Medical Tribune
5. Mai 2025«Finger» als Hürde der Früherkennung

Prostatakarzinom-Screening mit Augenmass

Das Prostatakarzinom-Screening ist essenziell zur Früherkennung. Um Überdiagnosen und -therapien zu vermeiden, sollte es allerdings mit Mass und Ziel angewendet werden, sagt Prof. Dr. Daniel Eberli, Universitätsspital Zürich, am EAU 2025. Die digitale rektale Untersuchung ist laut Studiendaten etwa ineffektiv und schreckt viele Männer ab.

Nicht für alle Patienten ist ein ständiges Prostatakarzinom-Screening sinnvoll.
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Das Prostatakarzinom zählt zu den häufigsten Tumorerkrankungen beim Mann. Die Inzidenz variiert jedoch deutlich – je nach geografischer Region, ethnischer Herkunft und genetischer Veranlagung.

Asiatische Länder weisen etwa deutlich niedrigere Raten an Neudiagnosen auf. Männer afrikanischer Herkunft sind hingegen bis zu dreimal häufiger betroffen und zeigen zudem aggressivere Verlaufsformen.

Das liegt unter anderem an der unterschiedlichen Verbreitung von begünstigenden Mutationen, erklärt Prof. Dr. Daniel Eberli, Universitätsspital Zürich, am EAU-Kongress (1). So erhöht eine BRCA2-Mutation das Risiko um das Achtfache. Als Hotspot für das Prostatakarzinom gilt etwa die Insel Martinique. Hier ist durch die Verbreitung der HOXP13-Mutation rund jeder vierte Mann betroffen.

Genetische Tests: Gut beraten ist Pflicht

Genetisch schaffen Mutationen in Genen wie BRCA2, HOXB13, ATM, CHEK2 oder die Mismatch-Repair-Gene MSH2, MSH6, MLH1, PMS2 also eine teils starke Prädisposition. Im –testbaren – Keimzellbereich liegt die Prävalenz solcher Mutationen allerdings bei nur vier bis fünf Prozent der Patienten mit Prostatakarzinom. Trotzdem ist ein breites genomisches Testen aller möglichen Mutationen bei ALLEN Betroffenen sinnvoll und zu empfehlen, so Prof. Eberli. Dass das nicht immer umgesetzt werden kann, liegt an nationalen Leitlinien und den hohen Kosten.

«Berücksichtigen Sie zudem unbedingt, welche Konsequenzen ein positives Ergebnis haben kann», warnt Prof. Eberli ausserdem. In vielen Ländern werde einem Patienten mit einer BRCA2-Mutation etwa keine Lebens- oder Zusatzversicherung mehr gewährt. «Das muss man wissen, bevor man testet.» Er empfiehlt daher, vor der genetischen Beratung eine entsprechende Schulung zu absolvieren.

«Müssen smarter screenen»

«Da das Prostatakarzinom so häufig ist, hat jede auch noch so kleine gute Entscheidung eine durschlagende Wirkung», sagt Prof. Eberli. Beim Screening auf Prostatakarzinome gebe es aber immer eine Gratwanderung zwischen Verbesserung des Überlebens und Überbehandlung.

So führte die Einführung des PSA-Screenings in den USA zu einer sprunghaften Zunahme diagnostizierter Fälle – bei gleichzeitigem leichtem Rückgang der Mortalität. Der Preis seien Überdiagnosen und unnötige Behandlungen bei indolenten Tumoren gewesen, so der Experte. Auch die europäische Screeningstudie (2) zeigte nach 17 Jahren eine Verbesserung des Überlebens um 20 Prozent – gleichzeitig aber auch eine Überbehandlung von niedriggradigen Tumoren.

