IL-6-Blocker effektiv und sicher einsetzen
Interleukin-6 hat eine Schlüsselstellung bei entzündlichen Prozessen. Deshalb ist das Zytokin bzw. sein Rezeptor vor allem bei rheumatischen Erkrankungen eine lohnende Zielstruktur. In welchen Fällen die Blockade indiziert ist und was man beim Einsatz der IL-6-Inhibitoren beachten sollte, hat eine Expertengruppe zusammengefasst.
Interleukin-6 (IL-6) spielt im gesamten Körper eine fundamentale Rolle. Immunologisch reguliert es unter anderem Wachstum, Reifung und Aktivierung der B-Zellen und fördert die Differenzierung von T1-Zellen zu TH17-Zellen.
Durch seine vielseitigen Effekte ist IL-6 auch an der Pathogenese zahlreicher Erkrankungen beteiligt. So treibt es z.B. bei der rheumatoiden Arthritis die Produktion von Akute-Phase-Proteinen in der Leber an und schädigt die Gelenke, indem es Matrix-Metalloproteasen und Osteoklasten aktiviert.
IL-6-Hemmer können diese Vorgänge eindämmen. In der Schweiz zugelassen sind Tocilizumab und Sarilumab zur Behandlung der rheumatoiden Arthritis. Die Zulassung von Tocilizumab gilt zudem für die Riesenzellarteriitis sowie für die polyartikuläre und systemische juvenile idiopathische Arthritis (pJIA, sJIA). Weltweit erobern IL-6-Inhibitoren weitere Indikationen (s. Kasten).
Durch ihren immer häufigeren Einsatz konnten viele Daten zu Krankheitsmanagement und Sicherheitsprofil gesammelt werden. Ein Expertenteam um Professor Dr. Daniel Aletaha von der Universitätsklinik Wien hat darauf basierend ein Update zu den wichtigsten Fragen rund um die Therapie erarbeitet (1).
Lässt sich die Response vorhersagen?
Zwei Faktoren scheinen das Outcome der IL-6-Rezeptorblockade mit Tocilizumab zu beeinflussen. So ist eine Response wahrscheinlicher, wenn die IL-6-Spiegel vor Beginn der Therapie niedrig sind. Gleiches gilt für ein Anhalten der Wirkung nach Absetzen des Biologikums.
Hohe prätherapeutische CRP-Spiegel weisen eher auf eine bessere Wirkung hin als niedrige – im Gegensatz zu den Erfahrungen mit anderen Wirkstoffen. Wie sich eine Adipositas des Patienten auf die IL-6-Blockade auswirkt, konnte bisher noch nicht eindeutig geklärt werden.
Was beeinflusst die Adhärenz?
Die beste Effektivität eines Medikaments ist hinfällig, wenn der Patient es nicht akzeptiert. Wie genau es Rheumatoide-Arthritis-Patienten mit der IL-6-Inhibition nehmen, zeigt eine Studie. Teilnehmer beendeten die Behandlung mit Tocilizumab häufiger
- bei anfänglich niedrigen CRP-Werten,
- bei hohen Werten im HAQ Disability Index,
- bei ausgeprägter Fatigue und Schmerzen,
- nach vorheriger bDMARD-Therapie und
- wenn sie rauchten.
Wie misst man die Krankheitsaktivität am besten?
Zur Beurteilung der Krankheitsaktivität unter IL-6-Inhibitoren eignen sich nicht alle Scores gleich gut. Die Substanzen hemmen die Bildung der Akute-Phase-Proteine (u.a. CRP) in der Leber. Nutzt man Scores, die wie DAS28 oder SDAI das CRP einschliessen, kann man den Effekt auf die Krankheitsaktivität leicht überschätzen. Die Experten empfehlen daher als Score den CDAI, der unabhängig von Akute-Phase-Proteinen ist.
Die Wirkung der IL-6-Inhibitoren wird bei rheumatoiden Arthritis-Patienten alle drei Monate evaluiert.
Die Ziele im Therapieplan lauten:
- eine mindestens 50%ige Besserung der Beschwerden nach drei Monaten und
- eine Remission nach den ACR-EULAR-Kriterien bzw. eine niedrige Krankheitsaktivität (CDAI ≤ 10) nach sechs Monaten.
