Medical Tribune
29. März 2022Nicht immer harmlos

Takotsubo-Syndrom: ungünstige Prognose nach neurologischem Trigger

Beim Stichwort Takotsubo-Syndrom stellen sich fast automatisch das Bild einer postmenopausalen Frau mit Brustschmerz und die Einschätzung «benigne, verschwindet folgenlos» ein. Beides stimmt so aber nicht immer.

Das Takotsubo-Syndrom tritt vielleicht häufiger, aber nicht nur bei postmenopausalen Frauen auf.
iStock/PIKSEL

«Die Forschung hat in den letzten Jahren viele falsche Vorstellungen zum Takotsubo-Syndrom (TTS) ausgeräumt, nicht nur die von der harmlosen Erkrankung alter Frauen», erläutert Professor Dr. Christian Templin, Universitätsherzzentrum Zürich, am 94. DNG-Kongress (1). Rund 15 Prozent der betroffenen Patienten sind Männer, und das TTS kommt in allen Altersgruppen vor. «Der jüngste Patient in unserem Register ist ein frühgeborenes Mädchen, das in der 28. Schwangerschaftswoche zur Welt kam», so der Kardiologe.

Auch dass als Trigger immer eine hochemotionale, negativ konnotierte Situation fungiert, hat sich als Irrtum erwiesen. Im Gegenteil: Häufiger noch als emotionale Ereignisse finden sich körperliche Auslöser. Dazu gehören etwa akute Atemnotanfälle, Operationen und Narkosen, zerebralnervöse Störungen oder Infektionen. Weniger als 30 Prozent sind allein auf einen emotionalen Trigger zurückzuführen, und das können – wenn auch selten – freudige Ereignisse sein wie ein Wiedersehen mit alten Freunden nach langer Trennung oder das Treffen mit den Enkelkindern. Eine ausgeprägte Hirn-Herz-Interaktion mit Beteiligung der Katecholamine ist in jedem Fall im Spiel.

Aus kardiologischer Sicht handelt es sich beim TTS um eine akute Herzinsuffizienz mit Wandbewegungsstörung, ausgelöst durch Spasmen der kleinsten den Herzmuskel versorgenden Gefässe, quasi eine mikrovaskuläre Form des akuten Koronarsyndroms (ACS). In den meisten Fällen findet sich eine Hyperkontraktilität der Herzbasis mit grosser Akinesiezone in der Mitte des Ventrikels. Es gibt aber auch Varianten mit Akinesien in anderen Zonen des Herzmuskels. Kennzeichen der Erkrankung ist die komplette Erholung von Wandbewegungsstörung und Herzfunktion nach etwa acht Wochen.

Gehäuft neurologische und psychiatrische Krankheiten bei TTS-Patienten

Das 2010 gegründete weltweite Register InterTAK hat viele Erkenntnisse über Prognosefaktoren und Verlauf des Takotsubo-Syndroms geliefert, wi Prof. Templin erklärt. Eine davon: Neurologische und psychiatrische Erkrankungen kommen bei TTS-Patienten zwei- bis dreimal so häufig vor wie bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom. Eine andere: Intrakranielle Blutungen, Schlaganfälle und Krampfanfälle können ein TTS triggern. Eine enge Korrelation scheint zwischen Krampfanfällen, TTS und dem Risiko für plötzliche unerklärliche Todesfälle bei Epilepsie (sudden unexplained death in epilepsy, SUDEP) zu bestehen. Das TTS wird sogar als Mechanismus hinter dem SUDEP diskutiert. Auf der Register-Webseite takotsubo-registry.com findet sich ein einfacher Score, der die Diagnose erleichtert.

Aus den InterTAK-Erkenntnissen haben die Kollegen ein Modell abgeleitet, in dem sie die Patienten vier Risikokategorien zuordnen:

  • Junge gesunde Menschen haben per se ein niedriges Risiko, weil mikrovaskuläre Funktion und sympathischer Ruhetonus normal sind. Sie brauchen schon einen sehr starken sympathischen Stimulus, um ein TTS zu entwickeln.
  • Bei den beiden mittleren Risikokategorien – einerseits Menschen mit hohem Sympathotonus, z.B. junge Depressive unter SNRI, andererseits solche mit mikrovaskulärer Funktionsstörung, etwa gesunde postmenopausale Frauen, kann schon ein moderater Stressor ein TTS triggern.
  • Bei Hochrisikopatienten sind beide Systeme dysfunktional, ein geringer Trigger reicht bei ihnen aus, um ein TTS in Gang zu setzen.

Gehöriges Mortalitätsrisiko

Das Takotsubo-Syndrom ist nicht so harmlos wie lange geglaubt, betonte Prof. Templin. Bei 2–8 Prozent der Patienten bilden sich Thromben in der Herzspitze, die vor allem in den ersten Tagen entsprechende Komplikationen in der systemischen oder pulmonalen Zirkulation verursachen können. Ein Risikoscore, in den TTS-Typ, vaskuläre Vorerkrankungen, Leukozytenzahl und linksventrikuläre Ejektionsfraktion eingehen, hilft zu entscheiden, welcher Patient prophylaktisch eine orale Antikoagulation für mindestens acht Wochen braucht, bis sich die Pumpfunktion völlig normalisiert hat. Andere Komplikationen kommen noch häufiger vor, z.B. bradykarde, vor allem aber tachykarde Arrhythmien, Klappenfunktionsstörungen, kardiogener Schock oder plötzlicher Herztod.

Langfristig ähnelt die Prognose der von Patienten mit akutem Koronarsyndrom – die Mortalität übersteigt 20 Prozent in zehn Jahren. Das Outcome hängt auch vom Auslöser ab. Emotionale Trigger gehen mit dem besten, akute neurologische mit dem schlechtesten Outcome einher. Das könnte ein Grund sein, weshalb das TTS lange Zeit als harmlos angesehen wurde – neurologische Erkrankungen galten zunächst als Ausschlusskriterium, sodass man anfangs nur Patienten mit vergleichsweise guter Prognose diagnostizierte.

Referenz
  1. 94. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. 3.-6-November 2021, Berlin, und online.