Medical Tribune
29. Okt. 2024Die Schattenseiten der Immuntherapie

Neurologische Nebenwirkungen von Checkpoint-Inhibitoren

An der Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Neurologie präsentiert Prof. Dr. Matthias Mehling, Forschungsgruppenleiter Departement Biomedizin, Universität Basel, ein Update zu den neurologischen Nebenwirkungen von Checkpoint-Inhibitoren. Obwohl die unerwünschten Effekte im peripheren und zentralen Nervensystem gegenüber kutanen oder gastrointestinalen Nebenwirkungen vergleichsweise selten beobachtet werden, können sie schwerwiegend sein. Dann gilt es, einen Therapieabbruch in Betracht zu ziehen und ggf.mit hochdosierten parenteralen Kortikosteroiden zu behandeln.

Portraitfoto PD Dr. Matthias Mehling
zVg

Prof. Matthias Mehling
Forschungsgruppenleiter, Departement Biomedizin,
Universität Basel

Als mit Ipilimumab 2011 der erste Checkpoint-Inhibitor auf den Markt kam, revolutionierte er die Melanomtherapie.

In rascher Folge wurden weitere Vertreter dieser Wirkstoffklasse zugelassen, ebenso erweiterte sich das Indikationsspektrum. Rückblickend stehen diese Immuntherapeutika für eine onkologische Erfolgsgeschichte par excellence.

Doch mit dem zunehmend breiteren Einsatz sah man sich auch mit teilweise schweren Nebenwirkungen konfrontiert, betont Prof. Mehling. Zwar stehen in der Praxis kutane und gastroenterologische unerwünschte Wirkungen im Vordergrund, doch die Nebenwirkungen der Checkpoint-Inhibitoren können auch das periphere und zentrale Nervensystem betreffen.

Immun-Checkpoints halten Immunsystem in Schach

Die Immun-Checkpoints sind als Rezeptoren auf der Membran von T-Lymphozyten lokalisiert und modulieren die Immunreaktion, beispielsweise um körpereigene Zellen vor dem Angriff des Immunsystems zu schützen (Immunhomöostase). Unter physiologischen Bedingungen halten sie das Immunsystem in Schach und kontrollieren überschiessende autoimmune (und autoaggressive) Prozesse. Als wichtige Checkpoints gelten CTLA4, PD1 und sein Ligand PD-L1.

Bei einer Reihe von Krebserkrankungen lässt sich über eine Hemmung von Immun-Checkpoints mit Immun-Checkpoint-Inhibitoren wie Ipilimumab, Nivolumab, Pembrolizumab, Durvalumab oder Atezolizumab die körpereigene Tumorabwehr aktivieren. Der Effekt ist mit einem Lösen der Bremsen des Immunsystems zu vergleichen; indem inhibitorische Signalwege blockiert werden, gelingt es dem Immunsystem, Krebszellen zu attackieren. Daher spricht man oft auch von «Hilfe zur Selbsthilfe».

Als besonders wirksam hinsichtlich rezidivfreiem Überleben haben sich adjuvante Checkpoint-Inhibitor Kombinationstherapien erwiesen, z.B. Ipilimumab plus Nivolumab bei Patienten mit Melanom im Stadium IV, erklärt Prof. Mehling.

Fatigue ist die häufigste Nebenwirkung

Pro Jahr werden in Europa mehr als 100.000 Patienten mit Checkpoint-Inhibitoren behandelt, wobei Therapien mit Pembrolizumab (35 %) und Nivolumab (30 %) dominieren, gefolgt von Atezolizumab (15 %). Jeder fünfte Patienten erhält eine Kombinationstherapie.

Als häufig beobachtete Nebenwirkungen unter Checkpoint-Inhibitoren erwähnt der Neurologe

  • Fatigue (30–40 %),
  • Hautreaktionen (ca. 20–30 %),
  • sowie Übelkeit und Appetitverlust (je 10–15 %).

Zu den weniger häufigen, aber schwerwiegenden Nebenwirkungen zählen

  • Pneumonitis (3–5 %),
  • Colitis (2–5 %),
  • Endokrinopathien (2–5 %) und
  • andere neurologische Toxizitäten (1–3 %).

Nebenwirkungen meist in den ersten 50 Behandlungstagen

Obwohl sich das Gros der immunbezogenen neurologischen Nebenwirkungen in den ersten 50 Behandlungstagen manifestiert, können bis zu 500 Tage nach Therapiebeginn neurologische Komplikationen erstmals auftreten.

Der klinische Phänotyp der beobachteten neurologischen UAW hängt einerseits von der Krebsart (Melanom, Lungenkrebs, urologische Karzinome etc.) ab, und auf der anderen Seite vom Typ des Checkpoint-Inhibitors (anti-CTLA4, anti-PD-1 resp. anti-PD-L1).

Als häufige neurotoxische Nebenwirkungen, die das ZNS betreffen, gelten Enzephalitis, Hypophysitis oder aseptische Meningitis; im peripheren Nervensystem kann es zu Neuropathien, Myasthenia gravis oder einer Myositis kommen.

Hohe Rezidivrate bei Wiederaufnahme der Immuntherapie

Zum Vorgehen in der Praxis erklärt Prof. Mehling, dass das Management von der Intensität der Nebenwirkungen abhängt. So kann bei milden Symptomen die Therapie unter engmaschigem Monitoring fortgeführt werden.

Bei mässig schweren Nebenwirkungen ist die Therapie unter engmaschigem Monitoring zu stoppen. Bei schweren bzw. sehr schweren Nebenwirkungen wird der Checkpoint-Inhibitor gestoppt und eine Therapie mit parenteralem Prednison / Methylprednisolon 1 mg/kg täglich bzw. 2 mg/kg täglich begonnen.

Bei Wiederaufnahme der abgebrochenen Checkpoint-Inhibitor-Therapie ist mit einer hohen Rezidivrate neurologischer Komplikationen zu rechnen. Daher ist ein multidisziplinäres Management dieser Patienten durch Neurologen, Onkologen und Immunologen unabdingbar.