Medical Tribune
11. Apr. 2024«Absoluter Benefit von Statinen steht über diabetesbezogenem Risiko»

Begünstigen Statine Diabetes?

Eine neue Metastudie unterstützt die bisherige Vermutung, dass die Einnahme von Statinen das Diabetesrisiko und den Blutzucker erhöhen kann. Experten zufolge überwiegt bei Statinen dennoch der kardiovaskuläre Nutzen ihren potenziellen Schaden.

Statine erhöhen das Diabetesrisko. Klinisch relevant ist das aber kaum.
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Statine erhöhen das Diabetesrisko. Klinisch relevant ist das aber kaum.

Die Analyse schloss Daten aus 23 randomisierten kontrollierten Studien mit insgesamt 154.665 Teilnehmern ein. Menschen ohne Diabetes zu Studienbeginn hatten darin unter Statinen ein erhöhtes Risiko für eine Diabetes-Neudiagnose. Betroffen waren vor allem Patienten, die bereits grenzwertige Blutzuckerwerte aufwiesen.

Bei Patienten, bei denen bereits ein Typ-2-Diabetes bekannt war, führten Statine ausserdem tendenziell zu einer Erhöhung der Glukosewerte. Doch selbst bei ihnen dürfte der Nutzen von Statinen die diabetesbezogenen Risiken überwiegen.

Moderater Anstieg der Diabetes-Neudiagnosen

Bereits im Vorfeld zeigten hatten einige Studien eine Assoziation von Statinen mit Diabetes gezeigt. Die in Lancet Diabetes & Endocrinology veröffentlichte Metaanalyse der «Cholesterol Treatment Trialists‘ Collaboration» ist besonders aussagekräftig, da sie die Daten einzelner Teilnehmer aus vielen Studien berücksichtigt.

Untersucht wurden unter anderem 19 Studien mit insgesamt 123.940 Probanden, die Statine mit einem Placebo verglichen (mediane Nachbeobachtungszeit 4,7 Jahre). 18 Prozent der Patienten hatten einen bereits bekannten Typ-2-Diabetes.

Ausserdem schloss die Studie vier doppelblinde Studien ein, die Statine niedriger mit jenen höherer Intensität verglichen. An ihnen nahmen insgesamt 30.724 Probanden teil (mediane Nachbeobachtungszeit 4,9 Jahre), 15 Prozent waren zu Studienbeginn bereits Diabetiker.

Die Analyse der placebokontrollierten Studienpopulation zeigte einen signifikanten 10-prozentigen Anstieg der Diabetes-Neudiagnosen bei Behandlung mit Statinen niedriger oder mittlerer Intensität. Bei Patienten, die hoch intensive Statine einnahmen, gab es im Schnitt eine signfikante 36-prozentige Erhöhung.

62% der Neudiagnosen im obersten Blutzucker-Quartil

Absolut gesprochen belief sich der Diabetes-Anstieg auf 0,12 Prozent pro Behandlungsjahr. Verglichen mit der weniger intensiven Statintherapie führte die intensivere Statintherapie zu einem 10-prozentigen Anstieg bei den Diabetesneudiagnosen, mit einem absoluten jährlichen Überschuss von 0,22 Prozent.

Fast zwei Drittel der zusätzlichen Diabetesfälle trat dabei bei Teilnehmenden ein, deren Blutzuckerwerte sich zu Studienbeginn bereits im höchsten Quartil befanden.

In den placebokontrollierten Studien lag der HbA1c um 0,06 Prozentpunkte höher als in der Placebogruppe, wenn Patienten mit Statinen niedriger oder mittlerer Intensität behandelt wurden. In der Gruppe mit den hochintensiven Statinen gab es sogar eine Erhöhung im 0,08 Prozentpunkte.

Zum Studienzeitpunkt bereits diagnostizierte Diabetiker erlitten in der Studie durch eine Statintherapie niedriger bis mittlerer Intensität ausserdem um 10 Prozent häufiger eine Verschlechterung des Blutzuckers (definiert als unerwünschtes glykämisches Ereignis, einen HbA1c-Anstieg von ≥ 0,5 Prozentpunkten oder eine Medikamenten-Eskalation). Die hochintensive Statintherapie war mit einem Anstieg dieser Ereignisse um 24 Prozent verbunden.

«Ganzheitliche Betreuung von Statin-Patienten notwendig»

Absolut dürften diese erhöhten diabetesbedingten Risiken aber nur bedingt Relevanz haben, so das Fazit von Prof. Dr. Marie Eva Pigeyre und Prof. Hertzel C. Gerstein in einem begleitenden Studienkommentar. «Die Senkung der absoluten jährlichen Inzidenz für lebensbedrohliche kardiovaskuläre Ereignisse durch Statine bei Personen mit hohem Risiko übertrifft deutlich eine um absolut 0,1-1,3 Prozent pro Jahr erhöhte absolute Inzidenz von Typ-2-Diabetes» so die Experten.

Sie raten ausserdem zu einer ganzheitlichen Betreuung der betroffenen Patienten. «Da Patienten mit erhöhtem Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse auch ein erhöhtes Typ-2-Diabetesrisiko haben, sollte jede Verschreibung eines Statins auch von Strategien begleitet werden, die Diabetes vermeiden oder verzögern können.» Dazu gehört etwa eine moderate Gewichtsreduktion und mehr körperliche Aktivität.

Die Studienautoren betonen, dass sie zwar davon abraten würden, nach Beginn einer Statintherapie routinemässig regelmässig die HbA1c-Werte zu überprüfen, empfehlen aber, einen möglichen neu auftretenden Diabetes bei diesen Patienten im Blick zu haben.