Medical Tribune
28. Juli 2023Schlafstörungen haben gute Behandlungsaussichten

Chronische Insomnie: Den Teufelskreis durchbrechen

Rund ein Drittel der Menschen in der Schweiz leidet unter Ein- oder Durchschlafstörungen. Bei etwa zehn Prozent gilt das Problem als chronisch. Das erhöht die Gefahr für psychische und somatische Folgeerkrankungen. Zwei Experten berichten, wie Patienten am besten geholfen werden kann, ihren Schlaf wieder zu normalisieren.

Mit einer kognitiven Verhaltenstherapie können Personen mit Insomnie wieder schlafen lernen.
Jose Gonzalez Buenaposada/gettyimages

Mit einer kognitiven Verhaltenstherapie können Insomnie-Betroffene wieder schlafen lernen.

Viele Menschen mit Schlafstörungen haben eine regelrechte Karriere mit der Schlaflosigkeit hinter sich, erklären PD Dr. Marc Spielmanns, und Dr. Helen Christina Slawik (1).

So waren viele Erwachsene mit Schlafproblemen bereits in der Kindheit als «schlechte Schläfer» verschrien. Und da guter Schlaf darauf angewiesen ist, dass die Gedanken zur Ruhe kommen, laufen Betroffene auch später immer dann wieder Gefahr, schlecht zu schlafen, wenn es in ihrem Leben turbulent hergeht. Probleme in der Familie, im Job, im Finanzleben führen dann zu Stunden des schlaflosen Herumwälzens.

Schlaflosigkeit führt zu einem Teufelskreis

Zu den Schlafstörungen (Insomnie) zählen Schwierigkeiten mit dem Einschlafen, Durchschlafen oder das zu frühe Erwachen und daraus folgender Tagesbeeinträchtigung. Gelegentlich betroffen sind in der Schweiz 20 bis 30 Prozent der Menschen – Frauen etwas häufiger als Männer (2). Halten die Störungen länger als drei Monate an, und leiden Menschen mehr als drei Tage pro Woche unter gestörtem Schlaf, gilt das als chronische Insomnie.

PD Dr. Marc Spielmanns
zVg

«Die Angst vor der Schlaflosigkeit führt dazu, dass diese immer schlimmer wird», sagt PD Dr. Spielmanns, Ärztlicher Leiter des Schlafmedizinischen Zentrums Zürcher Oberland

Oftmals sind die Betroffenen dabei in einem Teufelskreis gefangen, berichtet PD Dr. Spielmanns, Ärztlicher Leiter des Schlafmedizinischen Zentrums Zürcher Oberland. «Der Patient mit gestörtem Schlaf leidet ja auch tagsüber darunter – die Menschen sind dann müde und nicht leistungsfähig. Im nächsten Schritt hat der Betroffene Angst, wieder nicht ein- oder durchschlafen zu können. Und das verstärkt dann wieder die Schlafprobleme.»

Schlimmstenfalls dreht sich im Leben der Insomniker alles nur mehr um den Schlaf: Betroffene beobachten sich häufig tagsüber stark, und fragen sich schon nachmittags, ob sie heute schlafen können. Manche trinken auch Alkohol, um abends ‹herunterzukommen›, nehmen Schlafmittel ein, oder gehen schon um acht Uhr ins Bett, wollen dadurch in einer längeren Bettzeit auf ausreichend Schlaf kommen.» Diese Verhaltensweisen verstärken laut dem Experten die Schlafprobleme über die Zeit immer mehr.

Insomniker verlieren Lebensjahre

Dabei bedeuten Schlafprobleme ein erhebliches Gesundheitsrisiko: Menschen, die regelmässig weniger als sechs oder mehr als neun Stunden pro Nacht schlafen, sterben im Schnitt früher als Menschen, deren Schlafdauer dazwischen liegt. Das liegt daran, dass sie unter anderem vermehrt an Diabetes mellitus, kardiovaskulären Erkrankungen und Adipositas erkranken.

