Wie Adipositas respiratorische Komplikationen triggert
Die Adipositas als Risikofaktor für respiratorische Komplikationen unterschätzen viele. Vor allem das abdominelle Fettgewebe belastet die Lunge. Das exspiratorische Reservevolumen wird oft als erstes in Mitleidenschaft gezogen.
Für die Belastung der Lunge durch Adipositas ist das Verteilungsmuster des Körperfetts entscheidend: Beim abdominellen Typ kommt es im Vergleich zum gynäkoiden vermehrt zu respiratorischen Komplikationen.
Das Fett behindert dabei die Thoraxexkursionen und der erhöhte Druck im Bauchraum bremst das Zwerchfell, erläutern die Londoner Kardiologin Dr. Neeraj Shah und der Pneumologe Dr. Georgios Kaltsakas in einer neuen Übersichtsarbeit (1) . Auch die Dehnbarkeit der Lunge nimmt ab.
Lungenerkrankungen und Befunde, die häufig mit Adipositas assoziiert sind
Obesitas-Hypoventilationssyndrom | • meistens zusammen mit OSA (90 %) • kann bis zur hyperkapnischen respiratorischen Insuffizienz führen |
Obstruktive Schlafapnoe (OSA) | • deutlich häufiger bei Adipositas • Gewichtsabnahme bei Adipösen verbessert i.d.R. die Symptome |
Chronisch obstruktive Lungenerkrankung | • Prävalenz erhöht |
Asthma bronchiale | • Prävalenz erhöht • zunehmende Schwere bei höherem BMI • schlechteres Ansprechen auf Kortikosteroide |
Infektionen | • komplexe Interaktionen • u.a. erhöhtes Risiko für schwere Krankheitsverläufe bei viralen Erkrankungen wie Covid-19 |
Lungenstrombahn | • Assoziation mit pulmonaler Hypertonie • Risiko für Thrombosen und Lungenembolien erhöht |
Bei höherem BMI nimmt der Atemwiderstand zu
Die Erkrankung wirkt sich dabei primär auf das exspiratorische Reservevolumen aus, im Verlauf auch auf eine Reihe anderer Parameter, schreiben die Experten. Die totale Lungenkapazität (TLC) ist aber in der Regel nur bei extremen BMI-Werten von über 40 kg/m2 verringert. Daher solle man bei Menschen mit Adipositas und verringerter TLC zunächst nach anderen Pathologien suchen.
Vitalkapazität und Einsekundenkapazität sind meist beide leicht reduziert, wodurch ihr Verhältnis zueinander im Normbereich bleibt. Der maximale exspiratorische Fluss kann allerdings deutlich beeinträchtigt sein, was auf eine Obstruktion der kleinen Atemwege hindeutet und ein frühes Anzeichen der respiratorischen Beeinträchtigung darstellen kann. Insgesamt zeichnet sich in der Ganzkörperplethysmografie bei einem höheren BMI charakteristischerweise eine Erhöhung des Atemwiderstands ab.
Prävalenz der COPD steigt mit dem BMI
Die Beziehung zwischen Adipositas und chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) ist komplex, die Studienlage zu den dahintersteckenden Mechanismen dünn, schreiben Dr. Shah und Dr. Kaltsakas.
Unstrittig sei aber, dass die COPD unter Adipösen weit verbreitet ist und dass die Prävalenz mit dem BMI steigt. Die Krankheitsschwere korreliert mit dem BMI allerdings nicht. Dass Patienten mit Adipositas mit fortgeschrittener COPD hinsichtlich der Gesamtmortalität schlankeren Patienten gegenüber im Vorteil sind, ist hingegen nur auf den ersten Blick ein Paradoxon (siehe Kasten).
Statistisch von Vorteil – und trotzdem schädlich
Das Adipositas-Paradoxon besagt im Zusammenhang mit COPD, dass bei Patienten mit fortgeschrittener Lungenerkrankung ein hoher BMI einen protektiven Effekt hinsichtlich der Gesamtmortalität hat. Verständlich wird der Zusammenhang, wenn man sich vor Augen führt, dass ein niedriger BMI bei COPD generell mit einer schlechten Prognose einhergeht. Und übrigens: Für Patienten mit milder COPD gilt das Paradoxon nicht.
Auch für andere Krankheiten werden solche Adipositas-Paradoxa beobachtet. Bei respiratorischen Infekten beispielsweise scheint die Adipositas mit einer besseren Prognose einherzugehen. So sterben Patienten auf der Intensivstation seltener, wenn ihr BMI erhöht ist, als wenn er im Normalbereich liegt. Warum das so ist, bleibt allerdings unklar.
10 Prozent mehr Gewicht steigern Risiko für obstruktive Schlafapnoe drastisch
Die obstruktive Schlafapnoe (OSA) steht in engem Zusammenhang mit starkem Übergewicht. So führt eine Zunahme des Körpergewichts um zehn Prozent zur sechsfach erhöhten Wahrscheinlichkeit, dass der Patient eine OSA entwickelt. Verschiedene Mechanismen sorgen dafür, dass die Atemwege der Betroffenen leichter kollabieren.
