Halsschmerzen: Von harmlos bis kritisch
In den allermeisten Fällen ist eine Pharyngitis bei Kindern und Erwachsenen Symptom einer viralen Atemwegserkrankung, die innerhalb weniger Tage von selbst wieder ausheilt. Ein Experte berichtet, wann man dennoch genauer hinschauen sollte. Dazu gehören unter anderem einseitige Halsschmerzen.
«Was landläufig als ‹Halsweh› beschrieben wird, sind eigentlich Schluckschmerzen» erinnert Prof. Dr. Sandro Stöckli, Chefarzt der Hals-Nasen-Ohren-Klinik am Kantonsspital St. Gallen (1).
Wann man hellhörig werden sollte
Bei der Diagnose von Halsschmerzen gibt es für ihn vor allem zwei wichtige Fragen.
Wo liegen die Halsschmerzen?
Verspürt ein Patient die Schmerzen vor allem im Mund, zeigt sich häufig auch eine gerötete Rachenhinterwand – dann handelt es sich in den meisten Fällen um eine (viral bedingte) Pharyngitis.
Greift sich der Patient allerdings seitlich an den Hals, ist es nicht der Rachen, der schmerzt, sondern eine Lymphadenitis, bei der die angulären Lymphknoten Beschwerden verursachen. «Das könnte dann schon eher ein Zeichen für eine bakterielle Infektion sein, die möglicherweise eine Antibiotikagabe erforderlich macht.»
Sind die Halsschmerzen ein- oder beidseitig?
«Normal besteht bei einer Angina oder einer Pharyngitis ein beidseitiger Schluckschmerz. Ist dieser hingegen einseitig, ist das eher verdächtig», so Prof. Stöckli. Dann könnten – neben einer Seitenstrangangina (siehe Kasten) – auch etwa ein Peritonsillarabszess oder die seltene Angina Plaut-Vincenti in Frage kommen. Einseitige Halsschmerzen sollten daher zeitnah abgeklärt werden.
Seitenstrangangina
Eine Seitenstrangangina (Angina lateralis) äussert sich durch einseitige, oft starke Halsschmerzen. Hintergrund ist eine Entzündung der Rachenschleimhaut, bei der auch die Lymphknoten der betroffenen Seite in Mitleidenschaft gezogen sind.
Besonders häufig tritt sie bei Patienten auf, denen die Gaumenmandeln entfernt wurden (Tonsillektomie).
Fachärztliche Abklärung brauchen zudem insbesondere Schluckschmerzen, die über vier Wochen hinaus andauern. Denn auch hier könnten kompliziertere Ursachen dahinterstecken, wie eine Krebserkrankung im Bereich des Oropharynx, Hypopharynx, oder supraglottischen Larynx.
«Von Krebserkrankungen im Hals- und Rachenbereich sind heutzutage nicht mehr nur Menschen betroffen, die stark rauchen oder viel Alkohol trinken. Sie betreffen auch viele Patienten, die eine HPV-Infektion des Rachens aufweisen», so der Experte.
Bis zu 95 Prozent der Pharyngitiden sind viral bedingt
Beim Erwachsenen sind die Rachenmandeln in der Regel klein, vernarbt und meist kaum sichtbar. Hat ein Erwachsener hingegen grosse, geschwollene Tonsillen, ist das meist pathologisch, so der Experte
Typisch für eine Tonsillopharyngitis ist eine diffuse Rötung an der Pharynxschleimhaut – vor allem an der Rachenhinterwand. Am häufigsten stecken virale Erreger dahinter– etwa die typischen «Erkältungsviren» aus den Klassen der Adeno-, Entero-, Influenza- und Parainfluenzaviren, sowie das Respiratory Syncytial Virus (RSV).
Typisch für diese Infekte sind plötzlich auftretende Halsschmerzen, sowie katarrhalische und grippale Begleitsymptome (Rhinitis, Husten, Kopf- und Gliederschmerzen). Fieber tritt zumindest bei erwachsenen Patienten mit viralen Infekten selten auf. Therapiert wird symptomatisch: Ausser einer Analgesie benötigen die Patienten in den allermeisten Fällen keinerlei Zusatztherapie – «und schon gar keine Antibiotika» betont Prof. Stöckli.
Hat ein Erwachsener eine Tonsillopharyngitis, ist diese in 85 bis 95 Prozent viral bedingt. Bei Kindern kommt es auf das Alter an: Während kleine Kinder ebenso häufig an viral bedingten Halsschmerzen leiden, haben Kindern im Alter zwischen fünf und sechzehn Jahren ein etwas erhöhtes Risiko für bakterielle Tonsillopharyngitiden.
