Medical Tribune
27. März 2024Interview mit Prof. Dr. Petra Stute, Stv. Chefärztin an der Universitätsfrauenklinik Bern

«Keine Angst vor Frauen in den Wechseljahren»

Derzeit durchlaufen rund eine Millionen Schweizerinnen im Alter zwischen 45 und 58 Jahren eine herausfordernde Lebensphase: die Wechseljahre. Um strukturierte Einblicke in dieses komplexe Thema zu bringen, haben wir Professor Dr. Petra Stute, eine führende Expertin auf dem Gebiet der Gynäkologischen Endokrinologie zu einem Gespräch gebeten. Als stellvertretende Chefärztin an der Frauenklinik am Inselspital in Bern und Leiterin des dortigen Menopausenzentrums bringt sie nicht nur mehr als 20 Jahre Erfahrung in der Betreuung von Frauen in den Wechseljahren mit, sondern auch Perspektiven zu den neuesten Therapieentwicklungen.

«osez traiter les femmes ménopausées», dit la gynécologue PR Petra Stute.
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Zur Person

Pr. Petra Stute
zVg

Prof Petra Stute

Stv. Chefärztin, Frauenklinik,
Universitätsspital Bern

Prof. Dr. med. Petra Stute ist stellvertretende Chefärztin und Leitende Ärztin der Abteilung für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin der Frauenklinik am Inselspital Bern. Sie leitet zudem das Menopausenzentrum des Inselspitals und ist Vizepräsidentin der Europäischen Gesellschaft für Menopause und Andropause (EMAS).

Wie häufig behandeln Sie Patientinnen in den Wechsel­jahren in ihrer Sprechstunde und welche Altersgruppe sehen sie am häufigsten?
Prof. Stute: Ich behandle täglich Frauen mit klimakterischen Beschwerden. Die meisten sind zwischen 45 und 58 Jahren alt.

Wie kommen die Patientinnen zu Ihnen und wie belastet fühlen sie sich?
Die Patientinnen kommen entweder durch persönliche Empfehlungen oder Zuweisungen von Gynäkologen, Hausärzten, Psychiatern und zum Teil auch noch anderen Disziplinen. Der Grossteil wird von niedergelassenen Gynäkologen überwiesen.

Die Beeinträchtigung derer, die ich hier im Menopausenzentrum sehe, ist natürlich gross, da fast alle bereits aufgrund von Beschwerden Therapien erhalten oder ausprobiert haben, darunter jedoch nicht beschwerdefrei sind.

Wie gut sind Ihre Patientinnen über die Wechseljahre informiert?
Das ist unterschiedlich. Manche haben viele Bücher aus dem Laiensektor gelesen, viel gegoogelt und trotzdem: Es fehlt oft das Basis­wissen, wie der weibliche Körper funktioniert. Um das Informationsbedürfnis zum Thema Menopause besser zu verstehen, haben wir eine Online-Umfrage bei Frauen ab 40 Jahren durchgeführt, die sog. MENOseek-Studie, die wir gerade auswerten.

Kommen die von den Frauen- oder von anderen Ärzten zugewiesenen Patientinnen auch schon mit einer Medikation?
Die meisten haben zumindest schon etwas aus dem pflanzlichen Bereich probiert. So ist die Studienlage beispielsweise zu Cimicifuga, also Traubensilberkerze, ziemlich gut. Einige Phytotherapeutika sind als Arzneimittel zugelassen und werden auch von den Krankenkassen erstattet.

Wenn die Kollegen Patientinnen zuweisen, dann meist, weil entweder bisherige Therapien nicht ausreichend funktioniert haben oder weil z.B. viele Vorerkrankungen bestehen, bei denen man dann genau recherchieren muss, was geht und was nicht.

Sind die Hauptsymptome vasomotorischer Natur, also Hitzewallungen und nächtliche Schweissausbrüche?
Das würde ich gar nicht mal unbedingt sagen. Alle Patientinnen müssen in unserer Sprechstunde den Menopause Rating Scale ausfüllen. Das ist ein einfacher, validierter Fragebogen, der die Intensität des klimakterischen Syndroms erfasst. Ein Beispiel ist der von meiner wissenschaftlichen Arbeitsgruppe entwickelte modifizierte Menopause-Rating-Scale (MRS) II, den ich gerne über den QR-Code zum Download zur Verfügung stelle. Ich würde sagen, dass die zentralnervösen Symptome am häufigsten genannt werden. Das heisst, neben den Hitzewallungen eben auch ganz häufig depressive Verstimmungen, Reizbarkeit, Ängstlichkeit und auch kognitive Symptome.

Mit welcher Therapie setzen Sie dann am häufigsten an?
Im Grunde, weil ja viele vorher schon anderes probiert haben, ist es meist die Hormonersatztherapie (HRT). Das ist dem Setting der Spezial-Sprechstunde geschuldet. Denn insgesamt betrachtet, sind die Verschreibungsraten von Hormonen eher niedrig.

Sollten denn grundsätzlich mehr Hormone verordnet werden?
Das würde ich so nicht sagen. Die Verordnung muss jeder Arzt selbst entscheiden. Allerdings finde ich es wichtig, über HRT aufzuklären und dabei ausgewogen auf Vorteile und Nachteile einzugehen. Das leicht erhöhte Risiko für Brustkrebs unter einer langfristigen Östrogen-Gestagen-Therapie ist nur eine Seite der Medaille. Es gibt auch zahlreiche Hinweise dafür, dass eine HRT z.B. Knochenbrüchen, Diabetes mellitus und Darmkrebs vorbeugen kann. Aufklärung dazu ist sehr wichtig. Es erscheint mir, dass sich die Frauen gegenüber Freunden, Bekannten und der Familie rechtfertigen müssen, wenn sie Hormone einnehmen. Das empfinde ich als grosse Barriere.

