Der Lebensstil, nicht die Gene, bestimmt über Altern und Gesundheit
«Healthy Aging», also die Möglichkeit, gesund und fit alt zu werden, ist keineswegs nur eine Sache der genetischen Grundausstattung. Den bei Weitem grösseren Einfluss hat der eigene Lebensstil. Mit regelmässiger leichter körperlicher Aktivität lässt sich das Risiko eines vorzeitigen Todes etwa um beachtliche 62 Prozent senken.
Zwischen 2020 und 2060 wird der Anteil der über 65-Jährigen um 79 Prozent zunehmen. In der Altersgruppe 80+ erwartet man eine Zunahme um 162 Prozent. Schon heute widerspiegelt sich die veränderte Altersstruktur beispielsweise auch bei der Zunahme der älteren Patienten im Universitätsspital Zürich zwischen 2000 und 2019: Sie beträgt sieben Prozent bei den Patienten < 65 Jahre und 41 Prozent in der Altersgruppe 80+.
Die genetische Grundausstattung spielt eine untergeordnete Rolle
Am Jahreskongress der Schweizer Kardiologen setzte sich die Expertin für altersmedizinische Aspekte, Professor Dr. Heike Bischoff-Ferrari, Klinikdirektorin Altersmedizin, Universitätsspital, Universität und Stadtspital Zürich, mit der Frage auseinander, wie relevant die Gene für eine mehr oder weniger ausgeprägte Langlebigkeit sind. Sie wies darauf hin, dass sich nur etwa 30 Prozent der Variabilität der Lebenserwartung durch die Gene erklären lassen. Als mehr als doppelt so relevant haben sich Umgebungs- und Lebensstil-Faktoren, vor allem Ernährung und körperliche Aktivität, erwiesen. Eine wichtige Rolle spielen auch mentale Gesundheit und physische Resilienz, die es erlaubt, Gesundheits-Stressoren ohne Funktionseinbusse zu überstehen.
Nicht zu unterschätzen ist das Potenzial epigenetischer Faktoren. Diese sind in der Lage, genetisch kodierte Risiken zu aktivieren. Prof. Bischoff-Ferrari veranschaulichte dies mit einem Flugzeug (genetische Grundausstattung) und dem Flugkapitän (Epigenetik), der das Flugzeug steuert.
Neun Faktoren beeinflussen den Alterungsprozess
Inzwischen sind neun Faktoren definiert worden, die den Alterungsprozess beeinflussen. Dazu zählen neben den epigenetischen Veränderungen die veränderte interzelluläre Kommunikation, die genomische Instabilität, der Telomerverlust, der Verlust der Protein-Homöostase (Proteostase), die deregulierte Nährstoff-Erkennung und -Verwertung, die mitochondriale Dysfunktion, die zelluläre Seneszenz sowie die Verarmung an funktionsfähigen Stammzellen.
Nach Meinung der Expertin wird die Zukunft der modernen Altersmedizin gehören, die direkt den Alterungsprozess manipuliert und damit biologische Alterungsprozesse verlangsamt und das Risiko für viele altersassoziierte Erkrankungen wie Demenz, Karzinome, Diabetes oder Herzerkrankungen kombiniert senken kann.
300 Minuten pro Tag nicht sitzen und nicht liegen
In 25 Studien, davon fünf randomisierte kontrollierte Studien (RCT), waren körperliche Aktivität und Training mit epigenetischen Veränderungen assoziiert und es zeigte sich ein starkes Signal, dass körperliche Aktivität das biologische Altern hinauszögern kann.
Eine Metaanalyse von sieben Kohortenstudien und eines RCT mit über 36.000 Teilnehmern (Durchschnittsalter 62,5 Jahre), prüfte die Auswirkungen des Gehens (Minuten pro Tag als leichte körperliche Aktivität via Accelerometer gemessen) auf eine verfrühte Mortalität. Bei regelmässiger leichter körperlicher Aktivität, das heisst Zeit, die man weder im Sitzen noch Liegen verbringt (entsprechend täglich 300 Minuten), liess sich das Risiko eines vorzeitigen Todes um beachtliche 62 Prozent senken. Durch konsequente körperliche Aktivität kann man viele altersbezogenen Erkrankungen vermeiden oder zumindest hinauszögern. Als Beispiele erwähnte Prof. Bischoff-Ferrari:
- Reduktion des Risikos für kognitive Defizite um 35 Prozent
- Senkung des Diabetesrisikos um 39 Prozent
- 42 Prozent weniger KHK
- 26 Prozent Abnahme des Risikos für sturzbedingte Frakturen
- eine Halbierung der vorzeitigen Gesamtmortalität
Zusammen mit gesunder (mediterraner) Ernährung, einem funktionierenden sozialen Netz und positiver Einstellung lässt es sich also länger besser leben.