Medical Tribune
15. Jan. 2024Vorgehen bei Chlamydien, Syphilis, Gonorrhö und Genitalherpes

STI sind in der Schweiz auf dem Vormarsch

Sexuell übertragbare Infektionen (STI) nehmen seit Längerem zu. Professor Dr. Philip Tarr, Kantonsspital Baselland, erklärt die Gründe dafür, und was bei Diagnostik und Behandlung in der Praxis zu beachten ist.

Take Home Messages

  • Die Fallzahlen sexuell übertragbarer Erkrankungen (STI) nehmen seit rund zehn Jahren in der Schweiz wieder zu.
  • Betroffen sind etwa die Chlamydien-, Gonorrhö- und Syphilis-Infektionen. Rückläufig sind hingegen HIV-Neuerkrankungen.
  • Gründe sind einerseits der höhere Anteil von Personen, die wechselnde Geschlechtspartner haben und ungeschützten Sex praktizieren. Aber auch Teststrategien und die Popularität von Oral- und Analsex.
  • Bei den meisten STI sollte der Partner mitbehandelt werden.
  • Bei Infektionen mit Chlamydien und Gonorrhö sollten aktuelle Antibiotika-Empfehlungen beachtet werden.
Kondome sind wieder unpopulär. Doch das ist nur einer der Gründe, warum STI wieder zunehmen.
Elena Verba/stock.adobe.com
Kondome sind wieder unpopulär. Doch das ist nur einer der Gründe, warum STI wieder zunehmen.

Die Chlamydien-Fälle haben sich in der Schweiz in den letzten zehn Jahren verdoppelt. 2021 wurden dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) mehr als 12 000 Infektionen gemeldet. Zugenommen haben auch die Ansteckungen mit Gonorrhö und Syphilis.

Rückläufig sind hingegen aktuell HIV-Infektionen mit etwa 300 diagnostizierten Neuinfektionen im Jahr 2021.

Menschen haben wieder mehr ungeschützten Geschlechtsverkehr

«Die Menschen haben wieder mehr ungeschützten Geschlechtsverkehr und mehr Sexualpartner», nennt Infektiologe Professor Dr. Philip Tarr, Co-Chefarzt und Leiter Infektiologie, Kantonsspital Baselland, als Grund für die Zunahme.

Das Verhalten steht im Zusammenhang mit der Einführung der hochpotenten HIV-Medikamente 1995. «Mit diesen Therapien hat AIDS seinen Schrecken verloren», erklärt er weiter. Heute stirbt fast niemand mehr an der Immunschwächekrankheit. «In den 1980er- und frühen 1990er-Jahren war das noch anders. Damals kannte fast jeder jemanden, der an AIDS gestorben war.»

Kinderwunsch-Komplikationen mit Chlamydien seltener als gedacht

«Die Zunahme der STI ist auch darauf zurückzuführen, dass häufiger Oral- und Analsex praktiziert, und mehr asymptomatische Personen getestet werden», berichtet der Referent weiter.

Im Rahmen der gynäkologischen Jahreskontrolle erfolgt bei jungen, asymptomatischen Frauen häufig ein Chlamydien-Test, weil eine Infektion Unfruchtbarkeit und Eileiterschwangerschaften verursachen kann. «Diese Komplikationen sind allerdings deutlich seltener als früher kommuniziert», so Prof. Tarr. In einer Metaanalyse entwickelten von 1.000 Frauen mit einer Chlamydien-Infektion 17 Prozent eine PID (Pelvic Inflammatory Disease), 0,5 Prozent eine Tubensterilität und 0,2 Prozent hatten eine Eileiterschwangerschaft (2).

«In vielen Ländern nehmen die PIDs ab», erklärt der Referent. Es fehlen zudem gute Daten, die belegen, dass ein Screening die Chlamydien-Prävalenz, Neu­infektionen und langfristige Komplikationen reduzieren kann. Aus diesen Gründen empfehlen das BAG und die Schweizerische Gesellschaft für Infektiologie (SGI) kein allgemeines Screening für junge sexuell aktive asymptomatische Frauen (3).

