Multiple Sklerose: Mit Fatigue und kognitiven Beeinträchtigungen umgehen lernen
Einbussen bei kongnitiven Fähigkeiten sind so häufig bei Patienten mit MS, und dennoch gibt es so wenig Betreuungsangebote. Am ECTRIMS-Kongress 2022 zeigten Experten auf, wie vor allem jüngere Patienten, die oft in Beruf und Familie gefordert sind, unterstützt werden können.
«Über kognitive Probleme klagen 40–50 Prozent aller MS-Betroffenen», sagt Professor Dr. Roshan Das Nair, Klinische Psychologie und Neuropsychologie, Universität Nottingham (1). «Sie fühlen sich im familiären, sozialen und beruflichen Umfeld beeinträchtigt.»
Die kognitive Rehabilitation wirkt
Inzwischen existieren zahlreiche Studien zur Evaluierung der Wirksamkeit einer kognitiven Rehabilitation. Der Experte verwies auf einen Cochrane Review (2), der eine objektive und subjektive Verbesserung der Gedächtnisleistung, der exekutiven Funktionen, der Stimmung und der Lebensqualität bestätigen konnte.
In Bezug auf Angst und Aktivitäten des täglichen Lebens war aber keine Besserung durch die kognitive Rehabilitation zu erkennen. Auch liess der Effekt über die Zeit nach, weshalb eine Fortführung der Massnahmen sinnvoll wäre, so Prof. Das Nair.
Allgemein gilt, dass bei älteren Personen eher mehr kognitive Domänen betroffen sind als bei jüngeren, und dass schwere kognitive Defizite häufiger auftreten. MS-Patienten mit einem höheren Volumen der grauen Substanz scheinen von kognitivem Training besser zu profitieren als jene mit Atrophie.
Kaum Angebote für Patienten mit MS und kognitiven Einschränkungen
Obwohl die Wirksamkeit von neuropsychologischen Massnahmen also belegt ist, profitieren jedoch noch immer zu wenige Menschen von diesen. Das offensichtliche Problem: Es fehlt an entsprechenden Angeboten. So werden in der Nottingham MS Clinic zwar mehr als 2.800 Personen mit MS betreut, doch steht dort weder ein klinischer Psychologe noch ein Neuropsychologe zur Verfügung, berichtet der Eperte.
Unter diesen Voraussetzungen ist es schwierig, ein kognitives Screening zur Früherkennung und entsprechende Reha-Massnahmen anzubieten. Ziel sollte es sein, bestehende kognitive Einschränkungen zu erkennen und Möglichkeiten zur Kompensation anzubieten, die vorhandene Leistungsfähigkeit zu erhalten und Coping-Strategien für kognitive Schwierigkeiten anzubieten.
Energieverschwendung bei Fatigue vermeiden
Die Fatigue bei der MS ist gekennzeichnet durch einen Mangel an körperlicher und mentaler Energie, erklärt auch Professor Dr. Daphne Kos, Leuven. Sowohl die Betroffenen als auch Angehörige und/oder Betreuungspersonen nehmen sie wahr. Belastend ist die Fatigue deshalb, weil sie die üblichen bzw. erwünschten Aktivitäten erschwert.
Als primäre Ursachen der MS-bedingten Fatigue kommen immunologische, neuroendokrinologische und kompensatorische Faktoren in Frage – Letztere wegen eines erhöhten Energieverbrauchs. Als sekundäre Faktoren erwähnte die Expertin die fehlende Balance zwischen Aktivität und Ruhe, körperliche Dekonditionierung, Angst und Stimmungsstörungen, unausgewogene Ernährung und Schlafprobleme.
Da keine wirksame Pharmakotherapie existiert, konzentriert sich das Management auf körperliche/sportliche Aktivitäten, Massnahmen zur Optimierung des Energieverbrauchs, kognitive Verhaltenstherapie und Entspannungstechniken. Kombinierte Übungsprogramme zur Verbesserung der aeroben Fitness, der Balance und der Muskelkraft empfehlen sich.
Wichtig ist das Erkennen von Schwachstellen, beispielsweise unnötiger Kraftaufwand oder zu lange Aktivitäten ohne Pause. Nach eingehender Analyse von Verhaltensmustern können individuelle Empfehlungen folgen. Ganz entscheidend ist das bewusste Vermeiden von Energieverschwendung, bzw. das effizientere Nutzen der verfügbaren Ressourcen.
«Patienten sollten lernen, mit der Fatigue zu leben»
Prof. Das Nair empfiehlt, das Denken im Hinblick auf die Fatigue zu restrukturieren: «Macht sich die Fatigue bemerkbar, soll man nicht sofort kapitulieren, sondern durchhalten, und dann eine Pause nutzen, um sich – möglichst an der frischen Luft – zu regenerieren.» Denn die Fatigue darf nicht über die Person bestimmen, sondern umgekehrt. Prof. Kos empfiehlt, folgende Punkte zu kommunizieren:
- die Fatigue lässt sich kontrollieren
- die Fatigue ist zeitlich begrenzt
- die Fatigue ist keine Katastrophe
Referenzen
- Educational Session 4 (RIMS): Updates in MS rehabilitation - cognitive and physical functioning and fatigue management. ECTRIMS 2022, 26.-28. Oktober 2022, Amsterdam, Niederlande
- Taylor LA et al. Memory rehabilitation for people with multiple sclerosis. Cochrane Database Syst Rev. 2021 Oct 18;10(10):CD008754. doi: 10.1002/14651858.CD008754.pub4