt und auch nicht entsprechend behandelt, was angesichts des erhöhten Risikos der Betroffenen für kardiovaskuläre Erkrankungen, Schlaganfall, Retino-, Nephro- und Neuropathie ein arges Versäumnis ist, wie zwei Expertinnen in einer aktuellen Übersichtsarbeit im European Medical Journal kritisieren (1). Die intermediäre Hyperglyk­ämie, wie sie die WHO die Stoffwechselstörung bevorzugt bezeichnet wissen möchte, sehen Ärzte, Patienten und die Bevölkerung irrtümlich kaum als Erkrankung an.

Es gibt einen Weg zurück zur Normoglykämie

Meist stellen Ärzte aufgrund auffällig erhöhter Glukose- oder Insulinwerte im Blut einen Prädiabetes fest, wobei gerade die Hyperinsulinämie bei Routineuntersuchungen oft unentdeckt bleibt. Folgende Parameter sind laut WHO massgeblich:

  • gestörte Glukosetoleranz (impaired glucose tolerance, IGT) 7,8–11,0 mmol/l
  • HbA1c von 5,7–6,4 %
  • gestörte Nüchternglukose (impaired fasting glucose, IFG) 6,1–6,9 mmol/l

Einmal diagnostiziert, muss Prädiabetes kein unabänderliches Schicksal sein, machen die beiden Autorinnen klar. Denn prinzipiell sind die Veränderungen reversibel, und jedes Jahr erreichen fünf bis zehn Prozent der diagnostizierten Patienten wieder normoglykämische Werte. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in einer Gewichtsreduktion.

Einer Low-Carb-Diät blieben 71 Prozent ein Jahr lang treu

Eine kohlenhydratarme Ernährung scheint hierfür in mehrfacher Hinsicht besonders geeignet. Verglichen mit konventionellen Kostformen lässt Low Carb den Blutzucker weniger schnell ansteigen. Dadurch wird die Ausschüttung der appetitsteigernden Hormone Insulin und ­Ghrelin reduziert, gleichzeitig steigen die Spiegel von Glucagon-like Peptid 1 und Peptid YY an. Somit stellt sich schneller ein Sättigungsgefühl ein, was die Akzeptanz gegenüber dieser Ernährungsweise deutlich erhöht.

Dies belegt eine US-amerikanische Pilotstudie im Rahmen des National Diabetes Prevention Programs: Während durch Low-Fat-Diäten oder eine stark begrenzte Kalorienzufuhr in der Regel 35 Prozent der Abnehmwilligen langfristig ihr Ziel einer fünfprozentigen Gewichtsreduktion erreichen, gelang dies durch die Umstellung auf Low Carb (max. 20–25 g Kohlenhydrate täglich) bei 50 Prozent bereits innerhalb von sechs Monaten – und das ohne grössere Schwierigkeiten und Heisshungerattacken. 71 Prozent der Teilnehmer waren auch nach einem Jahr dem neuen Ernährungsstil treu geblieben. Befürchtungen, Low-Carb-Diäten würden kardiovaskuläre Risiken bergen, konnten kürzlich im Rahmen einer Metaanalyse widerlegt werden.

Auch eine besonders protein­reiche Kost sorgt für schnelle Sättigung, ausbleibende Heisshungerattacken und dauerhafte Gewichtsreduktion. Patienten mit Prädiabetes, die ein halbes Jahr lang eine Diät mit einem Eiweissanteil von 30 Prozent einhielten, führte diese Ernährungsweise aktuellen Studiendaten zufolge zu 100 Prozent zurück in die Normoglykämie. Zahlreiche Arbeiten belegen zudem positive Auswirkungen einer protein­reichen Kostform auf Insulinempfindlichkeit und Lipidwerte bei Patienten mit Typ-2-Diabetes.

Intervallfasten zahlt sich aus

Abgesehen von der Zusammensetzung der Nahrung spielen offensichtlich auch die Abstände zwischen den Mahlzeiten eine Rolle. In einer Studie zum Intervallfasten über acht Wochen hinweg war mit 14-stündigen Pausen eine um zwei Kilogramm höhere Gewichtsabnahme verbunden als beim zwölfstündigen Schema (11 kg gegenüber 9 kg). Auch wer nur in einem sechsstündigen Zeitraum vormittags und am frühen Nachmittag ass, konnte Insulinempfindlichkeit, Betazell-Reaktivität und Blutdruck deutlich verbessern.

Ein weiterer Eckpfeiler in der Therapie des Prädiabetes ist körperliche Aktivität. Die allgemein empfohlenen 150 Minuten moderates Ausdauertraining pro Woche sind auch im Fall der intermediären Hyperglykämie zu empfehlen. Da jedoch viele Menschen die Zeit dafür nicht aufbringen wollen, raten die Autorinnen zum hochintensiven Intervalltraining (HIIT). Diese Übungsform basiert auf dem Wechsel von Belastungs- und Erholungsphasen. Ziel können z.B. 10- bis 15-minütige Trainingseinheiten auf 90 Prozent der maximalen Herzfrequenz mit anschliessender Pause sein. Genau wie moderates Ausdauertraining verbessert HIIT neben Blutdruck und BMI auch HbA1c und Lipidwerte. Der Vorteil von HIIT liegt vor allem in einem hohen Mass an Flexibilität für den Übenden.

Um die Akzeptanz gegenüber den Lebensstilinterventionen zu erhöhen, plädieren die Autorinnen für ein individuelles Vorgehen, das sich eng an den Bedürfnissen und Präferenzen des Patienten orientiert. Ernährungsumstellung und Training werden im Idealfall, zumindest zu Beginn, psychologisch begleitet. Medikamente spielen beim Prädiabetes keine Rolle. Einzige Ausnahme ist Metformin, das bei jüngeren Patienten (< 60 Jahre) mit einem BMI > 35 kg/m2 in Betracht kommt.

Sehenden Auges in die Diabetespandemie

Im Jahr 2040 werden Schätzungen zufolge rund acht Prozent der Weltbevölkerung an Prädiabetes erkrankt sein, in den USA könnten die Werte dann bei über 30 Prozent liegen. Aktuell entwickeln mehr als zwei Drittel der Betroffenen aus der Stoffwechselstörung heraus später einen manifesten Diabetes Typ 2, ein Viertel bereits innerhalb von drei bis fünf Jahren.

Referenz

Francois ME, Oetsch KM. Prediabetes: Challenges, novel solutions, and future directions. EMJ. 2022; DOI/10.33590/emj/21-00148.