Eine Adipositas gilt nicht nur als Risikofaktor für die Entwicklung einer pulmonalen Hypertonie, sie erschwert bei der arteriellen Form (PAH) auch die Therapie und verschlechtert die Prognose. Noch unklar ist, wie sich der hohe BMI auf die Mortalität bei PAH auswirkt.
Eine Verbindung besteht laut der Autoren möglicherweise zu obstruktiver Schlafapnoe, Obesitas-Hypoventilationssyndrom (s. Tabelle) oder Adipositas-bedingter Kardiomyopathie. Venöse Thrombosen und pulmonale Embolien scheinen bei Adipositas-Patienten ebenfalls häufiger aufzutreten. Je höher der BMI, desto öfter kommt es zu venösen Thromboembolien, schreiben die Autoren.
Die körperlichen Auswirkungen des massiven Übergewichts – grösserer Atemwegswiderstand, verringerte Lungenelastizität, höherer Alveolardruck – können zu einer generellen respiratorischen Insuffizienz u.a. mit Mikroatelektasen führen. Patienten mit Adipositas müssen folglich mehr Atemarbeit leisten als schlanke Menschen. Ihr Körper kompensiert dies durch einen gesteigerten Atemantrieb, der oft mit dem Gefühl der Kurzatmigkeit einhergeht.
Atemaussetzer führen auch tagsüber zur Hyperkapnie
Kann die erhöhte Atemfrequenz das Sauerstoffdefizit nicht ausgleichen, droht eine hyperkapnische respiratorische Insuffizienz. Kommt es tagsüber zur Hyperkapnie und bestehen keine anderen Gründe für die erhöhten CO2-Werte, spricht man vom Obesitas-Hypoventilationssyndrom (OHS).
Das Obesitas-Hypoventilationssyndrom geht bei 90 Prozent der Betroffenen mit einer obstruktiven Schlafapnoe einher. Anfangs tragen die gelegentlichen Atemaussetzer im Zusammenspiel mit CO2-Produktion und erhöhtem Atemantrieb zur Hyperkapnie bei. Im weiteren Verlauf addieren sich die negativen Einflüsse und die nächtliche CO2-Retention wird zur Ganztageshyperkapnie.
Erleichterung für die Lunge der Patienten bringt nur eine Gewichtsabnahme. Sie kann die Lungenparameter nachweislich deutlich verbessern und die schädlichen Effekte abwenden. Das gelingt beispielsweise über eine kontrollierte Ernährung, bei Bedarf auch in Verbindung mit einem bariatrischen Eingriff. Letztendlich ist es wichtig, die Auswirkungen der Adipositas auf das Atemsystem im Blick zu haben, betonen die Autoren abschliessend.
Mehr Fett, mehr Entzündung, mehr Viren
Konsequenzen ergeben sich bei Adipositas auch aus der erhöhten Anzahl Fettzellen. Diese führt zu einem proinflammatorischen Zustand im Organismus (u.a. durch die Ausschüttung von proinflammatorischen Zytokinen wie IL-6 und von Leptin). Die Atemwege werden empfindlicher, was z.B. ein Asthma bronchiale begünstigt. In Studien stieg die Schwere des Asthmas mit dem BMI an, das Therapieansprechen wurde schlechter, Exazerbationen häufiger, schreiben die Kollegen.
Die Covid-19-Pandemie hat eindrücklich gezeigt, dass auch virale Infektionen bei Adipositas potenziell schwerer verlaufen und vermehrt mit Spitaleinweisungen und Tod einhergehen können. Abgesehen von der erhöhten Komorbidität in dieser Patientengruppe könnte ein weiterer Grund dafür der transmembrane ACE2-Rezeptor sein, den das Virus als Eintrittspforte nutzt. Dieser ist auch auf Fettzellen zu finden und somit bei Adipösen in grösseren Mengen vorhanden. Die Fettzellen dienen dem Erreger dann als Reservoir.
Zusätzlich scheint die antivirale Immunantwort durch die Adipositas beeinträchtigt, wie Beobachtungen bei Influenza nahelegen. Zum Zytokinsturm bei schwer kranken Corona-Patienten könnte zusätzlich der chronische Entzündungszustand beitragen (u.a. hohe Leptin- und IL-6-Spiegel).
Bei bakteriellen Infekten erscheint die Studienlage dagegen widersprüchlich. Insgesamt leiden Adipöse häufiger unter bakteriellen Atemwegsinfektionen. Auch kommt es mit einer höheren Wahrscheinlichkeit zum Acute Respiratory Distress Syndrome.
- Shah NM, Kaltsakas G. Respiratory complications of obesity: from early changes to respiratory failure. Breathe 2023; 19: 220263; doi: 10.1183/20734735.0263-2022