Aber auch auf die Stimmungslage wirken sich chronische Schlafprobleme aus. So kommt es bei Betroffenen vermehrt zu psychischen Störungen wie Angststörungen, Depression, Suchterkrankungen und Suizidalität. Und umgekehrt verstärken bestimmte körperliche, u.a. neurologische Erkrankungen (z.B. Restless Leg Syndrom, Mb. Parkinson, Demenzen Schlafapnoe, chronische Schmerzen) oder psychische Störungen (z.B. Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom, Depressionen, Angsterkrankungen) die Schlafprobleme noch zusätzlich.

Im Zweifel eine Nacht ins Schlaflabor

«Die Patienten mit Schlafproblemen in unserer Klinik sind überwiegend erwerbstätige Personen mit chronischer Insomnie» erklärt Dr. Slawik, Co-Leiterin des Zentrums für Schlaf- und Chronomedizin der Basler Universitätskliniken. Häufiger sind das Menschen, die eine erhöhte Erregbarkeit haben, oder psychische Prädispositionsfaktoren aufweisen. Dazu gehören etwa Personen, die zu neurotischem Verhalten neigen, sowie perfektionistische, tagsüber Emotionsunterdrückende oder wenig resiliente Menschen.

In das Schlafzentrum kommen die Patienten üblicherweise entweder von sich aus, oder werden vom Hausarzt, Psychiater bzw. Neurologen, oder Pneumologen zugewiesen, so die Expertin. Dort werden in einer ausführlichen Abklärung die Symptomatik und mögliche Ursachen der Insomnie abgefragt. Wenn notwendig, werden zur Diagnostik Untersuchungen im Schlaflabor durchgeführt, bei denen Patienten eine Nacht im Labor übernachten. Auch ambulante Messverfahren, im Zuge derer mittels tragbarer Aufzeichnungsgeräte der Schlaf-Wach-Rhythmus untersucht wird, finden zunehmend Eingang in die Schlafmedizin.

Der Insomnie mit Verhaltenstherapie, Schlafrestriktion, und Medikamenten beikommen

Sind organische Ursachen für die Schlaflosigkeit ausgeschlossen, setzt das Zentrum vor allem auf die kognitive Verhaltenstheorie. Diese wird aktuell von allen nationalen und internationalen Leitlinien als Erstlinie empfohlen.

Dr. Helen-Christina-Slawik
zVg

«Nur ein Prozent der Patienten mit chronischer Insomnie erhält eine wirksame Therapie», sagt Dr. Helen Christina Slawik, Co-Leiterin des Zentrums für Schlaf- und Chronomedizin der Basler Universitätskliniken

Die Therapie wird entweder ambulant in acht Sitzungen oder als 14-tägiges stationäres Schlaftraining durchgeführt. Ist sie vor Ort für einzelne Patienten nicht verfügbar, gibt es auch die Möglichkeit, einen Online-Kurs auf Rezept zu bekommen, der in der Schweiz voll erstattungsfähig ist. Bei rund 60 Prozent der Teilnehmer bessern sich die Schlafprobleme durch die kognitive Verhaltenstherapie, eine Remission erzielen etwa 40 Prozent.

«Die kognitive Verhaltenstherapie setzt darin an, die Selbstwirksamkeit der Patienten zu stärken. Diese lernen dann: ‹ich kann selber einen Hebel finden, um wieder zu schlafen›» erklärt Dr. Slawik. Dazu gehört, dass Betroffene Massnahmen zur Schlafhygiene erlernen, wie etwa, schlafschädliches Verhalten wie schweres Essen, Kaffee oder Alkohol zu knapp vor dem Schlafengehen zu unterlassen. Darüber hinaus arbeitet die kognitive Verhaltenstherapie auch mit Entspannungstechniken, und einer Schlafrestriktion. Für Letztere wird der Chronotyp des Patienten bestimmt (z.B. per D-MEQ-Fragebogen), und dann der Schlaf auf ein vordefiniertes «Bettfenster» begrenzt. Passt der zirkadiane Rhythmus eines Patienten zu einem Morgen-Typ, schläft der Patient etwa zwischen 22.00 und 4.00. «Abendmenschen» schlafen hingegen zwischen 2.00 und 8.00 morgens.  