In den USA wird – unter anderem aufgrund der Ergebnisse der PCLO-Studie (3), derzeit nicht mehr pauschal gescreent. Ein Fehler, sagt Prof. Eberli:«Die PLCO-Studie hat uns in eine falsche Richtung gelenkt. Wenn man sie genau liest, erkennt man: Sie war methodisch nicht sauber.» Denn was als Vergleich zwischen gescreenter und nicht gescreenter Gruppe geplant war, ging in der Realität nicht auf: Ein Grossteil der Männer in der Kontrollgruppe erhielt dennoch PSA-Tests – meist beim Hausarzt. «Das ist der Grund, warum es in den USA wieder mehr metastasierte Patienten gibt – auch die Mortalität ist gestiegen», so Eberli.

Kein Screening ist also auch keine Option, so das Fazit des Experten. «Stattdessen müssen wir smarter screenen». Der Züricher Urologe empfiehlt daher ein risikoadaptiertes Vorgehen. Dabei soll die erste PSA-Messung im Alter von 50 Jahren erfolgen – bei genetischer Belastung oder afrikanischer Abstammung bereits ab 45. Bei niedrigen Werten (<1 ng/ml) reicht dann die Kontrolle alle fünf Jahre aus, ab 60 Jahren mit weiterhin niedrigem PSA kann sogar auf weitere Tests verzichtet werden: «Die Wahrscheinlichkeit, dass so jemand noch ein Prostatakarzinom entwickelt, ist sehr gering.»

Digitale rektale Untersuchung vergrault Patienten und bringt wenig

Weltweit gilt die digitale rektale Untersuchung (DRU) immer noch als einfach zugängliches Screeningmethode. Prof. Eberli stellt, wie viele, ihren Nutzen vehement infrage: «Unsere Finger helfen kaum bei der Früherkennung, schrecken aber viele Männer vom Arztbesuch ab.» Seine Kritik untermauert er mit zahlreichen Studiendaten.

In der deutschen PROBASE-Studie (4), die ein risikoadaptiertes PSA-Screening mit einer digitalen rektalen Untersuchung (DRU) verglich, unterzogen sich 6.537 Männer im Alter von 45 Jahren einer DRU. Das Ergebnis: 57 auffällige Befunde, aber nur zwei bestätigte Prostatakarzinome, beide mit einem ISUP-Grad 1 (Gleason 3+3) – also klinisch wenig relevant. Eine Studie aus New York (5) befragte zudem Männer zur Bereitschaft, sich einem Screening zu unterziehen: 100 Prozent waren dazu bereit, wenn nur ein PSA-Test durchgeführt würde – aber nur 78 Prozent, wenn zusätzlich eine DRU vorgesehen war.

Die Kombination aus DRU und PSA bot in einer grossen Metaanalyse aus dem Jahr 2024 ausserdem keinen signifikanten Zusatznutzen (6).

Eberlis Fazit: «Wir müssen gesunde Männer gesund halten. Wer kein Risiko zeigt, soll schnell wieder beruhigt nach Hause geschickt werden. Nur die wirklich gefährdeten Patienten müssen wir gezielt abklären.» Dabei hilft ein smarter Einsatz moderner Diagnostik – ohne Angst und Übertherapie.

Von E-Nase bis Stockholm-3: Die Zukunft der Früherkennung

Als zukunftsweisend sieht Prof. Eberli nicht-invasive Methoden wie die Geruchsanalyse (E-Nase). Es hätte sich immer wieder gezeigt, dass Hunde das Prostatakarzinom in seinen Anfängen «erschnüffeln» können – auf diesem Prinzip basiert auch die elektronische Erkennung von flüchtigen Substanzen, die Personen mit Prostatakarzinomen auch schon im Frühstadium ausscheiden.

Auch kombinierte Tests, die genetische Marker, Proteine und klinische Parameter einbeziehen, könnten laut Eberli künftig breiter zum Einsatz kommen. Ein Beispiel ist der Stockholm3-Test, der aggressive Karzinome deutlich präziser identifizieren kann als der PSA-Wert allein – allerdings zu höheren Kosten. Zum Vergleich: Ein PSA-Test kostet in der Schweiz je nach Anbieter zwischen CHF 30 und 50, während der Stockholm3-Test am Universitätsspital Zürich derzeit rund CHF 660 kostet.