Medical Tribune
19. Aug. 2023Dicke Luft im Flugzeug

FUSE: Wenn Kabinenluft gefährlich wird

Als ein Pilot eines Frachtflugzeugs im Anflug auf Leipzig einen intensiven unangenehmen Geruch bemerkt und die Sauerstoffmaske aufzieht, ist er schon nicht mehr in der Lage, den Flieger zu landen. Kognitive Probleme zwingen ihn, den Autopiloten einzuschalten. Sein Kollege hat bereits das Bewusstsein verloren. So begann ein Fall eines Fume-and-Smell-Event (FUSE).

Von einem FUSE sind meist vor allem die Crewmitglieder betroffen.
Comstock/gettyimages

Der beschriebene Pilot war das erste FUSE-Opfer, das Dr. Frank ­Powitz, niedergelassener Pneumologe aus München, behandelt hat (1). FUSE steht für Fume-and-Smell-Event und klingt harmloser als es ist. Zum Hintergrund: In den meisten Flugzeugen stammt die Kabinenluft von Zapfluftanlagen an den Triebwerken und wird dort nahezu unausweichlich mit Pyrolyse-Produkten von Schmierstoffen und Maschinenölen kontaminiert.

«Eine Low-Level-­Leakage ist bei praktisch allen Triebwerken technisch vorgesehen», berichtet Dr. Powitz (2). Ausserdem gibt es nur wenige Flugzeuge, welche die Kabinenluft ohne Zapfluftanlage erzeugen. Stärkere Lecks durch undichte Ventile führen dann zu FUSE. Dabei gelangt eine Vielzahl von Stoffen in die Kabinenluft, unter anderem potenziell neurotoxische Trikresylphosphate, Organophosphate und andere volatile Komponenten.

Effekte summieren sich nach mehreren Events

Ein Monitoring der Kabinenluft findet nicht statt, «nicht mal eine Kohlenmonoxid-Messung», monierte der Kollege. Ausserdem vernachlässigen fast alle toxikologischen Studien Wechselwirkungen zwischen den Inhaltsstoffen, obwohl nachgewiesen ist, dass z.B. Organophosphate synergistisch wirken (3). Dass Crew-Mitglieder nach FUSE häufig medizinisch untersucht werden müssen, Passagiere dagegen so gut wie nie, deutet darauf hin, dass sich Effekte der ständigen Low-Level-Exposition summieren.

In einem aktuellen Review (4) wird die Inzidenz von FUSE-Zwischenfällen mit 1 : 10.000 bis 1 : 1.000 Flügen angegeben. Ausgehend von der Tatsache, dass im Jahr vor Beginn der Corona-Pandemie weltweit 47 Millionen Flüge stattfanden, ist also von 4700 bis 47.000 FUSE-Fällen auszugehen.

Buntes FUSE-Beschwerdebild

Das Beschwerdebild nach einer solchen Schadstoffexposition ist äus­serst bunt. Am häufigsten berichtet werden neurologische Symptome wie Kognitions- und Koordinationsstörungen, Kopfschmerzen und Parästhesien, daneben gastrointestinale Probleme (Übelkeit, Erbrechen) und Atemwegssymptome mit Dyspnoe, Husten und Belastungsintoleranz bei meist normaler Spirometrie, aber eingeschränkter Diffusionskapazität.

Die Spiroergometrie zeigt nach Erfahrung von Dr. Powitz oft ein Plateau beim Sauerstoffpuls bei inadäquat starkem Anstieg der Herz­frequenz und erniedrigtem VO2-Peak. Ausgeprägte Symptome kommen bereits nach einmaliger Exposition vor.

Nach Erfahrung von Dr. Powitz leiden viele Patienten noch Monate nach dem Akutereignis unter Belastungs­intoleranz und neurologischen Problemen. «Das gründlich zu untersuchen, gebietet die Flugsicherheit, aber auch die Verantwortung für die Beschäftigten.» Wichtig ist ihm festzuhalten, dass es sich bei FUSE-Folgen nicht um eine somatoforme Störung handelt – in der Praxis wird das offenbar gerne als Begründung genutzt, Betroffenen die weitere Dia­gnostik zu
verweigern.