Medical Tribune
9. Okt. 2023Zuerst nichtmedikamentöse Therapie nutzen

Schmerzen und Schlafstörungen bei Post-Covid in den Griff bekommen

Nach einer Corona-Infektion leiden Patienten häufig unter Insomnie und chronischen Schmerzen. Dr. Lara Diem, Oberärztin an der Abteilung für Neurologie am Luzerner Kantonsspital, berichtet, welche Therapieansätze bei diesen Post-Covid-Beschwerden am erfolgversprechendsten sind.

Zu den häufigsten Post-Covid-Symptomen gehören Insomnie und chronische Schmerzen.
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Die Neurologin Dr. Lara Diem hat in Ihrer Tätigkeit in der Post-Covid-Sprechstunde* bereits viele Patienten betreut, die nach einer Infektion mit Covid-19 nicht mehr so bald gesund wurden.

Dr. Lara Diem
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Mit Medikamenten sollte man besonders bei Jungen vorsichtig sein, so Dr. Lara Diem, Oberärztin an der Abteilung für Neurologie am Luzerner Kantonsspital

«Das zweit- und dritthäufigste Beschwerdebild nach der Fatigue waren dabei unterschiedliche Schmerz-Symptomatiken und Schlafstörungen» berichtet sie. Das spiegelte sich auch in ihrer Studie basierend auf einer Umfrage unter 309 Schweizer Post-Covid Patienten wider (1). Darin litten 70 Prozent der Befragten unter Schmerzen, und fast die Hälfte unter Schlafstörungen.

Sanfte Bewegung und Entspannung kann Schmerzen verbessern

Patienten berichteten dabei vor allem über drei Arten von Schmerzen:

  • Neuropathische Schmerzen (Parästhesien wie Kribbeln, Brennen, Korsettgefühl über der Brust, permanente «Blutdruckmanschette» am Arm)
  • Kopfschmerzen (Migräne- oder Spannungskopfschmerzartig)
  • Muskel- und Gelenksschmerzen (massive Muskelkater, -krampfe und -verspannungen)

Neuropathische und Kopfschmerzen sind dabei mit Abstand am häufigsten.

Behandelt werden Schmerzen bei Post-Covid-Zuständen zumindest zu Beginn nichtmedikamentös, betont die Expertin. Das beginnt bei sanfter Bewegung (etwa mit Yoga, Tai Chi, oder Pilates) zur Symptomverbesserung. Dabei sollte die Intensität der Aktivität immer an das Pacing des Patienten angepasst sein. «Patienten, die auch unter Fatigue leiden, sollten nicht gerade joggen gehen – sonst geht das mit der Energie schnell nach hinten los

Ergänzen sollte man das Bewegungsprogramm ausserdem durch eine Entspannungsmethode. Eine Möglichkeit ist etwa die progressive Muskelrelaxation nach Jacobson. Dabei werden gezielt Muskelpartien im gesamten Körper aktiv kontrahiert und wieder entspannt.  «Nur bei Muskelschmerzen muss man damit etwas aufpassen», so Dr. Diem. Betroffenen empfiehlt sie stattdessen autogenes Training oder Meditation.

Vorsicht vor Übermedikation

Erst wenn nichtmedikamentöse Optionen nicht helfen, kommen medikamentöse Massnahmen zum Zug. Diese orientieren sich beim Kopfschmerz an der Art der Schmerzen – so werden die Migräne und der Spannungskopfschmerz infolge von Post Covid nicht anders behandelt als ohne vorherige Virusinfektion. Wichtig sei dabei, nicht überzubehandeln, um eine Verstärkung oder Chronifizierung der Kopfschmerzen zu vermeiden: «Nehmen Patienten an mehr als 14 Tagen im Monat Schmerzmittel einnehmen, steigt das Risiko für den analgetikainduzierten Kopfschmerz ganz deutlich».

Auch bei den neuropathischen Schmerzen orientiert sich die medikamentöse Therapie an den üblichen Gepflogenheiten. Gute Wirkstoff-Optionen sind dabei laut Dr. Diem Gabapentin, Pregabalin und Duloxetin.

Tagschlaf bei Post-Covid-bedingter Insomnie vermeiden

Auch Ein- und Durchschlafstörungen sind bei Patienten mit Post-Covid-Verläufen häufig, berichtet Dr. Diem. «Und auch wenn Patienten dann doch schlafen, bezeichnen sie den Schlaf häufig als oberflächlich und wenig erholsam.» Das wiederum wirkt sich negativ auf die Fatigue aus.

Bei der Therapie spielen wieder nichtmedikamentöse Massnahmen die Hauptrolle. Dazu gehört für Post-Covid-Patienten besonders die gute Schlafhygiene. So kann es den Nachtschlaf schon entschieden verbessern, «Nickerchen» tagsüber zu reduzieren. «Bei Patienten mit Fatigue sind Liegepausen am Tag im Rahmen des Pacings eingeplant. Viele schlafen dabei ein. Der Schlaf zwischendurch verbessert aber die Fatigue häufig nicht: Die meisten Patienten sind nachher nicht mehr erholt als vorher.» Gleichzeitig stören die Schläfchen tagsüber den Nachtschlaf. Patienten sollten das Bett und das längere Schlafen daher tagsüber vollständig meiden. Um den Körper herunterzufahren, sollten stattdessen aktive Entspannungstechniken genutzt werden.

