Medical Tribune
10. Juli 2024Ist die nichtarteriitische anteriore ischämische Optikusneuropathie eine Nebenwirkung von GLP-1-Agonisten?

Semaglutid erhöht das Risiko für Augenerkrankung NAION

Eine aktuelle Arbeit legt nahe, dass der GLP-1-Rezeptor-Agonist Semaglutid das Risiko für die nichtarteriitische anteriore ischämische Optikusneuropathie (NAION) leicht erhöht. Die seltene Augenerkrankung kann bis zur Erblindung führen. Semaglutid wird aktuell zur Behandlung von Patienten mit Typ-2-Diabetes und Übergewicht eingesetzt.

Bei der NAION kommt es zu einem plötzlichen Visusverlust auf einem Auge.
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Charakteristisch für die NAION ist ein plötzlicher Visusverlust auf einem Auge, der durch die Unterversorgung des Sehnervs entsteht.

Die Studie in JAMA Ophthalmology untersuchte die Daten von 16.827 Patienten aus Augenkliniken, darunter 710 Personen mit Typ-2-Diabetes und 979 Personen mit Übergewicht oder Adipositas. Diese wurden entweder mit Semaglutid, oder mit einem anderen Medikament behandelt (1).

Dabei wiesen mit Semaglutid behandelte Patienten ein bis zu achtfach erhöhtes Dreijahresrisiko für die anteriore ischämische Optikusneuropathie (NAION) auf als Patienten, die ein anderes Medikament erhielten.

Semaglutid gegen Typ-2-Diabetes und Übergewicht / Adipositas

Der GLP-1-Agonist Semaglutid wird zur Behandlung von Patienten mit Typ-2-Diabetes, sowie Übergewicht und Adipositas eingesetzt.

Mitglieder dieser Wirkstoffgruppe binden genau wie das Peptidhormon GLP-1 an den GLP-1-Rezeptor. Dadurch fördern sie einerseits die Sekretion von Insulin, was die Blutzuckerkontrolle unterstützt. Andererseits hemmen sie auch die Ausschüttung von Glukagon. Das verlangsamt die Magenentleerung und erhöht das Sättigungsgefühl, was bei der Gewichtsreduktion hilft. Semaglutid erfreut sich daher aktuell auch bester Beliebtheit etwa im Internet, wo User es landläufig oft auch als «Abnehmspritze» bezeichnen.

Zu den bekannten Nebenwirkungen von Semaglutid zählen Verdauungsbeschwerden (z.B. Durchfall, Übelkeit oder Verstopfung), Kopfschmerzen, Schwindel und Erschöpfung, sowie Hypoglykämie.

NAION als Nebenwirkung von Semaglutid?

Die nichtarteriitische anteriore ischämische optische Neuropathie (NAION) ist eine Augenkrankheit, bei der die Blutversorgung des Nervus opticus (Sehnerv) versagt. Daraus entsteht ein plötzlicher, nicht von Schmerzen begleiteter Visusverlust in einem Auge.

Die NAION ist mit einer Inzidenz von zwei bis zehn Fällen pro 100.000 Personen die zweithäufigste Form der optischen Neuropathie, und ein häufiger Grund für Erblindung bei Erwachsenen.

Die Autoren, die grossteils an Augenkliniken der Harvard Medical School tätig sind, hatten das Gefühl, dass mit Semaglutid behandelte Patienten auch öfter an der Augenerkrankung litten.

NAION am häufigsten in den ersten 12 Behandlungsmonaten mit Semaglutid

Um dem genauer nachzugehen, führten sie eine retrospektive Kohortenstudie mit Daten aus einer Patientendatenbank von 2017 bis 2023 durch. Aus dieser untersuchten sie die Assoziation zwischen einer Semaglutid-Verschreibung und einer späteren Diagnose der NAION. Dazu schlossen sie insgesamt 16.827 Patienten ein.

Von ihnen wiesen 710 zum Studieneinschluss einen Typ-2-Diabetes auf (194 von ihnen erhielten Semaglutid, und 516 Antidiabetika aus anderen Wirkstoffgruppen). Zusätzlich hatten 979 Übergewicht oder Adipositas; 361 von ihnen hatten Semaglutid zur Gewichtsreduktion verschrieben bekommen, 617 andere Medikamente.

Bei Diabetikern, die über drei Jahre Semaglutid erhielten, lag das Risiko für eine Diagnose der anterioren ischämischen Optikusneuropathie (NAION) bei 8,9 Prozent. Diabetiker, die ein anderes Medikament einnahmen, hatten hingegen ein Risiko von 1,8 Prozent.

Unter den Patienten mit Übergewicht oder Adipositas, die mit Semaglutid behandelt wurden, trat die NAION dabei ebenfalls häufiger als in der Vergleichskohorte ohne Semaglutid auf. Die kumulative Dreijahres-Inzidenz für die Augenkrankheit lag bei ihnen bei 6,7 gegenüber 0,8 Prozent.

Sowohl bei Diabetikern als auch bei Patienten mit Übergewicht oder Adipositas trat eine NAION dabei am häufigsten in den ersten 12 Behandlungsmonaten auf.

Hauptlimitation Übertragbarkeit

Die Hauptlimitation der Arbeit, so die Autoren, ist die Frage, ob die Ergebnisse der Studie auf die Gesamtbevölkerung übertragbar ist. Schliesslich wurden die Beobachtungen an Patienten gemacht, die eine Augenklinik konsultiert hatten.

«Dennoch legt die Forschung eine Assoziation zwischen der Behandlung mit Semaglutid und dieser Form der Optikusneuropathie nach» sagt Prof. Graham McGeaown, Honorarprofessor für Physiologie, Queen's University Belfast (QUB), Vereinigtes Königreich, in einem Statement für die gemeinnützige Organisation Science Media Center.

«Angesichts des zunehmenden Einsatz von Semaglutid und seiner möglichen breiteren Zulassung für andere Erkrankungen als Adipositas und Typ-2-Diabetes sollte diese Frage weiter untersucht werden. Mögliche Nebenwirkungen des Medikaments müssen aber immer gegen seine wahrscheinlichen Vorteile abgewogen werden», so der Experte.