Schafft der Patient dies nicht, raten die Experten zum Therapiewechsel.
Worauf ist vor einer Therapie mit IL-6-Inhibitoren zu achten?
Bevor die IL-6-Inhibition startet, müssen Kontraindikationen ausgeschlossen werden. Dazu gehören:
- Hypersensitivität auf den Wirkstoff bzw. im Präparat enthaltene Substanzen
- aktive schwere Infektion oder rezidivierende bzw. chronische Infekte
- Divertikulitis
Zudem sollte der Patient weder eine latente Tuberkulose, eine Hepatitis B oder C noch schwere Lebererkrankungen, Magengeschwüre, Blutbildveränderungen, schwere Fettstoffwechselstörungen oder Malignome aufweisen.
Menschen unter IL-6-Inhibiton sollten zudem keine Lebendimpfstoffe erhalten. Idealerweise hat man vor Therapiebeginn alle bestehenden Impflücken geschlossen. Allerdings belegen Studien, dass Tocilizumab die Antikörperbildung nach Pneumokokken-, Influenza- und Tetanusimpfung nicht stört – es sei denn, es wird gleichzeitig Methotrexat verabreicht. Auch der Effekt einer Covid-19-Impfung wird durch Tocilizumab offenbar nicht beeinflusst.
Wie sicher sind IL-6-Inhibitoren?
Inzwischen gibt es viele Sicherheitsdaten zur IL-6-Rezeptorblockade. Bedenken bei einer Immunmodulation bestehen immer hinsichtlich der erhöhten Gefahr für Infektionen. Erwähnt werden sollte in diesem Zusammenhang, dass IL-6-Inhibitoren nicht nur die APP-Produktion senken.
Sie reduzieren auch die Neutrophilen und bremsen die Entwicklung von Fieber. Dadurch können bei akuten Infekten Warnsignale und Beschwerden fehlen, was die Diagnose verzögert. Dies gilt insbesondere bei Kindern, die mögliche Beschwerden noch nicht richtig formulieren können.
Im Folgenden sind die Sicherheitssignale zu Tocilizumab für einzelne wichtige Punkte aufgeführt.
Infektionen
Der IL-6-Rezeptorblocker erhöht das Risiko für Septikämie, Divertikulitis, Pneumonie, Atemwegs- und Hautinfektionen. Die Raten schwerer Infektionen und infektionsbedingter Hospitalisierungen ähneln insgesamt den Raten anderer Biologika. Hinsichtlich Herpes Zoster, opportunistischer Infektionen und Tuberkulose besteht ein ähnliches Risiko wie bei TNF-Blockern oder Abatacept.
Gastrointestinales System und Fettstoffwechsel
Das Risiko für eine Darmperforation liegt höher als bei der Einnahme anderer bDMARD. In einer Studie stiegen bei mehr als der Hälfte der behandelten Patienten die Transaminasewerte, vor allem, wenn sie gleichzeitig Methotrexat einnahmen.
Schwere hepatische Nebenwirkungen traten in 0,04/100 Patientenjahren auf. Tocilizumab lässt sowohl das mediane totale Cholesterol, also auch LDL-Cholesterin und Triglyzeride stärker ansteigen als Placebo.
Auch im Vergleich zu Adalimumab erhöhten sich z.B. HDL-C und LDL-C stärker. Insgesamt betrachtet beeinflusst Tocilizumab die Blutlipide aber in Richtung eines anti-inflammatorischen Profils.
Blutbild
Der IL-6-Inhibitor erhöht bei Patienten mit rheumatoider Arthritis Hämoglobin- und Hämatokritwerte signifikant. Das liegt u.a. an der reduzierten hepatischen Produktion von Akute-Phase-Proteinen – eines davon, Hepcidin, hemmt die Eisenresorption. Gemäss gepoolten Analysen führt Tocilizumab häufiger zu Neutropenie und Thrombopenie als Placebo.
Oft steigen die Werte nach einem initialen Absinken in den ersten beiden Wochen der Therapie wieder an. Eine seltene, aber dramatische Nebenwirkung der IL-6-Rezeptorblockade ist das Makrophagen-Aktivierungssyndrom, vor allem bei Kindern.