Sonderfälle bei den Halsentzündungen
Eine wichtige Differenzialdiagnose ist vor allem in der pädiatrischen Praxis die Mononukleose. Die durch das Epstein-Barr-Virus ausgelöste Infektionskrankheit manifestiert sich typischerweise im Laufe der Adoleszenz.
Klinisch auffällig sind grosse, gerötete Tonsillen mit flächigen, gräulich-gelben und teils auch übelriechenden Belägen und Membranen. Typisch ist auch eine Schwellung der Lymphknoten – und zwar nicht nur im Kopf/Halsbereich: Auch andere proximale oder distale Lymphknoten wie die angulären, okzipitalen, nuchalen, axillären und inguinalen Lymphknoten können betroffen sein.
Die Therapie sollte symptomorientiert – mit Analgesie und Fiebersenkung - erfolgen. Wichtig ist, dass Patienten mit Mononukleose keinesfalls Sport treiben sollten, da aufgrund einer möglichen Hepatosplenomegalie doe Gefahr einer Milzruptur erhöht sein könnte. Prof. Stöckli empfiehlt daher, vier Wochen nach Abklingen der Symptome sonografisch die Milzgrösse zu ermitteln, und erst dann eine Freigabe zum Sport zu erteilen.
Eine weitere Sonderform der Pharyngitis ist die Soor-Pharyngitis, bei der ein Befall mit Candida albicans im Bereich des Gaumens stattfindet. Charakteristisch sind abwischbare weisse Beläge. Die Soorpharyngitis tritt vor allem bei Säuglingen auf, deren Hautbesiedelung noch nicht ausgereift ist, und bei denen sich C. albicans noch durchsetzen kann.
Früher trat sie auch häufiger bei Patienten mit HIV/AIDS auf. Dank der heute vorherrschenden Diagnostik und dem HIV-Management sieht man die Soor-Pharyngitis in diesem Zusammenhang heutzutage aber nur mehr selten. Gelegentlich anzutreffen ist sie bei Menschen mit Immunsuppression, Alkoholikern, oder unter (inhalativer oder systemischer) Steroidtherapie. Behandeln lässt sich die Soor-Pharyngitis in der Regel problemlos mit topischen Antimykotika.
Scharlach: Halsschmerzen und Himbeerzunge
Eine Erkrankung, die sich ebenfalls als erstes durch Halsschmerzen bemerkbar macht, ist Scharlach. Die Erkrankung wird durch Gruppe-A-Streptokokken ausgelöst und per Tröpfcheninfektion übertragen.
Zwei bis vier Tage nach der Ansteckung treten üblicherweise erste Symptome auf, darunter eine Entzündung des Rachens sowie der Gaumenmandeln, die deutlich geschwollen sind und mit weisslichen Belägen bedeckt sein können. Nicht untypisch ist ausserdem ein (meist rasch ansteigendes) Fieber. Ein spezifisches Symptom für die Erkrankung ist die Himbeerzunge, bei der die Zunge nach initialem weissen Belag nach einigen Tagen himberrot hervortritt (siehe Bild). Scharlach tritt zumeist im Kleinkindalter auf, und wird üblicherweise mit Antibiotika behandelt.
Herpangina: Selbstlimitierende Infektion mit Coxsackie-Viren
Eine weitere bei Kindern typische Infektion des Hals-Rachen-Bereiches, ist die durch das der Coxsackie-A-Virus verursachte Herpangina. Dabei treten initial sehr schmerzhafte multiple Bläschen an der Mundschleimhaut auf, die sich schliesslich eröffnen und danach als gelblich-fibrinös belegte Erosionen zutage treten. Zumeist ist der weiche Gaumen betroffen. Aber auch hier ist lediglich eine symptomatische Therapie angezeigt, und die Symptome klingen innerhalb weniger Tage von selbst ab.
Angina Plaut-Vincenti: Einseitige Halsschmerzen mit dramatischer Optik
Eine sehr seltene Form der Angina ist die Angina Plaut-Vincenti, oder auch Angina ulceromembranacea. Typischerweise tritt sie einseitig auf, weiters auffällig ist auch ein ausgeprägter Foetor ex ore. Bei der Angina Plaut-Vincenti findet sich typischerweise auf nur einer, meist geschwollenen, Tonsille ein solitäres fibrinbedecktes Ulkus. Auf diesem finden sich typischerweise fusiforme Stäbchen und Spirochäten. Aufgrund der frappanten Ähnlichkeit dieses Erscheinungsbildes mit einem Karzinom wird die Tonsille in solchen Fällen häufig biopsiert. «Ist man dann aber sicher, dass es sich um eine Plaut-Vincenti-Angina handelt, kann man nur warten – die Ulzera heilen innerhalb von zwei bis vier Wochen von selbst ab» erklärt Prof. Stöckli. Geschieht das nicht, ist eine Biopsie unvermeidbar. Dann muss ein Karzinom definitiv ausgeschlossen werden.
