Medical Tribune
12. Jan. 2024Spezifischer ist doch besser

Selpercatinib schlägt Multikinaseinhibitoren beim Schilddrüsenkarzinom

Multikinaseinhibitoren wirken zwar gegen medulläre Schilddrüsenkarzinome, Erkrankte vertragen sie aber oft schlecht. Nun gibt es erste Phase-III-Daten zu Selpercatinib als spezifischem RET-Inhibitor bei dieser Entität.

Take Home Messages

  • Der selektive RET-Inhibitor Selpercatinib übertraf in einer offenen Phase-III-Studie Multikinase-Inhibitoren wie Cabozantinib oder Vandetanib beim PFS (nicht erreicht vs. 16,8 Monate in der Kontrollgruppe [HR 0,28; p < 0,0001])
  • Die Ansprechrate verdoppelte sich mit Selpercatinib fast (69,4 Prozent vs. 38,8 Prozent in der Kontrollgruppe)
  • 11,9 % der Patienten in der Selpercatinib-Gruppe hatten eine komplette Remission
  • Sicherheitsprofil von Selpercatinib besser als mit Cabozantinib oder Vandetanib.
Selpercatinib konnte das metastasierte Schilddrüsenkarzinom besser kontrollieren als Multikinase-Inhibitoren
Crystal light/stock.adobe.com
Selpercatinib konnte das metastasierte Schilddrüsenkarzinom besser kontrollieren als Multikinase-Inhibitoren

RET-Mutationen finden sich in fast allen erblich bedingten medullären Schilddrüsenkarzinomen (MTC) sowie in bis zur Hälfte der sporadischen Fälle (1).

Toxischer Therapiestandard

Multikinaseinhibitoren wie Cabozantinib und Vandetanib sind bisher die Standardbehandlung für die fortgeschrittene Erkrankung, aber ihre Toxizität führt oft zu Dosisreduktionen und Therapieabbrüchen. Die Phase-III-Studie LIBRETTO-531 untersuchte nun die Wirksamkeit von Selpercatinib als Alternative.

An der nicht-verblindeten Phase-­III-Studie nahmen 291 Tyrosinkinaseinhibitor-naive Patienten mit lokal fortgeschrittenen oder metastasierten, RET-mutierten medullären Schilddrüsenkarzinomen teil. Sie erhielten 2:1 randomisiert entweder 160 mg Selpercatinib BID oder einen Multi­kinaseinhibitor.

Nach einem medianen Follow-up von 12 Monaten hatte die Selpercatinib-Gruppe noch kein medianes progressionsfreies Überleben (PFS) erreicht, während es in der Kontrollgruppe 16,8 Monate betrug (HR 0,28; p < 0,0001). Die Studie erfüllte somit ihren primären Endpunkt in Bezug auf die Wirksamkeit. Dies galt für alle Subgruppen.

RET-Inhibitor verdoppelte die Ansprechrate beinah

Die Ansprechrate mit Selpercatinib betrug 69,4 Prozent (11,9 % komplette Remission) im Vergleich zu 38,8 Prozent in der Kontrollgruppe. «Tumore sprachen gemäss RECIST 1.1 auf Selpercatinib häufiger, tiefer und länger an als auf Cabozantinib oder Vandetanib», fasst Dr. Julien Hadoux vom Institute Gustave-Roussy, Villejuif, Frankreich, am ESMO zusammen.

Nach median 15 Monaten Beobachtung waren noch 94,8 Prozent der mit Selpercatinib behandelten Patienten am Leben, verglichen mit 85,7 Prozent in der Kontrollgruppe (HR 0,374; p = 0,0312). Der Experte betont jedoch, dass die Daten zum Gesamtüberleben noch nicht ausgereift sind.

Auch das Sicherheitsprofil von Selpercatinib erwies sich als überlegen: 52,8 Prozent der Patienten hatten Ereignisse von Grad 3 oder höher, verglichen mit 76,3 Prozent in der Kontrollgruppe. «Die meisten Nebenwirkungen waren unter Cabozantinib oder Vandetanib häufiger, mit Ausnahme von Hypertonie und Mundtrockenheit», konkretisiert der Referent.

Neuer Therapiestandard

Die Ergebnisse unterstreichen für Dr. ­Hadoux die Bedeutung einer RET-spezifischen Therapie bei metastasierten medullären Schilddrüsenkarzinomen. Selpercatinib könnte somit zum Erstlinienstandard für Patienten mit fortgeschrittenen RET-mutierten medullären Schilddrüsenkarzinomen werden.

Auch Professor Dr. Laura D. Locati von der Universität de Pavia teilt diese Einschätzung (2). Beeindruckt ist sie besonders von den 11,9 Prozent klinischen Komplettremissionen unter Selpercatinib. Dies sei aussergewöhnlich für Patienten mit medullären Schilddrüsenkarzinomen. Die Frage, wie lange die Therapie in diesem Fall fortgesetzt werden sollte, bleibt für sie jedoch offen.

Mehr Bewusstsein für RET-Tests schaffen

Auch die Diskutantin betont, dass Selpercatinib der neue Standard für RET-positive, progrediente MTC-Patienten ist. Multikinaseinhibitoren wie Cabozantinib und Vandetanib sollten demnach erst nach Selpercatinib in Betracht gezogen werden.

Allerdings bleibe ungeklärt, wie gut Cabozantinib und Vandetanib dann wirken. Für sie ist besonders wichtig, unter Patienten und Ärzten mehr Bewusstsein für RET-Tests zu schaffen.