Medical Tribune
28. Mai 2023Virus im Visier der Forschung

Wie Erkenntnisse um EBV-Infektionen die MS-Therapie beeinflussen

Wie genau das Epstein-Barr-Virus zur Entstehung von MS beiträgt, ist noch nicht bekannt. Aktuelle Ansätze in der Therapie und Prävention der Erkrankung zielen jedoch darauf ab, die Immunreaktion auf das Herpesvirus zu verändern.

Epstein-Barr-Viren (rot) werden von einer B-Zelle abgesondert (Transmissionselektronenmikroskopie).

Im Laufe ihres Lebens infizieren sich mehr als 90 Prozent der Bevölkerung mit dem Epstein-Barr-Virus (EBV). Während bei jüngeren Kindern die Infektion meist symptom- und folgenlos verläuft, bricht bei einigen Jugendlichen oder Erwachsenen ein Pfeiffersches Drüsenfieber (infektiöse Mononukleose) aus. Weiterhin kann das Virus zur Entstehung von verschiedenen seltenen Krebserkrankungen sowie Autoimmunerkrankungen beitragen.

EBV-seropositive Personen hatten ein 32-facherhöhtes MS-Risiko

In Längsschnittstudien hat sich gezeigt, dass eine EBV-Infektion, eine infektiöse Mononukleose in der Vorgeschichte sowie hohe Titer von Antikörpern gegen EBV-Proteine das Risiko für Multiple Sklerose (MS) erhöhen, während das Risiko bei EBV-seronegativen Personen vernachlässigbar ist.

Dabei können die EBV-Infektion und der Anstieg von IgG-Antikörpern gegen das nukleäre Antigen von EBV (EBNA-1-IgG) dem Ausbruch der Erkrankung um mehrere Jahre vorausgehen, schreiben italienische Autoren in einer Übersichtsarbeit in Lancet Neurology.

Den bislang überzeugendsten Beweis für einen frühen und wesentlichen Einfluss von EBV auf die Entwicklung von MS liefert den ­Autoren zufolge eine epidemiologische Studie aus dem vergangenen Jahr. Darin waren mehr als zehn Millionen Angehörige der US-Armee über zwei Jahrzehnte lang beobachtet worden. EBV-seropositive Personen hatten ein 32-fach erhöhtes MS-Risiko im Vergleich zu seronegativen Teilnehmern.

Gene und Lifestyle entscheiden mit

Auf eine EBV-Infektion folgte zudem ein Anstieg der Neurofilament-Leichtketten-Serumspiegel – ein Biomarker für Neurodegeneration. Ob die Krankheit letztendlich ausbricht, ist von weiteren Variablen abhängig, darunter die genetische Prädisposition, alters- und geschlechtsspezifische Faktoren sowie Umwelteinflüsse und Lebensgewohnheiten (z.B. Vitamin-D-Spiegel, Übergewicht, Rauchen).

Warum eine EBV-Infektion zur MS führen kann, ist noch ungewiss. Eine Möglichkeit ist die sogenannte «molekulare Mimikry»: Strukturelle Ähnlichkeiten zwischen Bestandteilen von EBV-Proteinen und menschlichen Proteinen könnten eine fehlgeleitete Immun­antwort und somit Auto­immunität auslösen. So finden sich etwa bei MS-Patienten Antikörper, die sowohl das latente EBV-Protein EBNA-1 als auch im ZNS exprimierte Proteine wie das Zelladhäsionsmolekül HepaCAM erkennen.

CD20-Antikörper dezimieren Gedächtnis-B-Zellen

Eine alternative Hypothese besagt, dass mit EBV infizierte B-Zellen sowie zytotoxische EBV-spezifische CD8-T-Zellen in das Zentralnervensystem bzw. die Lymphknoten einwandern. Bei empfänglichen Personen mit unzureichender Immunkontrolle könnte das zu einer persistierenden Inflammation führen. Doch die Studienlage dazu ist bislang widersprüchlich.

Viele krankheitsmodifizierende Therapien bei MS haben das Potenzial, die EBV-Infektion bzw. die Immunreaktion auf das Virus zu beeinflussen. So dezimieren beispielsweise monoklonale CD20-Antikörper unter anderem Gedächtnis-B-Zellen im Liquor, welche das Hauptreservoir für EBV sind. Zudem konnte unter dem Anti-CD20-Antikörper Ocrelizumab ein Rückgang der EBV-DNA-Last im Blut beobachtet werden. Ähnliche Effekte konnten mit Interferon beta erzielt werden. Es hemmt zusätzlich die virale Replikation und stimuliert antivirale angeborene sowie adaptive Immun­antworten.

Der Weg zur wirksamen Therapie ist noch weit

Ein neuer Ansatz sind Moleküle, die auf die latente EBV-Infektion abzielen. So wird z.B. aktuell der niedermolekulare EBNA-1-Inhibitor VK-2019 an Patienten mit EBV-assoziierten Krebserkrankungen erprobt. In laufenden Forschungsarbeiten werden zudem weitere Möglichkeiten untersucht, die EBV-Latenz oder -Reaktivierung zu stören. Bis zu einer sicheren und wirksamen Therapie sei der Weg aber noch weit, betont das Team um Dr. Aloisi.

Ebenfalls zunächst für die Behandlung von EBV-assoziierten Krebserkrankungen wurde eine adoptive T-Zell-Immuntherapie entwickelt. Sie zielt darauf ab, die EBV-Immunität zu stärken und EBV-positive Tumorzellen zu eliminieren. Erste Tests an einer kleinen Zahl von Patienten mit progressiver MS deuten auf eine leichte Linderung einiger Symptome hin. Das muss sich jedoch noch in grösseren Studien bestätigen.

Darüber hinaus werden prophylaktische und therapeutische Impfungen gegen EBV an Patienten mit MS untersucht. Hierbei ist allerdings noch zu klären, ob sich eine lebenslange Immunität erreichen lässt oder Auffrischimpfungen nötig sind. Auch die Frage, ob eine Verschiebung der Primärinfektion in ein höheres Alter das Risiko für eine infektiöse Mononukleose oder für MS erhöht, ist noch offen.