Medical Tribune
15. März 2022Finger weg von den Koronarien!

Revaskularisierung bei stabiler Angina pectoris oft unnötig

Aktuellen Studien zufolge profitieren nur wenige Patienten mit stabiler Angina pectoris von einer (alleinigen) Revaskularisierung. Deshalb sollten zunächst medikamentöse Optionen Vorrang haben. Doch wie sieht die optimale Pharmakotherapie aus und wo hat sie ihre Grenzen?

Kardiovaskuläre Ereignisse reduzieren, Symptome lindern, die Lebensqualität verbessern – das sind die wichtigsten Behandlungsziele bei stabiler Angina pectoris.

Randomisierte klinische Studien aus den letzten Jahrzehnten, in denen medikamentöse und invasive Ansätze zur Behandlung des chronischen Koronarsyndroms verglichen wurden, haben keinerlei Unterschiede bezüglich Sterblichkeit und Inzidenz von nichtfatalen Myokardinfarkten offenbart. Daher scheint bei den meisten Patienten zunächst eine optimierte medikamentöse Therapie über drei bis sechs Monate indiziert, bevor später eventuell eine Revaskularisierung folgt. Das berichtet eine Autorengruppe von der Boston University School of ­Medicine und Kollegen in einem aktuellen Review in The Lancet.

Mit nichtinvasiven Untersuchungen beginnen

Zur sekundären Prävention kardiovaskulärer Ereignisse haben sich – in Kombination mit Lebensstiländerungen – folgende krankheitsmodifizierende Therapien bewährt:

  • Acetylsalicylsäure mit oder ohne P2Y12-Inhibitor nach akutem Koronarsyndrom oder perkutaner Koronarintervention (PCI)
  • hochpotente Statine mit oder ohne Ezetimib, wenn die antianginöse Therapie zur Behandlung der obstruktiven koronaren Herzkrankheit versagt hat
  • ACE-Inhibitoren oder Angiotensin-Rezeptor-Blocker
  • Betablocker nach Herzinfarkt oder bei einer Ejektionsfraktion < 40%
  • SGLT2-Inhibitoren oder GLP1-Agonisten bei Patienten mit Diabetes
  • Rivaroxaban (2 × 2,5 mg/d) bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit oder peripherer Gefässerkrankung
  • PCSK-9-Inhibitoren bei LDL-Cholesterinwerten > 1,42 mmol/l
  • Icosapent-Ethyl bei Trigyzeridwerten > 1,71 mmol/l

Auch hinsichtlich Symptomlinderung und Lebensqualität steht eine medikamentöse Therapie der Revaskularisierung meist in nichts nach – ausser bei starken Angina-pectoris-Beschwerden. Klagt ein Patient über Symptome in der Brust, wird daher folgendes Vorgehen empfohlen: Bei Verdacht auf einen ischämischen Ursprung sollte zunächst eine nichtinvasive Untersuchung mittels CT-Koronarangiografie erfolgen, um eine Hauptstammstenose oder eine ausgedehnte Dreigefässerkrankung auszuschliessen. Zusätzlich kann eine Echokardiografie sinnvoll sein, um Patienten mit schwerer linksventrikulärer Beeinträchtigung zu identifizieren, für die eine alleinige medikamentöse Behandlung möglicherweise nicht angemessen wäre.

In allen anderen Fällen wird eine anti­anginöse Therapie mit Beta­blockern, Kalziumantagonisten und Nitraten (mindestens zwei dieser drei Medikamentenklassen) empfohlen, die in Abständen von ein bis zwei Monaten bis zur optimalen Dosis auftitriert werden sollten.

Für die Auswahl der antianginösen Therapie sind neben Begleit­erkrankungen, Wechselwirkungen und Patientenpräferenz auch hämodynamische Parameter (z.B. Herzfrequenz, Blutdruck) sowie die zugrunde liegenden Mechanismen zu berücksichtigen.

Therapieansprechen monatlich kontrollieren

So sollten z.B. bei Patienten, deren Beschwerden überwiegend unter Belastung auftreten, Betablocker, Kalziumantagonisten oder Nitrate zum Einsatz kommen, sofern ihr Blutdruck normal oder erhöht ist. Für einen Blutdruck unter 100–110 mmHg oder eine Herzfrequenz von weniger als 60 Schlägen pro Minute können hingegen andere Wirkstoffe (z.B. Ranolazin, Ivabradin) die bessere Wahl sein.

Das Therapieansprechen sollte in regelmässigen Abständen, idealerweise monatlich, beurteilt werden. Bevor man eine medikamentöse Behandlung als gescheitert betrachtet, raten die Autoren, entweder die Dosierung zu erhöhen oder weitere Thera­peutika hinzuzunehmen.

Keine Erfolgsgarantie durch Revaskularisierung

Bestehen die Symptome unter nur einem oder zwei antianginösen Wirkstoffen fort, so gilt dies (insbesondere bei niedriger Dosierung) in der Regel nicht als angemessener Versuch einer Pharmakotherapie. Es gibt allerdings Gründe, die gegen eine Intensivierung sprechen, z.B. inakzeptable Nebenwirkungen oder Unverträglichkeiten.

Abschliessend ist zu erwähnen, dass selbst eine erfolgreiche Revaskularisierung kein Garant für eine dauer­hafte Symptomkontrolle ist. So kommt es nach PCI bei 20–40 Prozent aller­ Patienten innerhalb von sechs bis zwölf Monaten zum Rezidiv. Aktuelle Studien­ergebnisse zeigen, dass eine optimierte Pharmakotherapie bei revaskularisierten Patienten sowohl die 5-Jahres- als auch die 10-Jahres-Mortalität signifikant senkt. Vor diesem Hintergrund erscheint es inakzeptabel, dass derzeit nicht einmal 33 Prozent der infrage kommenden Patienten tatsächlich eine entsprechende medikamentöse Therapie erhalten.

Referenzen