Medical Tribune
9. Aug. 2023Phytotherapie

Ashwagandha: Schlafförderndes «Adaptogen» mit seltenen Risiken

Extrakte aus dem Kleinstrauch Withania somnifera (Ashwagandha, Schlafbeere) werden seit rund 3.000 Jahren in der ayurvedischen Medizin eingesetzt. Seit kurzem interessieren sich auch die Industrie und Menschen mit Schlafproblemen für das mutmassliche Schlafmittel. Was bislang über Wirksamkeit und Sicherheit der Präparate bekannt ist.

Das Interesse an Ashwagandha zur Behandlung von Schlafstörungen steigt.
Shimbhuistock/gettyimages

Aus dem ausdauernden Kleinstrauch Withania somnifera werden Ashwagandha-Extrakte gewonnen, die seit 3.000 Jahren in der ayurvedischen Medizin verwendet werden.

Rund ein Drittel der Schweizer leidet zumindest gelegentlich unter Schlafstörungen (1). In anderen westlichen Ländern sieht dieser Anteil ähnlich aus. Bei vielen Betroffenen wirkt sich die Insomnie negativ auf Körper und Psyche aus. So haben Menschen, die über Jahre mehr als neun oder weniger als sechs Stunden pro Nacht schlafen ein erhöhtes Risiko für Depressionen, Adipositas und kardiovaskuläre Erkrankungen.

«Ashwagandha» 6 mal mehr gegoogelt als vor fünf Jahren

Kein Wunder also, dass Betroffene von Schlafstörungen sehr häufig auf medikamentöse Hilfsmittel zurückgreifen: Rund 30 Prozent der Menschen mit chronischer Insomnie in der Schweiz gaben etwa an, regelmässig Schlafmittel einzunehmen, um ein- oder durchschlafen zu können (1). Mit unangenehmen Konsequenzen: Denn nicht selten schlittern Menschen so in die Abhängigkeit von Schlafmitteln wie Benzodiazepinen.

Andere schrecken vor dem Gebrauch klassischer Pharmazeutika zurück, und probieren sich durch die Phytotherapie: So sollen Baldrian, Passionsblume und Lavendel Abhilfe von den durchwachten Nächten bringen.

Was ist Ashwagandha?

Spätestens seit der Corona-Pandemie hat auch noch eine andere Substanz die Insomnie-Bühne betreten: Ashwagandha, die Schlafbeere. Ein Blick auf Google Trends zeigt, dass sich das Interesse an den beiden Suchbegriffen in den letzten fünf Jahren in etwa versechsfacht hat (2). Vor allem in den Nachtstunden zwischen Mitternacht und sechs Uhr morgens werden die Begriffe «Ashwagandha» und «Schlafbeere» gerne gegoogelt.

Ashwagandha, neben Schlafbeere auch Winterkirsche genannt, bezeichnet den Kleinstrauch Withania somnifera, der in Afrika, Vorder- und Südasien, China, und im Mittelmeerraum beheimatet ist. Aus dem Nachtschattengewächs werden Pflanzenteile gewonnen, die eine wichtige Rolle in der ayurvedischen Medizin haben. Ashwagandha sei dabei für Ayurveda das, was Ginseng für die traditionelle chinesische Medizin sei, liest man etwa auf Wikipedia (3).

In der EU werden Pflanzenteile von Ashwagandha als Nahrungsergänzungsmittel eingeordnet. Als solches ist es derzeit von vielen Anbietern rezeptfrei erhältlich.

Welche gesundheitlichen Vorteile werden Ashwagandha zugeschrieben?

Sowohl Ayurveda als auch die Phytomedizin sprechen Extrakten aus Withania somnifera, einem ausdauernden Gewächs, das etwa hohen Temperaturschwankungen trotzen kann, Wirksamkeit bei der körperlichen Stressreduktion im weitesten Sinne zu.

Im Ayurveda wird Ashwagandha für unterschiedliche Erkrankungen – von Impotenz über Hormonschwankungen bis zur Schlaflosigkeit – verwendet. Vor allem die Wurzeln, seltener die Blätter der Schlafbeere werden hier für die Herstellung von Pulvern, Tees und Tonika verwendet. Dabei werden Ashwagandha-Extrakte kaum einzeln verabreicht, sondern immer in Kombination mit anderen ayurvedischen Präparaten.

In der Phytomedizin werden Ashwagandha-Extrakte dank ihrem hohen Gehalt an sekundären Pflanzeninhaltsstoffen unter anderem für die antientzündliche und antioxidative Anwendung verwendet. Die Schlafbeere fällt in die naturheilkundliche Kategorie der «Adaptogene» – Präparate, die dem Körper eine Anpassung gegen Stressoren ermöglichen soll.

