Medical Tribune
31. Okt. 2016Pathologischer Gynäkomastie

Wann sind “Männerbrüste” harmlos und wann bedenklich?

Bei der Gynäkomastie handelt es sich um eine gutartige Proliferation von Brustdrüsengewebe beim Mann. Palpatorisch findet sich ein festes, unter dem Warzenhof gelegenes Drüsengewebe, schreiben Dr. Paul Thiruchelvam vom Charing Cross Hospital, London, und Kollegen. Ungefähr jeder Dritte entwickelt die "Männerbrüste", am häufigsten Personen in der Altersgruppe der 50- bis 69-Jährigen.

Ein Mann mit Brüsten
iStock/ozgurdonmaz

Es ist nicht immer leicht, die "echte" Gynäkomastie von einer Pseudogynäkomastie zu unterscheiden. Letztere betrifft vor allem Übergewichtige: Hier führt allein eine vermehrte Bildung von Fettgewebe zur Brustvergrösserung, eine Proliferation des Drüsengewebes fehlt. Manche Männer weisen aber sowohl vermehrtes Fett- als auch Brustdrüsengewebe auf.

Zu viel Östrogene oder zu wenig Androgene

Die Gynäkomastie tritt vor allem als Folge eines Überschusses an Östrogen oder Östrogenvorstufen oder im Zusammenhang mit reduzierten Androgenspiegeln bzw. mit einer Störung der Androgenfunktion auf. Östrogene stimulieren bei Frauen und Männern direkt die Brustentwicklung, während Testosteron ein potenter Inhibitor des Wachstums ist. Ursache des hormonellen Ungleichgewichts können physiologische Veränderungen (siehe Tabelle), Medikamente oder verschiedene Erkrankungen sein (siehe Kästen).

In der Regel berichten Betroffene über eine ein- oder beidseitige langsame Brustvergrösserung. Das Ausmass reicht von einer geringen Vermehrung von Gewebe um die Brustwarzen bis hin zu ausgeprägten Brüsten. Oft klagen die Patienten über ein pektorales Spannungsgefühl oder über berührungsempfindliche Brustwarzen.

Bei der Anamnese sollte nach Medikamenten gefragt werden, die eine Gynäkomastie auslösen können, ebenso nach einer Einnahme von Hormonen und nach dem Konsum von Alkohol oder Drogen wie Heroin und Marihuana. Berufliche Anamnese (Exposition gegenüber Phthalaten, die z.B. in Kosmetika, Farben, Lösungsmitteln vorkommen) und Familienanamnese ergänzen das Vorgehen. Bei ungefähr jedem zweiten jungen Mann mit benigner persistierender Pubertäts-Gynäkomastie traten in der Familie ähnliche Fälle auf.

Bei der Untersuchung gilt es, den BMI zu erfassen, die sekundären Geschlechtsmerkmale zu beurteilen sowie beide Brustregionen und Axillen sorgfältig zu palpieren. Ergeben sich Hinweise auf einen Hypogonadismus, macht zudem eine Untersuchung der Hoden Sinn (Raumforderung?). Patienten mit verdächtigen Befunden sollten rasch zu einem Spezialisten überwiesen werden, damit eine Malignität (z.B. Mammakarzinom) ausgeschlossen werden kann.

Spontane Rückbildung bei 90% der Jugendlichen

Wenn der Patient zu einer der Altersgruppen gehört, bei denen eine physiologische Gynäkomastie auftritt, sind keine weiteren diagnostischen Massnahmen erforderlich – vorausgesetzt, die Brust hat sich langsam vergrössert und es liegen keine Hinweise auf eine Grunderkrankung vor. Bei allen anderen Männern ohne eindeutigen Grund für die Gynäkomastie sollte eine weitere laborchemische Abklärung erfolgen. Diese umfasst:

  • Testosteronspiegel (Blutabnahme morgens um 9:00 Uhr)
  • Leber- und Nierenfunktion
  • TSH-Wert

Bei niedrigem Testosteronspiegel ist die Labordiagnostik auszudehnen (LH, FSH, Östradiol, sexualhormonbindendes Globulin) und der Patient bei Auffälligkeiten an einen Endokrinologen zu überweisen. Eine bildgebende Diagnostik sollte erfolgen, wenn die Klinik keine klaren oder aber verdächtige Befunde liefert.

Bei 90 % der Jugendlichen, die den Hausarzt wegen Gynäkomastie aufsuchen, bildet sich die Brustvergrösserung spontan zurück. Daher ist eine Behandlung erst erforderlich, wenn der Zustand länger als zwei Jahre persistiert. Männer mit pathologischer Gynäkomastie sollten zur Behandlung der Grunderkrankung an entsprechende Spezialisten überwiesen werden. Bei einem Teil der Patienten kommt es auch zu einer meist irreversiblen Fibrose.

Am häufigsten wird off-label mit Tamoxifen therapiert

Medikamentös kann die Gynäko­mastie mit Danazol behandelt werden, die Responseraten liegen zwischen 58 % und 64 %. Am häufigsten wird off-label therapiert, und zwar mit Tamoxifen. Mit dem Rezeptormodulator steigen die Responseraten in Studien auf bis zu 95 % (Therapiedauer zwischen zwei und zwölf Monaten). Im fibrotischen Zustand stellt eine chirurgische Intervention die einzige definitive Behandlungsmöglichkeit dar.

Quelle: Thiruchelvam P et al. BMJ 2016; online first