NSAR gezielt einsetzen: Welche Substanz für welchen Patienten?
Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) sind in der Analgesie am Bewegungsapparat sehr wertvoll. In der Praxis spielt Ibuprofen eine dominierende Rolle. Dabei handelt es sich bei den NSAR um eine heterogene Wirkstoffgruppe mit grossen Unterschieden – nicht nur bei den Nebenwirkungen. Am Deutschen Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie zeigte PD Dr. Ricarda-Johanna Seemann, Tettnang, anhand von vier Fallbeispielen, wie NSAR zielgerichtet eingesetzt werden können.

NSAR hemmen die Prostaglandin-Synthese und wirken über eine Cox-1- und Cox-2-Inhibition gegen Schmerzen, Entzündung und Fieber. Prostaglandine stimulieren aber nicht nur lokal die Nozizeptoren, sondern sie fördern auch die Schmerzweiterleitung, senken die Reizschwelle und führen so zu einer zentralen Sensibilisierung.
Die NSAR unterscheiden sich hinsichtlich ihres Nebenwirkungs- und Risikoprofils, ihrer Cox-2-Selektivität und auch ihrer Halbwertszeit zum Teil deutlich. Es handelt sich um eine heterogene Gruppe, die sich in sechs Untergruppen von den Salicylaten (ASS) bis hin zu den selektiven Cox-2-Hemmern (Etoricoxib, Celecoxib) mit unterschiedlichen Eigenschaften einteilen lässt.
Gastro- und kardiovaskuläre Risiken bestimmen die NSAR-Wahl
Die selektiven Cox-2-Hemmer weisen die geringsten gastrointestinalen Nebenwirkungen (RR 1,45) von allen NSAR auf. Aber auch Ibuprofen (RR 1,84) hat hier im Vergleich zu anderen NSAR Vorteile, berichtete die Expertin. Naproxen dagegen kann durch eine vergleichsweise geringe Kardiotoxizität punkten. Hier beträgt das gepoolte relative Risiko 1,06, während es für Ibuprofen bei 1,14 und für Diclofenac bei 1,38 liegt. Das sollte bei der Entscheidungsfindung zum Einsatz von NSAR berücksichtigt werden. Naproxen sollte daher bevorzugt bei Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren wie KHK, pAVK oder Herzinsuffizienz zum Einsatz kommen.
Patienten mit gastrointestinalen Risikofaktoren – Alter > 65 Jahre, Ulkus-Anamnese, Helicobacter-pylori-Infektion, schwere Allgemein-erkrankung oder Komedikation mit SSRI, Antikoagulanzien oder Glukokortikoiden – sollten bei hohem Risiko (1 Risikofaktor) ein NSAR plus Protonenpumpeninhibitor (PPI) oder ein Coxib erhalten. Besteht ein sehr hohes Risiko (> 1 Risikofaktor), sollte das Coxib mit einem PPI kombiniert werden. Bei sowohl einem hohen kardiovaskulären als auch gastrointestinalen Risiko ist die orale Gabe von NSAR möglichst zu vermeiden. Hier kann man alternativ eine topische Applikation in Betracht ziehen.
Von Schulterschmerz bis aktivierte Gonarthrose
PD Dr. Seemann präsentierte vier verschiedene Fallbeispiele mit konkreten Empfehlungen:
Fall 1: Der 44-Jährige kam mit akuten Schmerzen zwischen den Schulterblättern mit Bewegungseinschränkung. Seit ein paar Tagen nahm er immer mal wieder Ibuprofen 400 mg ein. Risikofaktoren lagen nicht vor. In der manualtherapeutischen Untersuchung fand sich eine segmentale hypomobile Dysfunktion der Brustwirbelsäule. Dieser Patient erhielt neben einer manuellen Mobilisation und Manipulation über drei bis fünf Tage Ibuprofen 600 mg. So konnte der nozizeptive Schmerz dank hoher Bioverfügbarkeit, schnellem Wirkeintritt und kurzer Halbwertszeit gut therapiert werden.
Fall 2: Die 37-jährige Patientin litt an Nacken- und Armschmerzen, einem tauben Daumen und einer Schwäche des M. triceps. Hier empfahl PD Dr. Seemann die intravenöse Gabe von Acetylsalicylsäure über mehrere Wochen. Denn ASS wirkt sowohl peripher als auch zentral. Es kann Sensibilisierungsvorgänge zurückbauen, Symptome der Neuroinflammation reduzieren und so die Gefahr einer Chronifizierung verringern. Alternativ kann in diesem Fall Ibuprofen i. v. oder Lysinacetylsalicylat* 1000 mg oral gegeben werden.
Fall 3: Die 66-jährige Patientin klagte über rezidiverende Schmerzen am linken Kniegelenk. Bei solchen akuten Aktivierungszuständen einer Gonarthrose riet die Expertin zu einer «low-dose-long-interval»-Behandlung mit Etoricoxib oder Diclofenac retard, beides Substanzen mit langer Halbwertszeit (HWZ). Zur langfristigen Symptomkontrolle gibt man alle drei Tage eine Tablette. Durch die chronisch rezidivierende Entzündung kommt es bei der Gonarthrose zu einer peripheren Sensibilisierung. Wird die akute Aktivierung durch die Gabe eines langwirksamen NSAR unterbrochen, lässt sich der erneute Aufbau der Sensibilisierung unterdrücken.
Fall 4: Der letzte Patient war 44 Jahre alt und litt unter morgendlichen tieflumbalen Rückenschmerzen, die sich tagsüber besserten. Er hatte die Schmerzen bereits seit Jahren, nach einer Grippe waren sie zuletzt deutlich exazerbiert. Ibuprofen nahm er «wie Bonbons» ein. Im MRT zeigen sich Residuen eines Morbus Scheuermann, aber keine Arthritis des Iliosakralgelenks. Das HLA-B27 war negativ und in der Labordiagnostik fanden sich keine Hinweise auf eine rheumatisch-entzündliche Genese. In diesem Fall, einer Erkrankung aus dem erweiterten rheumatischen Formenkreis, ist ein NSAR mit sehr langer Halbwertszeit angezeigt, so PD Dr. Seemann. Konkret empfahl sie Piroxicam mit einer Halbwertszeit von 45 Stunden. Eine Alternative ist Etoricoxib (HWZ 24 Stunden).
Lysinacetylsalicylat ist das Lysinsalz der Acetylsalicylsäure