Medical Tribune
21. Okt. 2021Alle drei bis fünf Jahre Nutzen und Risiken abwägen

Langfristige Osteoporosetherapie individuell gestalten

Die Langzeittherapie der Osteoporose ist umstritten. Sie unterbleibt oft aus Furcht vor schweren Nebenwirkungen wie Kiefernekrose und Femurfrakturen. Dabei profitieren viele Patienten von der Behandlung.

Osteoporotischer Trabekelknochen, 3D-Darstellung, die weniger und dünnere Trabekel im Knochen mit Osteoporose zeigt
iStock/Dr_Microbe

Für sämtliche derzeit zugelassenen Osteoporose-Therapeutika ist eine Reduktion von Knochenmasseverlust und Frakturrisiko belegt. Genutzt werden verschiedene Wirkansätze:

  • Den Knochenabbau hemmen Bisphosphonate, Denosumab und selektive Östrogenrezeptormodulatoren (SERM) wie Raloxifen und Bazetoxifen.
  • Das Parathormon-Fragment Teriparatid wirkt osteoanabol.
  • Ein dualer Effekt zeigt sich beim Antikörper Romosozumab (s. Kasten oben).

Bei der postmenopausalen Osteoporose kann auch eine (Off-Label-) Hormonbehandlung mit Östrogen bzw. Östrogen/Gestagen die Knochen stärken und das Frakturrisiko senken. Männer profitieren analog von einer Androgenersatztherapie, schreiben die Professorin Dr. Barbara Obermayer-Pietsch von der Universitätsklinik Graz und Kollegen. Als Basismassnahme sollte bei allen Patienten eine adäquate Versorgung mit Kalzium und Vitamin D sichergestellt werden.

Neuer Antikörper

  • Für postmenopausale Patientinnen mit deutlich erhöhtem Frakturrisiko eignet sich der Sklerostin-Antikörper Romosozumab. Er wirkt in den ersten sechs Monaten osteoanabol und danach antiresorptiv.
  • Nach einjähriger Applikation wird eine Anschlusstherapie mit Denosumab empfohlen.
  • Wegen kardiovaskulärer Risiken kommt die Anwendung nur für Frauen ohne Herzinfarkt- oder Schlaganfall-Anamnese in Betracht.

In der Postmenopause das Frakturrisiko errechnen

Zur Dauer der spezifischen Therapie empfiehlt die Leitlinie des Dachverbandes Osteologie (DVO) eine erneute Abwägung von Nutzen und Risiko generell nach drei bis fünf Jahren (Lebenssituation, Komorbidität etc.). Für die jeweiligen Wirkstoffe werden eigene Zeiträume definiert.

Für die Praxis empfehlen die Autoren, bei sämtlichen postmenopausalen Frauen das Zehn-Jahres-Frakturrisiko zu errechnen (s. Link am Textende). Ist dieses moderat gesteigert, hat die Patientin die Wahl: Sie kann gleich ein Bisphosphonat einnehmen oder abwarten (Kontrolle nach zwei bis vier Jahren). Bei hohem Risiko ist eine sofortige medikamentöse Therapie indiziert. Fällt die Wahl auf ein Bisphosphonat, steht eine Prüfung nach drei bis fünf Jahren an. Dieser Zeitraum entspricht in etwa der Länge des nachgewiesenen Nutzens laut deutscher Leitlinie.

Bei einer deutlichen Besserung ist eine Therapiepause möglich. Wenn diese nicht eintritt, darf die Behandlung fortgesetzt werden. Denn man weiss inzwischen, dass Bisphosphonate auch noch länger einen Effekt zeigen (neun bis zehn Jahre).

Der Therapie mit Denosumab schreibt die DVO-Leitlinie einen nachgewiesenen Nutzen von bis zu drei Jahren zu. International wird dazu geraten, nach fünf bis zehn Jahren die Therapie zu evaluieren – weiterhin gefährdete Frauen dürfen die Behandlung fortführen. Die Reduktion des Frakturrisikos im Langzeiteinsatz (mehr als drei Jahre) sei mit der innerhalb der ersten drei Jahre vergleichbar, heisst es vonseiten der Wissenschaftler.

