Medical Tribune
2. Juli 2023Wichtiger als Chronomedizin sind fristgerechte Therapieentscheidungen

Die Rheumatherapie und der zirkadiane Rhythmus

Der zirka­diane Rhythmus gibt auch Zytokinen und anderen Entzündungsmediatoren den Takt vor. Hilft bei der Rheumatherapie vielleicht ein exaktes tageszeitliches Timing, um die Effekte der Medikamente zu steigern?

Der zirkadiane Rhythmus könnte bei der Einnahme von Rheuma-Medikamenten eine Rolle spielen.
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Hinter der Morgensteifigkeit und dem Gelenkschmerz bei rheumatoider Arthritis (RA) steckt der morgendliche Anstieg des Zytokins Interleukin-6. Der kommt vor allem durch den nächtlichen Abfall des Cortisolspiegels zustande.

Entsprechend fängt die Gabe von Glukokortikoiden um 2 Uhr in der Nacht den IL-6-Peak ab. In der Folge sind die Gelenke morgens weniger steif und schmerzen weniger.

Prednison-Formulierung ersetzt nächtliches Aufstehen

Die Einnahme des Glukokorti­koids zu nachtschlafender Zeit ist aber schwer umzusetzen und stresst den Körper zusätzlich. Umgehen lässt sich das mithilfe einer speziellen Formulierung des Prednisons, durch die der Wirkstoff verzögert freigesetzt wird, berichtet Dr. Peer­ Aries­ vom Immunologikum­ Hamburg (1).

Nach Einnahme der Tabletten um 22 Uhr sanken die IL-6-­Spiegel und dadurch die morgendlichen Schmerzen zuverlässig, wie die Studien CAPRA-1­ und CAPRA-2­ zeigen (2,3). In puncto Morgensteifigkeit war das sogenannte Modified-Release (MR)-­Prednison dabei signifikant effektiver als das Standard-Prednison.

MR-Prednison sinnvoll bei starker Morgensteifigkeit

Eine an den zirkadianen Rhythmus angepasste Therapie ist bei Glukokortikoiden demnach möglich, meint Dr. Aries­. Zugelassen ist das MR-Prednison für die Behandlung bei rheumatoi­der Arthritis. Die S3-Leitlinien zur frühen RA empfehlen die Formulierung für Patienten, bei denen die Morgensteifigkeit im Vordergrund steht. Dort hat sie auch ihre Berechtigung, betont der Referent.

Das Ziel, neben der besseren Wirksamkeit auch die Prednison­dosis und damit die Nebenwirkungsrate zu reduzieren, hat sich aber mit der neuartigen Formulierung nicht erreichen lassen. Und auch ein weiterer Nachteil bleibt bestehen: Es handelt sich bei dem Präparat immer noch um ein Gluko­kortikoid. Heute werden in der Rheumatologie jedoch glukokortikoidarme Therapien bevorzugt, wichtiges Behandlungsziel ist sogar die komplette Steroidfreiheit, macht Dr. Aries­ deutlich. Über die Relevanz einer zeitgesteuerten Prednison­therapie lasse sich daher trefflich streiten.

Abendliche Methotrexat-Gabe könnte günstiger sein

Für andere in der Rheumatologie verwendete Wirkstoffe liegen kaum Daten zum zirkadianen Rhythmus vor. Kleinere Studien von eher schlechter Qualität geben gewisse Hinweise darauf, dass die abendliche Gabe von Methotrexat günstiger sein könnte als die morgendliche oder mittägliche. Im Mausversuch war Baricitinib am besten wirksam, wenn es mit dem ersten Licht am Tag gegeben wurde, Tacrolimus hingegen war zwei Stunden nach Einschalten der Beleuchtung am effektivsten.

Insgesamt hat die Chronomedizin für Dr. Aries­ in der Rheumatologie aber keinen hohen Stellenwert. Er hält Zeitintervalle ganz anderer Art für weitaus wichtiger – etwa das sogenannte window of opportunity, das es für die effektive medikamentöse Therapie bei RA zu nutzen gilt. Konkret heisst das, dass die Behandlung innerhalb von zwölf Wochen nach Symptombeginn starten muss.

Therapeutisches Zeitfenster statt zirkadianer Rhythmus

Auch bei der Glukokortikoidgabe darf man konkrete Zeitvorgaben nicht aus dem Auge verlieren, mahnt Dr. Aries­. Nach zwölf Wochen sollte das Kortison auf ≤ 7,5 mg/d reduziert, nach spätes­t­ens 24 Wochen komplett abgesetzt sein. Klappt das nicht, muss man an der Basistherapie schrauben.

Ein wichtiges Zeitfenster gibt es zudem bei den DMARD: Tritt nach sechs bis zwölf Wochen Therapie keine Wirkung ein (maximal darf man 24 Wochen warten), muss die Medikation umgestellt werden. Für die Deeskalation, also die Dosis­reduktion der DMARD, gibt es ebenfalls einen Zeitrahmen: Sie kann nach sechs Monaten steroidfreier Remission erfolgen.