Um chronobiologische Schlafstörungen zu vermeiden, sei es darüber ausserdem wichtig, immer zur selben Zeit ins Bett zu gehen, und um die gleiche Zeit aufzustehen.

Phytotherapie hat Vorrang

Benötigen Patienten eine medikamentöse Therapie, beginnt Dr. Diem bei pflanzlichen Hilfsmitteln wie Baldrian, Lavendel und Passiflora. Wenn aber auch das nicht hilft, hat sie gute Erfahrungen mit einer Kurzzeit-Behandlung mit Melatonin gemacht, das die «innere Uhr» unterstützt. In der Schweiz ist es allerdings nur für Patienten über 55 Jahren zugelassen. Jüngere Personen müssen es in Form von Nahrungsergänzungsmitteln kaufen – und auch selbst bezahlen. Auch Cannabidiol (CBD) ist für die Expertin eine Möglichkeit – die Kosten dafür trägt aber ebenfalls der Patient.

Erst in der dritten Stufe sollten Patienten klassische schlaffördernde Medikamente erhalten. Dr. Diem empfiehlt dabei in erster Linie schlafanstossende Antidepressiva wie Trazodon, niedrig dosiertes Mirtazapin oder Amitryptilin. Sie hätten einen doppelten Effekt – von der antidepressiven Wirkung würden viele Patienten mit Post-Covid profitieren, und die schlafanstossende Wirkung sorge für nachhaltige Erholung. Abraten kann die Expertin hingegen von antriebssteigernden Antidepressiva: «Die meisten Patienten haben kein Antriebsproblem. Gibt man ihnen antriebssteigernde Antidepressiva, kann es sein, dass der Patient noch mehr macht. Dadurch funktioniert das Pacing schlechter, und die Schlafqualität dann sogar noch ab.»

Vermeiden sollte man bei Post-Covid-Schlafstörungen ausserdem immer die Gabe von Benzodiazepinen. «Diese sind schnell verschrieben, haben aber keine schlafverbessernde Wirkung, und verschlechtern auch die Fatigue» so Dr. Diem. Ganz zu schweigen vom beträchtlichen Abhängigkeitspotenzial von Benzodiazepinen – zumal es sich bei Post-Covid-Betroffenen vornehmlich um junge Patienten handelt.

«Nicht auf einen Termin in der Post-Covid -Sprechstunde warten»

Patienten, die nach einer Covid-Infektion neue oder rezidiverende Symptome bemerken, sollten dabei nicht auf einen Termin in der Post-Covid -Sprechstunde warten. «Die ersten Massnahmen kann bereits der Hausarzt einleiten» sagt Dr. Diem, die auch an der Erstellung der hausärztlichen Guidelines für die Post-Covid -Behandlung des BAG beteiligt war (2).

Wichtig ist der Neurologin, bei Patienten mit möglichen Post-Covid-Syndromen auch zu berücksichtigen, dass diese auch eine andere Genese haben können. «Denkt man sich ‚das passt nicht wirklich auf Post-Covid‘ sollte man hellhörig werden.» Erst kürzlich habe sie eine Patientin mit Muskelschmerzen nach einer Covid-19-Infektion behandelt. «Bedingt waren diese aber nicht durch Post Covid, sondern durch eine metabolische Myopathie».

Bei Post-Covid handle es sich jedenfalls immer noch um eine Ausschlussdiagnose.

Patienten, die zuvor immer 200 Prozent gegeben haben (3,4)

Betroffen von einer Post-Covid-Erkrankung sind meist nicht die Intensivpatienten, so Dr. Diem. Vor allem junge Menschen, bei denen die Virusinfektion mit leichtem Verlauf vorbeiging, behalten danach Symptome zurück. «Das Durchschnittsalter von Post-Covid-Patienten liegt bei rund 40 Jahren, und es sind mehr Frauen als Männer betroffen» erklärt die Expertin. Meist handelt es sich um Personen ohne Vorerkrankungen – «auch keine psychischen, wie Depressionen.» Sehen würde man in der Post-Covid-Sprechstunde stattdessen tendenziell Leute, die es vorher gewöhnt waren, im Leben eher 200 als 100 Prozent zu geben.

Wie lange die Beschwerden andauern, ist von Person zu Person unterschiedlich. Leidet ein Patient unter einem protrahierten Verlauf, muss er sich aber darauf einstellen, mindestens ein Jahr lang Symptome zu haben, so die Expertin. Aktuelle Veröffentlichungen weisen darauf hin, dass rund 70 Prozent der Patienten nach einem Jahr noch Symptome haben – diese nehmen aber in ihrer Intensität und Häufigkeit über die Zeit ab. Auch nach zwei Jahren haben noch rund 30 bis 40 Prozent der Patienten Symptome.

Geimpfte Personen erholen sich ausserdem statistisch gesehen etwas früher von einem protrahierten Verlauf als ungeimpfte.

*Dr. Diem war bis 2023 am Inselspital Bern tätig, wo sie unter anderem die Post-Covid -Sprechstunde betreut. Sie berät das Schweizer Altea Long Covid Netzwerk, das Betroffenen eine Anlaufstelle bietet.