Nach dem Absetzen droht ein Rebound-Effekt mit verstärktem Knochenumsatz und hohem Frakturrisiko. Deshalb sollte die Patientin vor einer Therapiepause dann auf einen anderen abbauhemmenden Wirkstoff, z.B. ein Bisphosphonat, umgestellt werden.

Sequenzielle Medikation scheint Vorteile zu bieten

Patientinnen mit hohem Frakturrisiko können auch von einer Behandlung mit Teriparatid profitieren. Wegen der zeitlichen Begrenzung auf 24 Monate muss diese aber danach mit einem Bisphosphonat oder Denosumab zum Erhalt der Knochenmasse fortgesetzt werden. Wenn die genannten Medikamente nicht in Betracht kommen, können selektive Östrogenrezeptormodulatoren (Raloxifen, Bazedoxifen) oder eine Hormonersatztherapie für Abhilfe sorgen. Raloxifen scheint über bis zu acht Jahre zu wirken – einen zusätzlichen Vorteil bietet das reduzierte Brustkrebsrisiko.

Neue Perspektiven könnte die Kombination verschiedener Wirkansätze (zum Beispiel Bisphosphonat plus Teriparatid) eröffnen – die Supplementierung mit Kalzium und Vitamin D bleibt davon unberührt. Vorläufige Ergebnisse sprechen zudem für einen Nutzen sequenzieller Optionen. So führt der Wechsel von Alendronat zu Denosumab zu einer stärkeren Zunahme der Knochendichte als die fortgesetzte Therapie mit dem Bisphosphonat.

Doch auch die beste Therapie nützt nichts, wenn der Patient oder die Patientin nicht mitarbeitet. Zum einen liegt die Adhärenz generell mit 30 % bei oraler Medikation im ersten Jahr sehr niedrig, betonen die Autoren. Zum anderen hält sich die Sorge vor den Auswirkungen der Pharmakotherapie.

Eine Spritze in den Schenkelhals

Ein völlig neuer Therapieansatz ist die Local Osteo-Enhancement Procedure (LOEP). Dieses minimal-invasive Verfahren beruht auf der einmaligen Injektion eines speziellen kalziumhaltigen Materials in den bruchgefährdeten Knochen. Die beispielsweise am Schenkelhals eingebrachte Substanz wird in der Folge resorbiert und durch eigenen Knochen ersetzt.

Atypische Brüche auch ohne Trauma

So kann es unter Bisphosphonaten und Denosumab zu einer atypischen Femurschaftfraktur (s. Abbildung oben) kommen, die ohne oder bei nur geringem Trauma auftritt. Im Vergleich zur erzielten Reduktion der Schenkelhalsfrakturen ist das Risiko gering, es steigt aber mit der Therapiedauer und sinkt nach dem Absetzen rasch. Ausserdem darf man die Folgen einer solchen Fraktur nicht unterschätzen, so das Team um Prof. Obermayer-Pietsch.

Eine weitere schwerwiegende Komplikation der antiresorptiven Behandlung mit Bisphosphonaten und Denosumab ist die Kieferosteonekrose (s. Abbildung unten).Prädisponierende Faktoren liessen sich bisher noch nicht identifizieren. Der Schweregrad reicht von minimalen Symptomen bis zum freiliegenden Knochen. Die Inzidenz liegt mit ca. 1:10 000–1:100 000 allerdings wesentlich niedriger als beim höher dosierten Einsatz in der Onkologie (1–9 %). Prophylaktisch wird eine Verkürzung der Applikationszeit mit Therapiepausen (cave Denosumab) sowie eine sorgfältige orale Hygiene empfohlen.

Obermayer-Pietsch B et al. Internist 2021; 62: 474–485; doi: 10.1007/s00108-021-00993-3.

Das individuelle 10-Jahres-Risiko für eine Fraktur lässt sich mithilfe des FRAX-Rechners ermitteln:
www.sheffield.ac.uk/FRAX