Medical Tribune
2. Juni 2023Langzeit-EEG to go

Epilepsie: Mobile Diagnostik und Therapiemonitoring

Die Anfallsdokumentation von Epilepsiepatienten spiegelt die epileptische Aktivität nur unzureichend wider. Das Video-EEG-Monitoring ist deutlich zuverlässiger, wird aber maximal über einige Tage kontinuierlich eingesetzt. Um ein vollständigeres Bild über Typ und Aktivität des Krampfleidens zu erhalten, braucht man Ultra-Langzeit-EEG. Doch die haben noch ihre Tücken.

Junge Frau mit Elektrodenausrüstung auf dem Kopf mit klinischem Test im Krankenhaus
shironosov/GettyImages

Das Routine-EEG erkennt etwa 70 Prozent der Anfallsmuster, das Langzeit-EEG im Spital etwa 80–85 Prozent. Durch ultralange EEG-Registrierungen über Wochen bis Monate könnte der Anteil auf 90–95 Prozenterhöht werden, erklärt Professor Dr. Andreas Schulze-Bonhage vom Epilepsiezentrum des Universitätsklinikums Freiburg (1).

Ein konventionelles Skalp-EEG eignet sich dabei für die Ultra-Langzeit-Ableitung nicht. Denn die Elektrodenpflege ist zu komplex, die Signalstabilität fraglich. Auch Probleme mit der Hautverträglichkeit gibt es über längere Anwendungsdauer, und die starke Sichtbarkeit stigmatisiert.

Bisher verfügbare Modelle sind nicht genau genug

Miniaturisierte Elektroden lösen zwar das Verträglichkeitsproblem und fallen kaum auf. Doch sie sind mechanisch instabil und für eine Anwendung über mehr als acht Stunden nicht geeignet. Zwar gibt es ambulatorische Systeme mit Wegwerfelektrodensets, sie lassen sich aber nur über einige Tage verwenden.

«Was wir brauchen, sind wirklich mobile EEG-Systeme», betont Prof. Schulze-Bonhage. Die aktuell verfügbaren oder in Entwicklung befindlichen Modelle haben seiner Auffassung nach aber noch Tücken. Ihre Sensitivität und Spezifität seien bei einer ausschliesslich automatisierten Analyse nicht ausreichend.

Als Beispiel nennt Prof. Schulze-Bonhage ein Ultra-Langzeit-EEG, bei dem eine Elektrode subkutan hinter dem Ohr implantiert wird. Dieses bietet dann zwar eine sehr gute Signalqualität, und auch inter­iktale Spikes wie auch iktale Anfallsmuster werden erkannt, erklärt der Neurologe. Mus­ter von Artefakten, beispielsweise durch Kauen, zu unterscheiden, fällt allerdings schwer. Zudem korreliert die Anfallsdetektion nicht mit den Aufzeichnungen der Patienten. Die Anfallszahl kann dabei um den Faktor 10 variieren. Zudem gibt es divergente zeitliche Informationen über die Ereignisse und unterschiedliche Trends in der Entwicklung der Anfallsfrequenz.

«Man kann bestimmte Informationen entnehmen, etwa bestimmte Zeiten, zu denen Anfallsereignisse auftreten. Aber die individuelle Korrelation mit dem, was ein Patient dokumentiert, ist ausserordentlich schlecht», fasst Prof. Schulze-Bonhage zusammen. Ausserdem müsse noch validiert werden, was die diversen Anfallsmuster im Ultra-Langzeit-EEG im Einzelnen bedeuten.

Australisches System gut für präoperative Infos

Weitere Systeme für ultralange Ableitungen stehen hierzulande noch nicht zur Verfügung. In Australien wurde ein System mit bilateraler subkutaner Ableitung über beiden Temporallappen entwickelt (Epiminder, aktuell noch nicht CE-zertifiziert).

Für die prächirurgische Diagnostik ist das definitiv interessant, meint Prof. Schulze-Bonhage. Er berichtet über eine Studie mit Patienten, bei denen eine unilaterale Epilepsie vermutet worden war. In einem Drittel der Fälle zeigte sich nach der EEG-Ableitung über einen Monat, dass es sich um eine bilaterale mesiale Temporallappenepilepsie handelte.

Eine weitere zukünftige Option könnte die Nutzung von Stimulationssystemen sein, um Anfallsmuster über lange Zeit zu dokumentieren. Als Beispiel nannte Prof. Schulze-Bonhage das EASEE (Epicranial Application of Stimulation Electrodes for Epilepsy), ein System, das subgaleal implantiert wird.

Aktuell sieht er noch viele Limitationen für das Ultra-Langzeit-EEG, sei es in der Kanalzahl, der regionalen Erfassung der epileptischen Aktivität, dem Komfort der Datenübertragung – der Patient muss ein Gerät mit sich führen. Auch der Aufwand auf ärztlicher Seite sei erheblich. Derzeit rechnet der Experte mit zusätzlich 45 Minuten EEG-Analyse pro Monat für das Sichten und Aussortieren der Artefakte in der Aufzeichnung. Alles anschauen könne man aber natürlich nicht.

Indikationen für das Ultra-Langzeit-EEG

Als wichtige Einsatzmöglichkeiten der Langzeitmessungen nannte Prof. Schulze-Bonhage:

  • Verifizierung der Epilepsiedia­gnose
  • Dokumentation der Anfalls­frequenz
  • Objektivierung von Therapie­effekten
  • Anfallsvorhersage
  • Alarmierung von Angehörigen, Pflegepersonal oder Notruf
  • in der Zukunft: Closed-Loop-Behandlungen