Schlafmittel enden schnell im Arzneimittelmissbrauch

Unterstützend zur Verhaltenstherapie wird bei manchen Patienten auch kontrolliert ein Medikament verordnet. «Eine Pharmakotherapie kann zum Beispiel zu Beginn einer Therapie die Adhärenz eines Patienten erhöhen» erklärt Dr. Slawik. Aber auch wenn die Symptome nach einer Verhaltenstherapie weiter andauern, oder diese nicht zur Verfügung steht, sind Medikamente laut Leitlinien eine Option.  

«Sedierende Antidepressiva oder Antipsychotika (z.B. Trazodon, Mirtazapin, Trimipramin, Quetiapin) sind besonders sinnvoll, wenn Patienten zusätzlich zu den Schlafstörungen unter einer komorbiden Depression oder psychotischen Störung leiden» betont Dr. Slawik. Jeder dieser Wirkstoffe kann bei einzelnen Patienten die Schlafprobleme verbessern, hat jedoch auch ein spezifisches Nebenwirkungsprofil. Dieses kann von Gewichtszunahmen über neurologische Ereignisse wie das Restless-Leg-Syndrom, die Verlängerung der QT-Zeit oder Schwindel reichen.

Zur kurzfristigen Behandlung eignen sich auch Benzodiazepine und Benzodiazepinrezeptor-Agonisten (Z-Substanzen). In der Realität nehmen Patienten diese aber nicht so kurz ein wie eigentlich zweckmässig, berichtet Dr. Slawik. «Eine Schweizer Untersuchung zeigt: 80 Prozent der Menschen, die Benzodiazepine anwenden, nehmen die Präparate länger als einen Monat ein, fast 80 Prozent mehrmals pro Woche (3).» Bei zwei Drittel liegt ein chronischer Gebrauch vor, bei dem Menschen Benzodiazepine länger als einen Monat mehrfach wöchentlich einnehmen.

Nur ein Prozent der Insomniker erhält die korrekte Therapie

Dieselbe Studie zeigt, dass obwohl die kognitive Verhaltenstherapie als Therapie der ersten Wahl gilt, nur ein Prozent der Betroffenen diese erhält. Ganze 70 Prozent der Menschen mit Insomnie erhalten hingegen ausschliesslich eine medikamentöse Behandlung. Das kann das Problem der Schlaflosigkeit mittelfristig jedoch sogar verstärken: «Hypnotika bessern zwar rasch die Symptome, die Gefahr für eine Substanzabhängigkeit oder Toleranzentwicklung ist aber hoch» warnt die Expertin. «Schlafmittel beeinträchtigen ausserdem das Schlafprofil, und schwächen die Selbstwirksamkeit.

Auch eine übertriebene Schlafhygiene, wie nur mit Ohrstöpseln oder Augenbrille schlafen zu können, stellen ein dysfunktionales Sicherheitsverhalten dar. Die Bedingungen für den Schlaf sollten zwar günstig eingerichtet werden, erzwingen kann man damit aber nichts.»

Rund 20 Prozent der Insomniepatienten in der Schweiz erhalten gar keine Behandlung.

Neuer Insomnie-Wirkstoff Daridorexant

Mit Daridorexant wurde im Oktober 2022 ein neuer Wirkstoff zur Behandlung der Insomnie in der Schweiz zugelassen. Bei Daridorexant handelt es sich um einen dualen Orexin-Rezeptor-Antagonisten, der in Studien objektive und subjektive Schlafparameter und Symptome am Tag verbesserte. Anders als andere Hypnotika ist er für die Behandlung von chronischer Insomnie zugelassen. Nebenwirkungen hatte die Substanz in den Studien nur selten. Allerdings ist das Präparat noch eher neu. Dadurch wurden ganz seltene Nebenwirkungen eventuell noch nicht entdeckt und gibt es noch wenige Anwendungsberichte bei Patienten mit komorbiden psychischen oder neurologischen Erkrankungen.

Zusätzlich ist Daridorexant  zwar in der Schweiz zugelassen und mittlerweile auch erhältlich, wird bislang aber noch nicht im Rahmen der Grundversicherung erstattet. «In Deutschland kosten 20 Tabletten 150 Euro.» Hohe Kosten, die derzeit oft noch privat getragen werden müssen: «vor allem, wenn die Erkrankung chronisch ist.»