Medical Tribune
14. Mai 2023In der Schwangerschaft steigt der Bedarf an Jod und Schilddrüsenhormonen

Schilddrüsen-Erkrankungen in der Schwangerschaft: Wer profitiert von einer Therapie?

Für eine gesunde Entwicklung des Feten ist eine euthyreote Stoffwechsellage der werdenden Mutter wichtig. Über- und Unterfunktion der Schilddrüse erfordern eine Behandlung. Wie diese aussieht, erläutert Dr. Tina Fischer, stellvertretende Chefärztin in der Frauenklinik St. Gallen.

Über- oder Unterfunktionen der Schilddrüse sollten in der Schwangerschaft behandelt werden.
Prostock-Studio/gettyimages

In der Schwangerschaft kommt es zu vielfältigen physiologischen Veränderungen– auch in der Schilddrüse. So führt die Zunahme des Östradiols zu einer Steigerung des Thyroxin-bindenden Globulins (TBG) um 50 Prozent. Im ersten Trimenon steigt das humane Choriongonadotropin (HCG) stark an und führt durch die Homologie zu TSH zu einer Kreuzreaktivität am TSH-Rezeptor. Dadurch sinkt das TSH im ersten Trimenon entsprechend ab. Diese beiden Vorgänge führen im ersten Trimenon zu einem deutlichen Anstieg der totalen Schilddrüsenhormone (totales T4 und T3) um 50 Prozent.

Die fetale Schilddrüse ist erst mit 18 Wochen voll funktionstüchtig

«Durch diese Zunahme der Schilddrüsenhormonsynthese steigt auch der Bedarf an Jod von 150 µg/Tag auf 250 µg/Tag», sagt Dr. Fischer. Bei Schwangeren ist deshalb auf ausreichende Jodversorgung zu achten. «Ziel ist eine euthyreote Stoffwechsellage, um Komplikationen zu reduzieren», betonte die Expertin. Nach den reduzierten TSH-Werten im ersten Trimenon, nähern sich diese ab dem zweiten und dritten Trimenon schrittweise denjenigen ausserhalb der Schwangerschaft an.

Die fetale Schilddrüse entwickelt sich schrittweise. Mit zehn Schwangerschaftswochen (SSW) ist eine Thyroxin(T4)-Synthese nachweisbar, aber erst mit 18 Wochen ist die fetale Schilddrüse voll funktionstüchtig. «Bis dahin ist der Fetus vollständig auf die mütterliche Versorgung mit Schilddrüsenhormonen angewiesen. Gerade das erste Trimenon ist aber für die Entwicklung des Nervensystems eine kritische Phase, so dass sich hier eine Schilddrüsenfunktionsstörung der Mutter besonders ungünstig auf den Feten auswirkt», erklärt die Referentin.

Je nach Risikofaktoren grosszügig screenen

Die American Thyroid Association (ATA) empfiehlt in der Schwangerschaft kein universelles Screening. Sie hat aber in ihrer Guideline 2017 eine ganze Reihe von Risikofaktoren für die Evaluation definiert. Dazu gehören unter anderem ein anamnestischer Hinweis oder ein klinisches Zeichen für eine Dysfunktion, eine positive Familienanamnese für Schilddrüsen-Erkrankungen oder auch ein Alter über 30 Jahre. Liegt bereits ein Risikofaktor vor, ist ein Screening durchzuführen.

«Eine klare Assoziation besteht zwischen einer manifesten Hypo- und Hyperthyreose und Komplikationen wie Frühgeburt und Abort sowie im Falle einer Unterfunktion auch mit neurokognitiven Problemen», so Dr. Fischer. Für subklinische Befunde sind die Daten nicht eindeutig.

Unter Levothyroxin TSH alle vier Wochen kontrollieren

Eine Schilddrüsenunterfunktion ist manifest, wenn das TSH erhöht und fT3/fT4 erniedrigt sind. Die Behandlung erfolgt in der Schwangerschaft mit Levothyroxin. Bei einer manifesten Hypothyreose sollte bis Mitte der Schwangerschaft das TSH alle vier Wochen und noch einmal um die 30. SSW herum kontrolliert werden.

Bei Frauen, die schon vor der Schwangerschaft hypothyroid sind, muss die Dosis kurz nach der Konzeption mit zwei zusätzlichen Dosen pro Woche um 20 bis 30 Prozent erhöht werden. «Unmittelbar nach der Geburt erfolgt die Reduktion auf die Ausgangsdosis und nach sechs Wochen eine TSH-Kontrolle», betonte die Referentin.

Nur manifeste Hyperthyreose behandeln

Besteht eine Überfunktion der Schilddrüse, ist in der Schwangerschaft zwischen einer vorübergehenden HCG-assoziierten und einer manifesten Hyperthyreose zu unterscheiden. Die Abklärung erfolgt anhand der Bestimmung von TSH, fT3/fT4 und Thyreotropin-Rezeptor-Autoantikörpern (TRAK).

«Die schwangerschaftsbezogene Hyperthyreose geht oft mit einer übermässigen Übelkeit und sehr starkem Erbrechen einher», erklärt Dr. Fischer. Die Beschwerden sind jedoch selbstlimitierend und verschwinden in der Regel bis zur 18. SSW. Bei diesen Schwangeren ist das TSH alle vier Wochen bis zur Normalisierung zu kontrollieren.

Eine manifeste Schilddrüsen-Überfunktion liegt vor, wenn das TSH erniedrigt und die fT3/fT4 erhöht sind. Für eine medikamentöse Behandlung in der Schwangerschaft stehen mit Propylthiouracil (PTU) und Carbimazol zwei Medikamente zur Verfügung. Beide Substanzen sind hepatotoxisch, aber PTU ist auch potenziell letal. Beide sind zudem teratogen, aber Carbimazol verursacht deutlich mehr Fehlbildungen. Daher sollten laut Dr. Fischer Schwangere mit einer manifesten Hyperthyreose im ersten Trimenon mit PTU und ab dem zweiten Trimenon mit Carbimazol behandelt werden.

Haben die Schwangeren zusätzlich zu einem erniedrigten TSH und zu erhöhten freien Hormonen auch positive TRAK, liegt meist ein Morbus Basedow vor. Die Behandlung dieser Frauen sollte interdisziplinär, in Zusammenarbeit mit einem Endokrinologen, erfolgen. Eine besonders gute Beratung benötigen Frauen, die schon vor einer Schwangerschaft an einem M. Basedow leiden. «Bei rezidivierenden Verläufen wird bei diesen Patientinnen eine definitive Behandlung vor der Schwangerschaft empfohlen, primär mit einer Thyreoidektomie», wie Dr. Fischer ausführte.