Ist die Angina Streptokokken-bedingt?
Besonders bei Kindern sollte zumindest die Möglichkeit einer akuten bakteriellen Angina tonsillaris bzw. Streptokokken-Angina in Betracht gezogen werden.
Eine Streptokokken-Angina macht sich im Rachen durch eine typische Vergrösserung der Tonsillen bemerkbar, die mit Eiterstippchen belegt sind, die nach einigen Tagen ineinander fliessen und richtige eitrige Lakunen bilden. Charakteristisch sind ausserdem ein stark geröteter Gaumen und Rachenbereich, sowie eine druckempfindliche Schwellung der Lymphknoten am Hals, vor allem im Kieferwinkel. Im Gegensatz zur Mononukleose sind dabei aber keine anderen Lymphknoten wie die okzipitalen bzw. nuchalen Lymphknoten beteiligt. Auffällig ist auch, dass typischerweise kein Husten auftritt. Klinisch, so sagt der Experte, ist die Streptokokken-Angina dennoch sehr schwer von einem viralen Infekt zu unterscheiden.
«Ein erster Anhaltspunkt, ob es sich um eine Streptokokken-Angina handeln könnte, liefert der McIsaac-Score (siehe Kasten). Beträgt dieser lediglich eins oder zwei, ist die Wahrscheinlichkeit für eine Streptokokken-Angina praktisch Null. Erst ab einem Score von drei empfiehlt es sich, einen Rachenabstrich vorzunehmen, und mittels Schnelltest auf Streptokokken der Gruppe A zu testen, die die Streptokokken-Angina ebenso wie Scharlach verursachen können.
Gefürchtet ist bei der Streptokokken-Angina eine Ausbreitung auf die Ohren, sowie das (extrem seltene) Streptokokken-bedingte rheumatische Fieber. Uneingedämmt kann eine fulminante Streptokokken-Angina auch zur entzündlichen Beteiligung von Organen wie dem Herzen, der Nieren sowie den Gelenken führen.
McIsaac-Score (modifizierte Centor-Kriterien)
So viele Punkte gibt es im Prognose-Score für:
- Fieber > 38°C (1 Punkt)
- Kein Husten
- Tonsillen-Rötung und -Beläge (1 Punkt)
- Zervikale Lymphadenopathie (1 Punkt)
- Alter 3 bis 14 Jahren (1 Punkt)
- Alter von 15 bis 44 Jahren (0 Punkte)
- Alter ≥ 45 Jahren (-1 Punkt)
Die Wahrscheinlichkeit eines positiven Rachenabstrichs ergab gemäss Untersuchungen bei einem McIsaac-Score von
- 1: zwischen 5 und 10%
- 2: zwischen 11 und 17%
- 3: zwischen 28 und 35%
- 4 oder 5: 51 bis 53%
Dennoch ist heutzutage eine Antibiotika-Gabe auch bei positivem Streptokokken-Befund nicht mehr in jedem Fall nötig. «In den allermeisten Fällen ist kein oder nur verzögert ein Antibiotikum nötig. Haben sich die Symptome nach 48 Stunden nicht verbessert, kann man immer noch mit der Antibiose starten.»
Mehrere Untersuchungen, so der Experte, hätten gezeigt, dass eine frühere Gabe von Antibiotika das Fortschreiten zum rheumatischen Fieber kaum vermeiden kann. Hat ein Arzt bei einem Patienten mit starken Krankheitssymptomen aber ein besonders schlechtes Gefühl, rechtfertigt das aber bei einem Verdacht auf eine Streptokokken-Angina natürlich die unmittelbare Gabe von Antibiotika. «Ein individueller ärztlicher Entscheid ist hier sicher nicht falsch.»
Ein Peritonsillarabszess braucht immer eine Therapie
Auch ein Peritonsillarabszess ist ein sehr ungünstiger Grund für Halsschmerzen. Er benötigt eigentlich immer eine Therapie, so Prof. Stöckli. Verdächtig sind dabei einseitige Halsschmerzen in Verbindung mit Krämpfen der Kaumuskulatur (Trismus).
Klinisch findet sich eine Vorwölbung des vorderen Gaumenbogens an der betroffenen Seite. Die Uvula ist dabei ebenfalls ödematös geschwollen und wandert auf die Gegenseite (Asymemetrie).
Ein Peritonsillarabszess erfordert eine Antibiotikatherapie, und der Abszess muss chirurgisch ausgeräumt werden.
Dieser Beitrag wurde am 26. Juli 2024 zugunsten der besseren Verständlichkeit aktualisiert.
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