Welchen Stellenwert erwarten­ Sie für neue hormonfreie Wirkstoffe wie Fezolinetant oder Elinzanetant?
Elinzanetant ist noch nicht zugelassen, deswegen kann ich dazu noch nicht viel sagen. Der Neurokinin-3-Rezeptor-Antagonist Fezolinetant ist seit Dezember von der Swissmedic zugelassen und ich habe anscheinend einer meiner Patientinnen das erste Rezept ausserhalb der USA ausgestellt.

Die meisten werden Fezolinetant wahrscheinlich erst einmal, so wie ich auch, bei Mammakarzinom-Patientinnen einsetzen oder bei den Frauen, die einen hormonabhängigen Tumor haben, obwohl es für jede Patientin mit Hitzewallungen zugelassen ist. Da ist der Therapiebedarf sicherlich am grössten und wir hatten bisher am wenigsten Therapieoptionen. Vermutlich wird man erst einmal beobachten, wie die Reaktion auf das Medikament bei den Patientinnen ist, die eine Kontraindikation gegenüber einer HRT haben, bevor eine Ausweitung auf eine breitere Patientengruppe in Erwägung gezogen wird, da es gezielt Hitzewallungen behandelt, ohne andere klimakterische Beschwerden zu adressieren.

Es erscheint als geeignete Option besonders für Frauen, bei denen Hitzewallungen dominieren oder die hormonabhängige Tumore haben. Meiner Meinung nach wird es die HRT jedoch nicht ersetzen.

Wo sehen Sie die grössten Herausforderungen in der aktuellen Behandlung von Patientinnen in den Wechseljahren?
Das Thema Awareness und Beratung ist entscheidend. Voraussetzung ist ja, dass eine Frau bei diesem Thema überhaupt den Weg zum Gynäkologen «schafft». Die nächste Barriere wäre die ausgewogene Beratung dann vor Ort beim Gynäkologen. Und die vermutlich grösste Herausforderung ist, dass wir überhaupt nicht die medizinischen Kapazitäten haben, die grosse Zahl an betroffenen Frauen zu versorgen.

In der Schweiz haben wir etwa eine Million Frauen zwischen 40 und 58 Jahren. Das Durchschnittsalter der Frauen in der Schweiz liegt so bei 42, 43 Jahren. Das heisst, die meisten Frauen sind in dem Alter, in dem Wechseljahresbeschwerden auftreten.

Im letzten Jahr hatten wir hier im einzigen zertifizierten Menopausenzentrum der Schweiz, knapp 5000 Konsultationen. Wenn sich also über eine Million Frauen in der Schweiz in den Wechseljahren befinden und davon mindestens 60 % behandlungsbedürftige Symptome haben, dann gibt es eine Versorgungslücke.

Ich denke, es braucht zusätzlich vernünftige digitale Lösungen. Damit meine ich nicht das zehntausendste Start-up-Unternehmen, das den Frauen Mikronährstoffe anbietet. Ich spreche von vernünftigen Lösungen wie zertifizierten digitalen Tools zur Aufklärung, weil wir den Bedarf sonst einfach nicht decken können.

Bei den Wechseljahren geht es ja nicht nur um Hitzewallungen nach dem Motto: «Ich habe Hitzewallungen. Ich verschreibe ihnen etwas und auf Wiedersehen.» Weit gefehlt! Das Management der Wechseljahre ist mehr als die Behandlung von menopausalen Beschwerden. Es geht auch um das Erfassen und die Beratung zu Risiken für chronische nichtübertragbare Erkrankungen wie Herzkreislauferkrankungen, Osteoporose, Demenz und Krebs. Dieser präventive Part gehört dazu. Evidenzbasierte Digitale Gesundheitsapplikationen (DIGA) könnten hier sehr gut unterstützend eingesetzt werden. Wir am Inselspital führen zurzeit eine Studie durch, die die Grundlage einer solchen DIGA sein soll.

Was wäre ihre Botschaft an die niedergelassenen Kollegen?
Keine Angst vor Frauen in den Wechseljahren! Ich verstehe, dass man ein Thema, mit dem man bisher wenig Berührungspunkte hatte, möglichst umgehen möchte, vor allem wenn der eigene Schwerpunkt eigentlich in anderen gynäkologischen Bereichen liegt. Und ich weiss, dass die Ausbildung im Bereich der gynäkologischen Endokrinologie einfach katastrophal ist. Trotzdem lautet mein Appell: Keine Angst vor Frauen in den Wechseljahren!

Im Zweifelsfall muss man auch nicht alles wissen – darum geht es nicht. Wir sollten Netzwerke aufbauen, um den Übergang vom bilateralen hin zu einem breiten Austausch und Lernprozess zu ermöglichen.

Mein Wunsch für alle Frauen ist es, zu leben und nicht nur «durchzuhalten». Die Menopause ist eine körperliche Veränderung, die auch soziale, emotionale und berufliche Auswirkungen nach sich zieht. Deswegen ist es so wichtig, dass wir den Symptomen aktiv begegnen, um die Gesundheit der Frauen zu fördern und zu erhalten.

Besten Dank für das Gespräch!