Medical Tribune
22. Aug. 2022Müttergesundheit

Diabetes in der Schwangerschaft: Beim OGTT nicht tricksen

Etwa zehn Prozent der Schwangeren in der Schweiz haben einen Schwangerschaftsdiabetes (GDM), rund ein Prozent einen präexistenten Typ-1 oder Typ-2- Diabetes (1,2). Diese Frauen haben ein erhöhtes Risiko für Komplikationen in der Schwangerschaft, bei der Geburt oder im Wochenbett. Darüber hinaus haben Mütter mit GDM ein erhöhtes Risiko, später einen Typ-2-Diabetes zu entwickeln. Eine Expertin erläutert, welche Massnahmen helfen können, Müttern und Kindern zu einem guten Start ins Leben zu verhelfen.

Bei einem mütterlichen Diabetes verlaufen Schwangerschaft und Geburt manchmal anders als gedacht.
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Ein gut eingestellter Blutzucker ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass eine Schwangerschaft und Geburt so schön und komplikationsarm wie möglich verlaufen. Aus diesem Grund werden Schwangere und Kind bei einem mütterlichen Diabetes engmaschig kontrolliert. Zusätzlich werden die betroffenen Frauen diabetologisch betreut – inklusive einer Lebensstilberatung und, wenn notwendig, einer zusätzlichen Behandlung mit Insulin. Denn eine Hyperglykämie in der Schwangerschaft kann unangenehme Konsequenzen haben (siehe Kasten unten).

Babys wachsen zu schnell

Ein Schwangerschaftsdiabetes (gestational diabetes mellitus, GDM) entsteht aufgrund hormonell bedingter Veränderungen der Stoffwechsellage in der Schwangerschaft, durch die ab der 20. Schwangerschaftswoche die Insulinsensitivität der mütterlichen Zellen sinkt (physiologische Insulinresistenz). Dadurch steigt der Insulinbedarf, den die Bauchspeicheldrüse bei jeder zehnten bis vierten Schwangeren nicht decken kann.

Dann kann es dazu kommen, dass der Blutzucker der Frau im Nüchternzustand und nach den Mahlzeiten dauerhaft erhöht ist. Das Baby entwickelt sich somit unter zuckerreichen, besonders wachstumsfördernden Bedingungen. Ein besonderes Risiko für einen GDM haben ältere Schwangere, sowie Frauen mit Diabetes in der Familie. Aber auch Übergewicht und Adipositas spielen eine begünstigende Rolle.

Heute fallen mehr Diabetes-Fälle auf als früher

In der Schweiz wird seit 2011 ein Screening nach Empfehlungen der International Association of Diabetes and Pregnancy Study Group (IADPSG) empfohlen. Damit sollen sich alle Schwangeren zwischen der 24. und 28. Schwangerschaftswoche einem oralen Glukosetoleranztest (OGTT) unterziehen. Durch die engmaschigere Kontrolle mit dem flächendeckenden OGTT, sowie strengeren Grenzwerten als vor der Novelle, werden seit 2011 wesentlich mehr Frauen mit einem GDM diagnostiziert als früher – was dem Test einige Kritik eingebracht hat.

Aufgrund des erhöhten Risikos von Schwangeren mit GDM sollte der OGTT dennoch nach bestem Wissen und Gewissen durchgeführt werden. Dazu gehört, dass sich Frauen in der Zeit vor einem OGTT normal kohlenhydrathaltig ernähren und keine Diät pflegen sollten. Auch exzessive Bewegung vor dem OGTT kann das Resultat verfälschen.

Einleitung bedingt oft weitere Eingriffe

«Beim OGTT ein ‹besseres› Ergebnis erzielen zu wollen, schiesst am Ziel vorbei,» erklärt auch Yvonne Gruber-Traxler, Hebamme am Kepler-Universitätsklinikum Linz. «Bekommt man einen Diabetes in der Schwangerschaft nicht unter Kontrolle, besteht unter anderem die Gefahr, dass der Fötus ein zu hohes Gewicht entwickelt.» Dies führt leider immer wieder zu einem erhöhten kindlichen Schätzgewicht bereits vor dem Geburtstermin. Dann wird meist eine Einleitung der Geburt bereits vor dem Entbindungstermin empfohlen, um das Komplikationsrisiko unter der Geburt für Mutter und Kind so gering wie möglich zu halten.

Aber auch bei normgerechtem Schätzgewicht sollten bei diabetischen Schwangeren spätestens ab dem Entbindungstermin engmaschigere Kontrollen durchgeführt werden, um eine Makrosomie oder schlechtere Versorgungslage des Kindes frühzeitig zu erkennen und gegebenenfalls die Geburt einzuleiten.

