Medical Tribune
11. Apr. 2022Endoskopie

Die Blutungsquelle im Dünndarm finden

Etwa 5 bis 10 Prozent aller gastrointestinalen Blutungen haben ihren Ursprung im Dünndarm. Im Gegensatz zum oberen und unteren Verdauungstrakt ist der Dünndarm mit konventionellen Endoskopie-Verfahren nicht vollständig einsehbar. Eine aktuelle Übersichtsarbeit in den Mayo Clinic Proceedings (1) gibt Auskunft, welche Schritte bei entsprechendem Verdacht als nächstes gesetzt werden sollten.

Wenn bei der Ösophago-­Gastro-Duodenoskopie (ÖGD) und der Koloskopie keine Blutungsquelle gefunden wird, obwohl es Anzeichen für eine gastrointestinale Blutung gibt (anhaltender Eisenmangel, positive Tests auf okkultes Blut im Stuhl, sichtbarer Blutverlust), liegt der Verdacht auf eine Dünndarmblutung nahe. Wichtige Differenzialdiagnosen bei Patienten unter 40 Jahren sind unter anderem entzündliche Darmerkrankungen, Polyposis-Syndrome und Meckel-Divertikel. Bei Personen über 40 Jahren sollte vor allem auch an vaskuläre Läsionen und Enteropathien gedacht werden.

Um eine Blutungsquelle im oberen oder unteren Gastrointestinaltrakt sicher auszuschliessen, sollte zunächst eine Wiederholung der endoskopischen Untersuchungen erwogen werden. Eine unmittelbare Untersuchung des gesamten Dünndarms ist lediglich in Ausnahmefällen angeraten, beispielsweise bei Patienten mit linksventrikulärem Herzunterstützungssystem, bei denen bis zu 30 Prozent der gastrointestinalen Blutungen im Dünndarm verortet sind.

Videokapsel spürt bis zu 73 Prozent der Blutungen auf

Bei stabilen sichtbaren oder okkulten Dünndarmblutungen wird die Videokapselendoskopie als nächster Schritt nach der ÖGD und Koloskopie empfohlen. Mit dieser Methode lassen sich zwischen 53 bis 73 Prozent der Dünndarmblutungen aufspüren. Für die Methode gibt es keine absoluten Kontraindikationen. In seltenen Fällen (1-2%) kann es jedoch auch bei Patienten ohne signifikante Risikofaktoren zu Kapselretentionen kommen.

Risiko einer Retention mit selbstauflösender Übungs-Kapsel testen

Das höchste Risiko hierfür tragen Patienten mit Morbus Crohn. Bei ihnen liegt die Rate der Kapselretentionen zwischen drei und 13 Prozent. Weitere Risikofaktoren sind ein Dünndarmverschluss in der Vorgeschichte, Verwachsungen im Bauchraum nach mehreren vorangegangenen Operationen und eine Strahlen­enteritis. Um das Risiko für eine Kapselretention vor der Untersuchung abschätzen zu können, eignet sich der Einsatz einer Testkapsel. Die sogenannten Patency-Kapseln haben die gleiche Form und Grös­se wie die eigentlichen Videokapseln, lösen sich jedoch nach etwa 80 Stunden selbst auf.

Als Alternative zur Videokapsel­endoskopie bietet sich die Mehrschicht-Computertomografie (CT) an. Die Detektionsraten für gastrointestinale Blutungen liegen allerdings nur zwischen 28 und 35 Prozent und damit deutlich niedriger als bei der Video­kapselendoskopie. Bei Patienten mit Nierenerkrankungen sollte eine Mehrschicht-CT allerdings nach Möglichkeit vermieden werden.

Ballonunterstützte und Push-Methoden

Sofern eine Blutungsquelle im Dünndarm identifiziert werden konnte, gilt es anhand der Lage (proximal oder distal) zu entscheiden, ob im nächsten Schritt eine Push- oder eine ballongestützte Enteroskopie (anterograd oder retrograd) durchgeführt werden sollte. Die Push-Enteroskopie kommt vor allem zur weiteren Abklärung von proximalen Dünndarmblutungen infrage, aber auch zur Überprüfung eines negativen ÖGD-Befundes.

Die ballonunterstützte Enteroskopie ist technisch komplexer als die Push-Methode, ermöglicht aber eine tiefere Intubation des Dünndarms. Sie kann anterograd oder retrograd durchgeführt werden, um die proximalen zwei Drittel bzw. das distale Drittel des Dünndarms zu untersuchen. Bei der Doppel-Ballon-Enteroskopie liegen die Detektionsraten zwischen 53 und 80 Prozent. Der Hauptvorteil dieser Methode ist die Möglichkeit, therapeutische Eingriffe durchzuführen und Läsionen zu markieren. Allerdings kommt es nach dem endoskopischen Eingriff relativ häufig zu Nachblutungen von vaskulären Läsionen wie Angi­ektasien.

Instabile Verläufe sind eher selten

Dünndarmblutungen treten meist als stabile sichtbare oder okkulte Blutungen auf. Ein instabiler Verlauf ist eher selten. Wenn jedoch der Verdacht auf eine fulminante Blutung aufkeimt, sollte der Patient sofort in ein Spital überwiesen werden. Bei hämodynamischer Instabilität ist eine Verlegung auf die Intensivstation angezeigt. Die Einnahme von Anti­koagulanzien, Thrombozytenaggregationshemmern und nicht­steroidalen Antirheumatika sollte nach Möglichkeit unterbrochen werden. Der Zielwert für die Hämoglobin-Transfusion liegt in der Regel bei 70 g/l bzw. bei 80 g/l für Patienten mit koronarer Herzkrankheit.

Sobald der Patient stabilisiert wurde, sollte die Dünndarmblutung mithilfe einer Untersuchungsmethode, die ein schnelles Ergebnis liefert, beurteilt werden. Hier bieten sich beispielsweise die CT-Angiografie, ein konventionelles Angiogramm, eine stationäre Kapselendoskopie oder eine Erythrozytenszintigrafie mit Technetium-99m-markierten Erythrozyten an.

Referenz

Havlichek DH 3rd et al. A Practical Guide to the Evaluation of Small Bowel Bleeding. Mayo Clin Proc. 2022 Jan;97(1):146-153. doi: 10.1016/j.mayocp.2021.09.021.