Medical Tribune
11. Dez. 2023Das Wichtigste in Kürze

Aktualisierte ESC-Leitlinien: Von Endokarditis bis Herzinsuffizienz

Auf dem jährlichen europäischen Kardiologenkongress (ESC) wurden wie üblich eine Reihe von Leitlinien-Updates präsentiert. Experten stellten in einer Session die wichtigsten Neuerungen vor.

Am Jahreskongress der Kardiologen (ESC) wurden Updates zu wichtigen Leitlinien vorgestellt.
Sergey Nivens/stock.adobe.com

Neuigkeiten gab es dieses Jahr zur Endokarditis, zur kardiovaskulären Therapie bei Diabetes, zu Kardiomyopathien, zum akuten Koronarsyndrom, sowie zur Herzinsuffizienz.

Update zur Endokarditis

Für Hochrisikopatienten, die eine infektiöse Endokarditis entwickeln könnten, ist die antibiotische Prophylaxe vor zahnärztlichen und kieferchirurgischen Eingriffen bereits etabliert (siehe Kasten). Nun wird weiter empfohlen, diese Prophylaxe auch für Hochrisikopatienten in Betracht zu ziehen, die sich einer invasiven diagnostischen oder therapeutischen Intervention unterziehen müssen. Und zwar unabhängig davon, ob diese im Atmungs-, Verdauungs-, Harn-, oder Bewegungsapparat stattfindet. Es gibt zudem eine Zusammenfassung der Empfehlungen im Kartenformat, die den behandelnden Ärzten zur Verfügung steht.

Die Empfehlungen zur Bildgebung wurden ebenso erweitert. Sie umfassen nun neben der klassischen Echokardiografie auch die Kardio-CT, die Positronenemissionstomografie bzw. CT mit 18F-Fluordesoxyglukose und die Leukozytenszintigrafie mit SPECT-CT. Für den Einsatz dieser Verfahren gibt es in den Leitlinien Algorithmen. Überarbeitete Entscheidungsbäume stehen auch für das therapeutische Vorgehen je nach Phase der Endokarditis sowie für mögliche chirurgische Indikationen, deren Timing und das Vorgehen bei Endokarditiden durch elektronische Implantate zur Verfügung.

Endokarditisprophylaxe vor hochriskanten Eingriffen an den Zähnen

SituationAntibiotikumErwachsene* Kinder*
Keine Allergie auf Penicllin oder AmpicillinAmoxicillin2  oral50 g/kg oral

Ampicillin2  i.m oder i.v.50 g/kg i.m. oder i.v. 

Cefazolin oder Ceftriaxon1  i.m. oder i.v.50 g/kg i.m. oder i.v. 
Allergie auf Penicllin oder AmpicillinCephalexin2  oral50 g/kg oral

Azithromycin oder Clarithromycin500 g oral15 g/kg oral

Doxycyclin100 g oral< 5 g: 2,2 g/kg oral > 5 g: 100 g oral 

Cefazolin oder Ceftriaxon1  i.m. oder i.v.50 g/kg i.m. oder i.v. 

* Einzeldosis jeweils 30–60 Minuten vor dem Eingriff

Update zur kardiovaskulären Therapie bei Diabetes

Ebenso wurden die neuen Leitlinien zum Management kardiovaskulärer Erkrankungen bei Diabetespatienten vorgestellt. Sie empfehlen grundsätzlich, bei jedem Patienten mit einer kardiovaskulären Erkrankung ein Diabetesscreening durchzuführen und bei Diabetikern ein kardiovaskuläres Screening. Bei letzterem wird zusätzlich die Niere untersucht.

Für die blutzuckersenkende Therapie wird ausserdem ein neues Konzept empfohlen. Dabei sollten in jedem Fall Substanzen mit nachgewiesenem Nutzen für das Herz-Kreislauf-System verwendet, gegebenenfalls sollte zu diesen Medikamenten gewechselt werden. Patienten mit atherosklerotisch bedingten Herz-Kreislauf-Erkrankungen sollten unabhängig von der glykämischen Kontrolle GLP1-Rezeptor-Agonisten oder SGLT2-Hemmer erhalten. Für die zusätzliche Blutzuckersteuerung eignen sich vor allem Metformin oder Pioglitazon.

Bei Diabetespatienten mit Herzinsuffizienz haben SGLT2-Hemmer Priorität, unabhängig von der Blutzuckereinstellung. Diese lassen sich durch die zusätzliche Gabe von GLP1-Analoga, Sitagliptin, Metformin oder Insulin glargin bzw. Insulin degludec ergänzen. Pioglitazon und Saxagliptin sollte man hingegen vermeiden, da sie in Studien das Risiko für insuffizienzbedingte Hospitalisierungen erhöht haben.

Bei Diabetespatienten mit chronischer Nierenerkrankung sollten Statine zur Senkung des kardiovaskulären Risikos und ACE-Hemmer oder Sartane zur Senkung des renalen Risikos verordnet werden. Zusätzlich erhalten die Patienten SGLT2-Hemmer und Finerenon, ergänzt durch eine gute Blutdruckkontrolle. Zur Blutzuckerregulierung eignen sich vor allem GLP1-Rezeptoragonisten.

