Medical Tribune
4. Apr. 2018Standardrezidivprophylaxe bei Tumorpatienten

NOAK schützt Krebspatienten effektiv vor VTE-Rezidiven

Niedermolekulares Heparin (NMH) über mindestens sechs Monate – so sieht aktuell die
Standardrezidivprophylaxe bei Tumorpatienten mit venösen Thromboembolien (VTE) aus. Die Studie Hokusai VTE Cancer hat gezeigt, dass Edoxaban dem NMH Dalteparin hinsichtlich des kombinierten Endpunktes aus VTE-Rezidiv und schweren Blutungen nicht unterlegen ist. Privatdozent Dr. Jan Beyer-
Westendorf aus Dresden spricht über Design und Ergebnisse.

Was war die Rationale der Studie Hokusai VTE Cancer?

Dr. Beyer-Westendorf: Tumorpatienten mit VTE entwickeln mehr Komplikationen und bluten unter der Therapie eher als Nichttumorpatienten. Die Rate thromboembolischer Komplikationen liegt trotz Heparinisierung bei 7–10 % innerhalb von sechs Monaten, die Rate schwerwiegender Blutungen bei bis zu 4–5 %. In Hokusai VTE Cancer haben wir nun das bei VTE ohne Tumorerkrankungen vorteilhafte Profil der NOAK in dieser schwierigen Patientengruppe mit aktiver Tumorerkrankung untersucht. Drei Fragen standen dabei im Mittelpunkt: Wirksamkeit und Sicherheit, Einfl uss auf die Lebensqualität sowie der Verlauf der VTE über die in vielen anderen Studien untersuchten sechs Monate hinaus.

Wie wurde die Studie angelegt?

Dr. Beyer-Westendorf: Es handelte sich um eine offene, nicht doppelblinde Studie. 1050 Tumorpatienten erhielten randomisiert über zwölf Monate einmal täglich 60 mg* Edoxaban (Lixiana®) nach einer mindestens fünftägigen Vorbehandlung mit einem NMH oder Dalteparin s. c. (200 IE/kg für 30 Tage, danach 150 IE/kg). Das offene Design war uns wichtig, um die Lebensqualität gerade im Vergleich Spritzen zu oraler Antikoagulation wirklich beurteilen zu können. Ausserdem hatten wir auch schwerkranke Patienten eingeschlossen. Dazu gehörten z. B. solche mit einer Thrombozytopenie (bis 50 000/μl) oder erhöhten Leberwerten. Damit konnten wir den klinischen Alltag in der Onkologie besser abbilden. Primärer Endpunkt war die Kombination aus schweren Blutungen und VTE. Diese Kombination entspricht unserer Meinung nach am ehesten der Patientenperspektive «Ich will weder ein Rezidiv noch
eine Blutung erleiden». Ausserdem geht es darum, mit der Therapie die optimale Balance zwischen diesen beiden potenziellen Komplikationen zu erzielen.

Was ist das zentrale Resultat?

Dr. Beyer-Westendorf: Das zentrale Resultat ist die Nichtunterlegenheit von Edoxaban gegenüber Dalteparin. Der kombinierte Endpunkt betraf 12,8 % in der NOAK-Gruppe und 13,5 % unter dem NMH. Betrachtet man die einzelnen thromboembolischen Komplikationen, trat in beiden Kollektiven mit je
etwa 5 % eine identische Anzahl an Lungenembo lien auf, während tendenziell weniger Thromboserezidive unter Edoxaban als unter NMH auftraten (7,9 % vs. 11,3 %), wenngleich
das Ergebnis nicht signifi kant war. Ein wenig überraschend gab es mit Edoxaban etwas mehr Blutungen (6,9 % vs. 4,0 %), allerdings lagen die Raten bei schwersten Hämorrhagien auf gleichem Niveau. Und man muss sich die Fälle auch genauer anschauen: Es handelte sich überwiegend um gastrointestinale Ereignisse. Bei Krebspatienten, deren Schleimhaut in Magen und Darm durch die Tumortherapie meist schon angegriffen ist, wundert es nicht, wenn ein orales Antikoagulans dort zu Blutungen führt. Zudem litten die meisten Betroffenen an Karzinomen des Magen-Darm-Traktes und wiesen damit ohnehin ein höheres gastrointestinales Blutungsrisiko auf. Das tendenziell vermehrte Blutungsrisiko unter Edoxaban im Vergleich zu NMH-Spritzen zeigt aber auch, dass es für jeden einzelnen Patienten eine sorgfältige Risiko-Nutzen-Abwägung hinsichtlich der Art, der Dosis, aber auch der Dauer einer Antikoagulation geben muss.

Welchen Stellenwert haben die Ergebnisse für die klinische Praxis?

Dr. Beyer-Westendorf: Wir wissen jetzt sicher, dass mit Edoxaban die VTE-Rezidivprophylaxe genauso gut gelingt wie mit einem NMH. Falsch wäre es jetzt aber, generell zu sagen: entweder – oder. Vielmehr haben wir nun die Chance, in stabilen Krankheitsphasen unserer Tumorpatienten das NOAK einzusetzen und in schwer kranken Phasen, z. B. unter Chemotherapie mit häufigem Erbrechen, lieber zu spritzen. Wir hoffen, dass auch aktuelle Leitlinien entsprechende Empfehlungen formulieren. Ausserdem liegen uns nun endlich Daten über mehr als sechs Monate vor, und es fällt uns viel leichter zu sagen: «Sie werden danach weiter von der Antikoagulation profitieren.»

Welche Anwendungsvorteile bietet Edoxaban in dieser Patientengruppe?

Dr. Beyer-Westendorf: Ich sehe die wesentlichen Vorteile in der gleichwertigen Senkung des Rezidivrisikos bei täglich einmaliger oraler Gabe. Wir haben in der Studie – wie im Alltag – beobachtet, dass Patienten eine Therapie mit Tabletten sehr viel häufi ger fortsetzen als eine mit Spritzen. Und nun können wir die Präferenz der Kranken mitberücksichtigen, ohne den Therapieerfolg zu gefährden.

Interview: Dr. Anja Braunwarth

Raskob GE et al. N Engl J Med 2017; Dec 12.
DOI: 10.1056/NEJMoa1711948

* Reduktion auf 30 mg bei einer Kreatinin-Clearance von 30–50 ml/min, einem Körpergewicht 60 kg oder Komedikation mit starken P-Glykoprotein-Inhibitoren.