Hypersensitivitätsreaktion
In einer Studie mit 9.000 Patienten unter Tocilizumab (3.000 s.c., 6.000 i.v.) kam es in einen Prozent der Fälle zu einer Hypersensitivitätsreaktion. Insgesamt zeigten sich Reaktionen häufiger bei intravenöser Gabe, wobei 20 bis 40 Prozent davon schwer verliefen.
Medikamentenspezifische Antikörper hatten darauf keinen Einfluss. Der zweite zugelassene IL-6-Hemmer Sarilumab ist nur für die subkutane Gabe erhältlich. Er löste bei 0,3 Prozent der Patienten eine Hypersensitivitätsreaktion aus, die zum Abbruch der Behandlung führte.
Fehlgeburten und Aborte
Globalen Daten zufolge traten unter Tocilizumab Frühgeburten zu etwa 33 Prozent und Spontanaborte zu 21,7 Prozent auf. Diese Raten unterscheiden sich nicht von denen der TNF-Blocker und sind womöglich durch eine insgesamt höhere Krankheitsaktivität bei diesen Patientinnen bedingt. Das Risiko für Geburtsfehler ist offenbar nicht erhöht. Die Behandlung bei Männern scheint das Schwangerschaftsergebnis ebenfalls nicht negativ zu beeinflussen.
Malignome
Zahlreichen Registern zufolge erhöht eine IL-6-Blockade das Risiko für Malignome nicht. rheumatoide Arthritis-Patienten unter Tocilizumab entwickelten im Vergleich zu jenen unter csDMARD sogar seltener eine maligne Erkrankung (mit Ausnahme des weissen Hautkrebses).
Herz, Lunge, Niere und Knochen
Kardiovaskuläre Nebenwirkungen scheinen bei Patienten mit rheumatoider Arthritis unter Tocilizumab im Vergleich zu anderen bDMARD nicht vermehrt aufzutreten. Entwarnung gibt es auch im Hinblick auf Komorbiditäten: Tocilizumab war bei niereninsuffizienten Patienten sicher, unabhängig davon, ob gleichzeitig Methotrexat verabreicht wurde oder nicht.
Ausserdem scheint es das Risiko für eine interstitielle Lungenerkrankung nicht zu erhöhen und wirkt sich auch im Vergleich zu TNF-a-Blockern nicht negativ auf das Osteoporoserisiko aus. Im Gegenteil, Tocilizumab scheint sogar die Knochendichte positiv zu beeinflussen.
Die IL-6-Bockade verschlechtert auch einen Diabetes nicht. In einer Studie verbesserte sich der HbA1-Wert unter Sarilumab sogar mehr als unter Placebo oder Adalimumab.
IL-6-Inhibitoren und ihr Einsatz
Die Zulassungen der IL-6-Inhibitoren unterscheiden sich weltweit. Tocilizumab ist in der Schweiz zugelassen für die rheumatoide Arthritis, die polyartikuläre und systemische juvenile idiopathische Arthritis und die Riesenzellarteriitis. In den USA ist es seit 2022 zur Behandlung der interstitiellen Lungenerkrankung (ILD) bei systemischer Sklerose (SSc) zugelassen, in Japan auch für die Takayasu-Arteriitis und den Morbus Still bei Erwachsenen. Sarilumab hat die Zulassung für die rheumatoide Arthritis, Satralizumab für die Neuromyelitis-Optica-Spektrum-Erkrankung, Siltuximab für den Morbus Castleman.
Vielversprechende Kandidaten sind IL-6-Inhibitoren bei der Polymyalgia rheumatica. Bei der systemischen Sklerose (SSc) wirken sie positiv auf die Lunge, jedoch nicht auf die Haut. Keinen Effekt hatten IL-6-Inhibitoren bisher auf die axiale Spondyloarthritis, Psoriasis und Psoriasisarthritis sowie das Sjögren-Syndrom. Beim systemischen Lupus erythematodes ist die Studienlage noch unklar.
Aletaha D et al. Consensus statement on blocking interleukin-6 receptor and interleukin-6 in inflammatory conditions: an update. Ann Rheum Dis. 2023 Jun;82(6):773-787. doi: 10.1136/ard-2022-222784