Medical Tribune
25. Jan. 2024«Das Wichtigste ist die Verbindung von Arzt und Patient»

Wie die überaktive Blase (OAB) bei Senioren behandelt wird

Die überaktive Blase (overactive bladder, OAB) ist sehr schambehaftet und bringt eine drastische Verschlechterung der Lebensqualität mit sich. Dabei lässt sich die Erkrankung gut in den Griff bekommen. Warum gerade bei älteren Patienten die Kommunikation der wichtigste Punkt bei der Therapie ist, erklärt Experte Dr. Mathias Schlögl.

Bei Senioren bleibt eine OAB oft undiagnostiziert.
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Bei Senioren bleibt eine OAB oft undiagnostiziert.

«Eine überaktive Blase führt durch den selbstgewählten Rückzug der Betroffenen häufig zu sozialer Isolation und Einsamkeit. Die Patienten haben nur noch selten Kontakt zur Aussenwelt und gerade bei älteren Patienten führt der Mangel an Bewegung zu weiteren körperlichen Beschwerden», erklärt Dr. Mathias Schlögl, Chefarzt für Geriatrie und stellvertretender Leiter des Departements Innere Medizin an der Klinik Barmelweid (1).

Hinzu kommen Schlafmangel, Konzentrationsschwäche und Probleme im Sexualleben.

Überaktive Blase ist ein Tabuthema

Studien zufolge haben rund 17 Prozent der Bevölkerung eine überaktive Blase (overactive bladder, OAB), also Harndrang bei nur halbvoller Blase (2). Man geht jedoch davon aus, dass deutlich mehr Menschen unter einer OAB leiden. Die Ursachen für den hohen Anteil an nicht diagnostizierten Patienten sind vielfältig; die grösste Rolle spielt jedoch die Scham, vor allem bei Inkontinenz.

Aber auch, dass es viele Menschen hinnehmen, dass sich bestimmte Körperfunktionen im Zuge des Alterungsprozesses schleichend  verschlechtern, dürfte dafür verantwortlich sein (3). «Einige Patienten nehmen aber auch an, dass die Krankheit nicht behandelbar wäre,» sagt Dr. Schlögl.

Dazu kommen bei Vielen auch falscher Stolz und die Scheu, medizinische und soziale Dienste in Anspruch zu nehmen, und Inkontinenzprodukte zu beziehen. Und auch die Angst vor invasiver Diagnostik und Therapie spielt eine Rolle.

Verbindung zwischen Patient und Arzt erleichtert Behandlung

Auch wenn der Zeitfaktor in der ambulanten Praxis kritisch ist, sollte eine achtsame Kommunikation mit dem Patienten bei jeder Untersuchung oder Beratung im Vordergrund stehen. «Gerade bei älteren Menschen ist es essentiell, sich der vielfältigen Besonderheiten in der Kommunikation mit älteren Patienten bewusst zu sein. Das ist natürlich nicht nur auf das Thema der OAB begrenzt, sondern gilt bei allen anderen Interaktionen», so Dr. Schlögl (4).

Eine gute Strategie ist es, hier nach dem SPIKES-Protokoll zu arbeiten, das den Gesprächsprozess in sechs Schritten strukturiert (siehe Tabelle, 5). Ursprünglich wurde dieses für die Onkologie entwickelt, es ist aber überall anwendbar und kann helfen, schwierige Gespräche besser zu führen, erklärt der Experte.

PhaseAbkürzungThemaSchwerpunkt
1SSettingSchaffung einer vertrauenserweckenden Umgebung
Bezugspersonen einbeziehen, Vermeidung von Störungen
2PPerception/Wahrnehmung der SituationÜber welches Wissen verfügt der Patient?
Was hat er bereits von anderen Ärzten oder Bekannten über seine Erkrankung erfahren?
3IInvitation/Einladung an den Patienten Informationen zu teilenWieviel hat der Patient verstanden?
«Darf ich sie bitten in eigenen Worten zusammenzufassen, was wir gerade besprochen haben?»
4KKnowledge /medizinisches Wissen erläuternKlare und einfache Erklärung der Situation
Verwendung von Fachwörtern vermeiden. 
5EExplore/ Emotionen erkennenAktives Zuhören und Spiegeln, Zulassen der Emotionen, Achtsamer Umgang mit den Emotionen der Patienten
6SStrategie und ZusammenfassungPlanung der nächsten Schritte  
Tabelle 1: Spikes Protokoll

Welche Therapie eignet sich für ältere Patienten?

Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2020 verglich die Wirksamkeits- und Sicherheitsprofile der beiden führenden Wirkstoffe bei OAB, die Beta-3-Adrenozeptor-Agonisten und Antimuskarinika bei älteren Menschen (6).

Ein selektiver Agonist der β3-Adrenozeptoren ist das Betasympathomimetikum Mirabegron. Diese Rezeptoren sind direkt für die Relaxation der Detrusormuskulatur verantwortlich. Eine Therapie mit diesem Wirkstoff erhöht die Blasenkapazität ohne eine Einschränkung der Kontraktionsfähigkeit während der Miktion (7).

Die pharmakologische Wirkung der Antimuskarinika oder Anticholinergika besteht darin, die muskarinergen Rezeptoren M2 und  M3 zu blockieren und damit ein Ankoppeln des Acetylcholins an diese Rezeptoren zu verhindern, was letztlich die Kontraktion des Muskels abschwächt oder verhindert (8). Das soll die Überstimulation der Blasenmuskulatur lindern.

Im direkten Vergleich zu den Antimuskarinika hatte Mirabegron ein etwas günstigeres Wirksamkeits- und Sicherheitsprofil bei älteren Patienten (6). Speziell typische und oft unangenehme Nebenwirkungen der Anticholinergika (wie Obstipation oder Xersotomie) traten bei Mirabegron deutlich seltener auf.

Die Behandlungsunterbrechungen verursacht durch Nebenwirkungen waren hingegen bei Mirabegron ähnlich hoch wie die bei der Placebogruppe. Nebenwirkungen, die bei der Einnahme von Mirabegron auftreten können, sind Erhöhung der Herzfrequenz und des Blutdrucks, sowie Kopfschmerzen und häufigere Harnwegsinfektionen.

Auch eine europäische Real-World-Studie an 862 Patienten, von denen rund die Hälfte mindestens 65 Jahre alt war, zeigte eine Verbesserung der Symptome und gesundheitsbezogenen Lebensqualität durch Mirabegron nach zwei bis vier, sowie zehn bis 12 Behandlungsmonaten (9). Die (für das Kollektiv relativ hohe) Therapieadhärenz belief sich auf fast 54 Prozent.

Patienten unter OAB-Therapie gut begleiten

Für eine gute Adhärenz brauche man aber dennoch eine gute Kommunikation mit dem Patienten und bestenfalls auch den Angehörigen. «Denn bei einem regulär üblichen Beginn von 25 mg wird man die ersten deutlichen Verbesserungen nach ungefähr acht Wochen erreichen,» so Dr. Schlögl.

«Hat der Patient diese Information nicht, wird er sehr schnell wieder aufhören, das Medikament wegen der vermeintlich ausbleibenden Wirkung einzunehmen.»