Medical Tribune
13. Jan. 2024Komplementfaktoren im Liquor mit MS-Schweregrad assoziiert

Kommt die Komplement-Hemmung als Therapie für MS?

Die Komplement-Aktivierung spielt bei verschiedenen Erkrankungen, einschliesslich der Multiplen Sklerose (MS), eine bedeutende Rolle. Forscher des Universitätsspitals Basel haben untersucht, wie sich Immunmediatoren des Systems auf den Schweregrad der Erkrankung auswirken.

Antigengebundenes IgM aktiviert den C1-Komplex im Komplement.
Juan Gärtner/stock.adobe.com
Antigengebundenes IgM aktiviert den C1-Komplex des Komplements.

Das Komplementsystem ist Teil der angeborenen Immunabwehr. Es ist hauptsächlich für die Beseitigung von Krankheitserregern verantwortlich, kann aber auch andere, als körperfremd eingestufte, Substanzen erkennen und eliminieren.

Komplement bei vielen Erkrankungen involviert

Zum Komplement gehörende Anaphylotoxine wie der Proteinkomplex C3a gehören zu den stärksten Entzündungsmediatoren. Die Aktivierung des Komplementsystems steht daher in Verbindung mit lebensbedrohlichen Zuständen wie dem akuten Atemnotsyndrom (ARDS) oder der Sepsis, die zum Multiorganversagen führen kann.

Auch bei Erkrankungen wie der rheumatoiden Arthritis, der Transplantatabstossung und der Multiplen Sklerose (MS) spielt die Komplementaktivierung eine entscheidende Rolle, erklärt Dr. Johanna Oechtering, Oberärztin am Multiple Sklerose Zentrum des Universitätsspitals Basel, während ihrer Posterpräsentation am MS-State-of-the-Art-Symposium (1).

IgM kurbelt Komplementaktivierung an

Histopathologische Studien belegen, dass Ablagerungen von Immunglobulinen und die Aktivierung des Komplementsystems zur Schädigung des zentralen Nervensystems bei MS beitragen. Dafür spricht auch der besonders schlechte Krankheitsverlauf bei Vorliegen von IgM, dem Immunglobulin, das die Komplementaktivierung am stärksten stimuliert.

Liegt eine intrathekale IgM-Synthese vor, wie bei etwa 20 bis 25 Prozent der MS-Patienten, ist eine verstärkte Krankheitsaktivität und ein höherer Schweregrad der MS zu beobachten, so Dr. Oechtering.

Basierend auf diesen Erkenntnissen haben die Wissenschaftler eine Studie mit
folgenden Fragestellungen durchgeführt:

  • Ist die Komplementaktivierung bei Patienten mit einem klinisch isolierten
    Syndrom (CIS) und MS erhöht?
  • Verstärkt die intrathekale IgM-Synthese das Risiko?
  • Besteht eine Verbindung zwischen Komplementaktivierung und dem EDSS-Score (expanded disability status scale), dem MS Severity Score (MSSS) und dem Neurofilament Leichtketten (NfL)-Level im Liquor?

Die Forscher analysierten daraufhin Komplementkomponenten und Produkte der Komplementaktivierung im Plasma und Liquor von Patienten mit CIS (n = 112) und MS (n = 127) .

Von den Patienten hatten 90 eine schubförmig remittierende MS (RRMS), 14 eine primär progrediente MS (PPMS) und 23 eine sekundär progrediente MS (SPMS). Als Kontrollgruppen dienten 31 Patienten mit einer entzündlichen Erkrankung des zentralen Nervensystems und 44 symptomatische (nicht-entzündliche) Patienten ohne strukturelle Erkrankung des zentralen Nervensystems (z.B. Migräne).

Komplementfaktoren im Liquor erhöht

Die Ergebnisse zeigten, dass bei CIS und MS die Spiegel der Komplementfaktoren C3a, C4a, Ba und Bb im Liquor, aber nicht im Plasma, erhöht waren. Bei PPMS wurden um 85 bzw. 53 Prozent höhere C3a- bzw. C4a-Spiegel im Liquor im Vergleich zu symptomatischen Kontrollen festgestellt.

Die Liquor-Spiegel von C3a, C4a, Ba, Bb und C1q waren am höchsten bei Patienten mit zusätzlicher intrathekaler IgM-Synthese. Im Vergleich zu Patienten ohne intrathekale Immunglobulinsynthese wurden eine Zunahme von

  • 128 Prozent bei C3a,
  • 50 Prozent bei C4a,
  • 37 Prozent bei Ba,
  • 55 Prozent bei Bb, und
  • 21 Prozent bei C1q

beobachtet (alle p < 0,01).

Ein doppelt erhöhter Spiegel von C3a und C4a bei Patienten mit CIS war mit einem um 0,31 (p < 0,016) bzw. 0,32 (p = 0,041) erhöhten EDSS-Score nach Lumbalpunktion assoziiert.

Eine Verdoppelung der Spiegel von C3a und Ba führte zu einer Erhöhung des MSSS um 0,61 (p < 0,01) bzw. 0,74 (p < 0,016) Punkte. Darüber hinaus war eine Verdoppelung des C3a-Levels mit einer 54-prozentigen Erhöhung der NfL-Spiegel verbunden (p < 0,0001), was auf einen höheren neuroaxonalen Schaden hinweist, so die Autoren des Posters.

Frühe Komplement-Aktivierung korreliert mit erhöhtem EDSS-Score

Die frühe Aktivierung des Komplementsystems bei CIS/MS, insbesondere bei gleichzeitiger intrathekaler IgM-Synthese, korreliert mit einem erhöhten EDSS-Score, dem zukünftigen MSSS und den NfL-Spiegeln. Dies unterstreicht die pathophysiologische Bedeutung, so das Fazit der Wissenschaftler. Die Hemmung des Komplementsystems könnte eine neue Therapieoption sein, um den Schweregrad der MS abzumildern.