Bei Chlamydien besser Doxycyclin als Azithromycin

Die Behandlung der Chlamydien-Infektion erfolgt mit Doxycyclin oder mit Azithromycin. «Die Tendenz geht Richtung Doxycyclin, weil sich mit Azithromycin eine pharyngeale und anale Chlamydiose nicht so gut behandeln lässt», erläuterte der Experte.

Wie bei allen STI sind auch bei Chlamydien alle Partner der letzten zwei Monate zu behandeln. Ein «Test of Cure» sollte frühestens vier Wochen nach einer Antibiotika-Therapie bei persistierenden Symptomen, Schwangerschaft oder bei PID durchgeführt werden. Das BAG empfiehlt aus epidemiologischen Gründen, asymptomatische Frauen drei bis sechs Monate nach der Antibiotika-Therapie nochmals zu testen.

Kondome bieten keinen 100-prozentigen Schutz

«Kondome schützen vor STI – aber nicht vor allen Geschlechtskrankheiten gleich gut», sagt Prof. Tarr. Sie verhindern vermutlich besser Ansteckungen mit Keimen, die im Ausfluss übertragen werden wie Gonokokken und Chlamydien. Weniger gut dürfte der Schutz sein, wenn die kontagiösen Stellen aus­serhalb des Kondoms liegen – wie bei Herpes, HPV und Syphilis. Kondome schützen sehr gut vor HIV-Infektionen, weniger gut vor HPV und sehr schlecht vor Genitalherpes, so der Referent (4).

Ein HIV-Test nach einem Chlamydien-Nachweis wird nur für Risikopatientinnen (Sexarbeiterinnen, Frauen mit vielen Partnern, Migrantinnen aus endemischen Ländern) empfohlen. Auch ein Gonokokken-Test ist bei asymptomatischen Patientinnen nicht notwendig. Denn er kann falsch-positive Resultate liefern und Beziehungen gefährden.

Vorgehen bei Gonorrhö

«Bei der Gonorrhö gilt die Empfehlung, asymptomatische Personen nach einer Exposition präventiv zu behandeln», betont Prof. Tarr. Denn das Ansteckungsrisiko ist beim Sex mit einer infizierten Person mit 50 Prozent hoch. «Zudem kann der Test in den ersten zwei Wochen nach Exposition falsch negativ ausfallen», begründet der Referent.

Orale Cephalosporine sind wegen der Resistenzen nicht mehr für die Therapie empfohlen. «Behandelt wird heute intravenös mit einem Cephalosporin der dritten Generation in der Dosis von 1 g», erklärte Prof. Tarr. Patienten sollte nach Therapiebeginn sieben Tage lang keinen Geschlechtsverkehr haben (5).

20 % leiden an einem chronischen Genitalherpes

In der Schweiz sind etwa 20 Prozent der Bevölkerung chronisch mit Genitalherpes infiziert. Die meisten Personen wissen nicht, dass sie Herpes genitalis haben und auch nicht, dass sie selbst während der symptomfreien Episoden ansteckend sind.

Eine antivirale Behandlung ist nicht zwingend nötig. Denn mit einer episodischen Behandlung heilt ein akuter Herpes genitalis nur etwas schneller ab als ohne: In vier statt fünf Tagen. «Auch ohne Therapie entwickeln einige Patienten mit der Zeit eine gewisse Immunität, sodass die Episoden weniger und kürzer werden», so der Referent.

Für Patienten mit häufigen Episoden und/oder einem grossen Leidensdruck stellt eine dauerhafte tägliche antivirale Therapie eine Option dar. «Anders als eine episodische Behandlung führt sie oft zu weniger Herpes-Episoden und zu einem geringeren Ansteckungsrisiko», erklärt Prof. Tarr.

Langfristige Nebenwirkungen sind keine bekannt. «Diese Behandlung könnte geeigneten Patienten durchaus häufiger verschrieben werden als es heute geschieht», erläutert der Referent (6).