Für Diabetespatienten ohne atherosklerotisch bedingte kardiovaskuläre Erkrankungen oder Endorganschäden gibt es einen neuen Risikoscore, den SCORE2-Diabetes, mit dem sich das kardiovaskuläre 10-Jahres-Risiko abschätzen lässt. Für den neuen Score wurde der klassische SCORE2 um die Parameter Alter zum Zeitpunkt der Dia­betesdiagnose, HbA1c und geschätzte GFR (eGFR) ergänzt. Abhängig von diesem Risiko gibt es Empfehlungen zu LDL-Zielen und Glukosemanagement. Die neue Leitlinie behandelt auch Themen wie Lebensstil, Arrhythmien und Typ-1-Diabetes.

Update zu Kardiomyopathien

Die Experten berichteten über Neuigkeiten zur Kardiomyopathie. Zunächst ist es wichtig, den richtigen Phänotyp der Erkrankung anhand von EKG, Laboruntersuchungen, genetischen Markern und klinischen Symptomen zu identifizieren. Zumindest bei der ersten Evaluation sollten die Patienten auch eine kardiale MRT erhalten, für eventuelle Kontrollaufnahmen gibt es in den Leitlinien klare Vorgaben.

Eine gründliche Familienanamnese bis in die dritte und vierte Generation hinein ist obligatorisch, idealerweise sollte auch eine genetische Testung durchgeführt werden. Für weitere Testungen in der Familie kann ein Algorithmus verwendet werden. Die Patienten sollten generell von einem multidisziplinären Team betreut werden, wobei die Therapie vor allem auf Arrhythmien und Herzinsuffizienz abzielt. Für jeden Phänotyp gibt es detaillierte Empfehlungen in den Leitlinien.

Update zum akuten Koronarsyndrom

Ein weiterer Punkt war das akute Koronarsyndrom (ACS). Die Leitlinien zum STEMI und NSTEMI wurden erstmals zusammengefasst, da Diagnostik und Basismassnahmen für beide Formen sowie für die instabile Angina gleich sind.

Eine Neuerung betrifft den NSTEMI: Hochrisikopatienten, die eine gesicherte Diagnose haben und einen GRACE-Risikoscore > 40 aufweisen, sollten innerhalb von 24 Stunden einer invasiven Behandlung unterzogen werden. Beim Herzstillstand ausserhalb des Krankenhauses wurde das Konzept der Hypothermie aufgegeben und es wird nun empfohlen, Fieber zu vermeiden. Wenn keine ST-Hebung zu sehen ist, ist keine routinemässige sofortige Angiografie mehr indiziert.

Für die antithrombotische Therapie vor einer primären perkutanen koronaren Intervention haben P2Y12-Inhibitoren nun eine Klasse-IIb-Empfehlung. Nach dem akuten Koronarsyndrom bleibt die Standardtherapie aus ASS und P2Y12-Inhibitor für zwölf Monate bestehen, danach wird ASS alleine empfohlen. Die alternativen Strategien zur Senkung des Blutungsrisikos wurden überarbeitet und sind in einem übersichtlichen Schema dargestellt, ebenso wie die Alternativen zu ASS in der Langzeittherapie.

Bei einer Multigefässerkrankung mit kardiogenem Schock sollte nach der Erstintervention eine stufenweise vollständige Revaskularisierung erfolgen. Wenn mehrere Gefässe zum STEMI geführt haben, wird eine vollständige Wiedereröffnung während der Indexprozedur oder innerhalb von 45 Tagen empfohlen, angiografiegesteuert. Eine eventuell erforderliche Intensivierung der LDL-Senkung sollte bereits bei der Einlieferung erfolgen. Krebspatienten sollten invasive Strategien erhalten, wenn ihre Lebenserwartung noch mindestens sechs Monate beträgt, und zur Steigerung der Adhärenz sollten Polypillen verschrieben werden.

Update zur Herzinsuffizienz

Die Experten sprachen auch über Herzinsuffizienz. Für Patienten mit Herzinsuffizienz mit leicht reduzierter Ejektionsfraktion (HFmrEF) oder erhaltener Ejektionsfraktion (HFpEF) wird nun die Gabe eines SGLT2-Inhibitors empfohlen, um das Risiko für Hospitalisierungen oder kardiovaskulären Tod zu senken. Diuretika haben für diese Patientengruppe eine Klasse-I-Empfehlung erhalten.

Bei HFmrEF werden zusätzlich ACE-Hemmer/Sartan/ARNI, Mineralokortikoid-Rezeptorantagonisten und Betablocker empfohlen (Klasse-II-Empfehlung). Patienten mit HFpEF benötigen neben SGLT2-Hemmern und Diuretika eine Behandlung ihrer zugrunde liegenden Erkrankungen und Komorbiditäten.

Wenn eine Hospitalisierung aufgrund einer akuten Insuffizienz erforderlich ist, wird empfohlen, die evidenzbasierte Therapie während des stationären Aufenthaltes einzuleiten, schnell zu titrieren und in den ersten sechs Wochen engmaschig zu kontrollieren. Die Experten empfehlen auch die Gabe von SGLT2-Hemmern bei herzkranken Diabetespatienten und bei komorbider chronischer Nierenerkrankung die Gabe von Finerenon.