Wie streng dies gehandhabt wird, obliegt zwar den Vorgaben einzelner Spitäler, sowie dem Augenmass des betreuenden Arztes. Gibt es aber zusätzliche Risikofaktoren, wie etwa, dass das das Kind besonders gross ist oder die Blutzuckerwerte nur mit Insulin unter Kontrolle zu bringen sind, wird die Geburt meist spätestens am Geburtstermin eingeleitet. «Eine Geburtseinleitung birgt Risiken für weitere Interventionen. Oftmals benötigen die Frauen unter Prostaglandinen früher Schmerzmittel um mit den Wehen zurecht zu kommen, was wiederum zu einem häufigeren Einsatz von Wehenmittel führt,» klärt Frau Gruber-Traxler auf.

Ein Diabetes in der Schwangerschaft bestimmt die Geburt mit

Auch die Wahl des Entbindungsortes wird oft durch die Diagnose eines Gestationsdiabetes mit beeinflusst. So ist eine Hausgeburt nicht möglich bzw. überweisen kleinere Krankenhäuser Frauen mit einem insulinpflichtigen Diabetes an Kliniken mit einer neonatologischen Abteilung.

Denn auch für das Neugeborene gibt es bei einem Diabetes in der Schwangerschaft einige Risiken (siehe Kasten unten). Unter den häufigsten ist der Unterzucker.

Nach dem Durchtrennen der Nabelschnur fällt auch die Versorgung mit Glukose über das mütterliche Blut abrupt weg. Bei einigen Kindern von Schwangeren mit Diabetes kommt es dadurch nach der Geburt zu einem Blutzuckerabfall. Der Körper des Babys – insbesondere das Gehirn – ist aber auf eine kontinuierliche Blutzuckerversorgung angewiesen. Ist diese nicht gewährleistet, kann es schlimmstenfalls zu einigen Problemen. Treten etwa Zittrigkeit, Irritabilität, Atemprobleme, Krampfanfälle oder Trinkschwäche beim Neugeborenen auf, muss das Kind medizinisch betreut und monitorisiert werden. Glucose-Infusionen sollen dann den Blutzucker stabilisieren. Aber auch von der Frau mitgebrachtes Kolostrum (Vormilch) kann, an das Neugeborene verfüttert, wahre Wunder für den Blutzucker bewirken (wir haben berichtet).

Frau Gruber-Traxler ist es aber wichtig zu betonen, dass es auch bei einem GDM die Schwangeren zu einem grossen Teil selbst in der Hand haben, wie die Dinge sich entwickeln: «Ist der GDM gut eingestellt, stehen die Chancen sehr gut, dass sich das Kind trotz des Diabetes innerhalb der Norm entwickelt und dann nicht übermässig viele Interventionen notwendig sind. Dazu ist es essenziell, dass die Frau gute Hilfestellungen bekommt, und diese auch annimmt.»

Risiken durch den erhöhten Blutzucker in der Schwangerschaft

  • Makrosomie (geschätztes oder gemessenes Geburtsgewicht ≥ 4.000 g zum Geburtstermin, oder ein Fötus, der über der 95. - 97. Perzentilenkurve liegt)
  • Komplikationen unter der Geburt (bei höherem kindlichen Geburtsgewicht durch den Schwangerschaftsdiabetes kann es zu längerer Geburtsdauer, Einsatz von Wehenmittel, Saugglocke, sekundärem Kaiserschnitt, höhergradigen Geburtsverletzungen und sehr selten auch zu einer Schulterdystokie kommen)
  • Organische Unreife des Fötus (z.B. bei Lunge oder Leber)
  • Postnatale Hypo- oder Hyperglykämien des Kindes
  • Plazentainsuffizienz
  • Hypertonie
  • (Prä-)Eklampsie
  • Wachstumsretardierung
  • Polyhydramnium
  • Frühgeburtlichkeit (v.a. bedingt durch vermehrte vaginale oder Harnwegsinfekte)
  • Intrauteriner Fruchttod
  • Bei präexistierendem Diabetes: Fehlbildungen (z.B. Herzfehler, Neuralrohrdefekte)
  • Kinder von Frauen mit Diabetes in der Schwangerschaft haben ein erhöhtes Risiko, später an Übergewicht, Adipositas oder Diabetes zu erkranken.
Referenzen
  1. Ryser Rüetschi J et al. Fasting glycaemia to simplify screening for gestational diabetes. BJOG. 2016 Dec;123(13):2219-2222. doi: 10.1111/1471-0528.13857.
  2. Fischer T et al. Maternale Erkrankungen in der Schwangerschaft. Facharztwissen Geburtsmedizin. 2016:347–618. German. doi: 10.1016/B978-3-437-23752-2.00017-1. Epub 2016 Aug 26. PMCID: PMC7158353.