In das Zentrum des Interesses rückte Ashwagandha in den letzten Jahren bei der Linderung von Angststörungen und kognitiven Beeinträchtigungen. Aufgrund seiner mutmasslichen angstlösenden Wirksamkeit wird es zunehmend auch von Menschen mit Insomnie eingesetzt.

Für die meisten gesundheitsbezogenen Angaben von Ashwagandha ist die wissenschaftliche Basis allerdings noch ausständig.

Was bisher über die Wirksamkeit bei Insomnie bekannt ist

Einige kleine randomisierte Studien weisen darauf hin, dass Ashwagandha Menschen helfen könnte, schneller einzuschlafen, besser durchzuschlafen, und eine bessere Schlafqualität zu erreichen. Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2021 fand bis zu diesem Zeitpunkt fünf randomisierte kontrollierte Studien, die den Autoren wissenschaftlich seriös erschienen. Zusammengenommen hatten an ihnen insgesamt 400 Personen teilgenommen (4).

Sie ergab, dass Ashwagandha-Extrakte im Vergleich mit Placebo einen geringgradigen Effekt auf die Gesamtschlafqualität hatten. Die Effekte waren dabei deutlicher ausgeprägt bei einer kleinen Gruppe von Erwachsenen mit bekannten Schlafstörungen. Behandlungen mit Ashwagandha-Extrakten waren dabei wirksamer, wenn sie in höheren Dosen (≥ 600 mg täglich), und mehr als acht Wochen lang eingesetzt wurden.

Wirkstoff noch unbekannt

Wie Ashwagandha auf den Schlaf wirken soll, wurde bislang hauptsächlich in Tierstudien erforscht. So zeigte eine Studie an Ratten etwa eine Wirkung des methanolischen Auszuges von Withania somnifera auf die Aktivität der GABAA-ergen Neuronen, die für das Ein- und Durchschlafen wichtig sind (5). Sie sind auch der Hauptangriffsort von Schlafmitteln wie Benzodiazepinen und Barbituraten.

Welcher Wirkstoff für die mutmasslich schlaffördernde Wirkung der Schlafbeeren-Extrakte zuständig ist, ist nicht bekannt. Die Wurzeln und Blätter des Withania somnifera-Kleinstrauchs enthalten eine grosse Menge an möglicherweise bioaktiven sekundären Pflanzeninhaltsstoffen. Ein Kandidat sind dabei die Withanolide, Lactone, die spezifisch in der Schlafbeeren enthalten sind. Aber auch Schlafbeeren-Inhaltsstoffe wie Glycole und Alkaloide kommen in Frage.

Welche Nebenwirkungen kann Ashwagandha haben?

Manche Menschen beobachten nach der Einnahme von Ashwagandha-Extrakten Nebenwirkungen. Dazu zählen vor allem Durchfall, Übelkeit, und Erbrechen. Seltener wurde auch über andere Nebenwirkungen wie Hautausschläge, nächtliche Krämpfe, Hyperaktivität oder halluzinogenartige Effekte berichtet.

Wer sollte keine Ashwagandha-Extrakte einnehmen?

Bei Menschen ohne spezielle Risiken wird die Einnahme von Ashwagandha über eine Dauer von bis zu drei Monaten und mit Dosen von weniger als 500 mg pro Tag als sicher erachtet (6,7).

Umfassende toxikologische Untersuchungen, um die Sicherheit von Ashwagandha zu bestätigen, gibt es aber nicht (8). Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt, dass Kinder und Jugendliche keine Ashwagandha-Präparate einnehmen sollten (7). Ausserdem warnt die Organisation vor gleichzeitiger Einnahme mit Barbituraten, da deren Wirkung möglicherweise verstärkt werden könnte.

Vorsicht walten lassen sollten mit der Einnahme von Ashwagandha ausserdem

  • Schwangere oder stillende Frauen
  • Personen mit Lebererkrankungen, sowie
  • Personen, die Schilddrüsenhormone einnehmen.

Mögliche Effekte auf Leber und Schilddrüse

Vereinzelt wurde über leichte bis mittelschwere Leberschäden infolge der Anwendung von Ashwagandha-Präparaten berichtet (9).

Die Hepatotoxizität äusserte sich bei den berichteten Fällen als cholestatische oder gemischte Formen, begleitet von Gelbsucht und Juckreiz. Die Entzündung trat innerhalb von zwei bis 12 Wochen nach Beginn der Einnahme auf. In den meisten Fällen heilte sie innerhalb von einem bis drei Monaten nach Absetzen des eingenommenen Präparates wieder ab.

Der Grund für die seltenen Fälle von Leberschäden ist unbekannt. In den bislang vorhandenen klinischen Studien kam es nicht zu erhöhten Serumlevels bei Leberenzymen. Und auch Leberschäden traten im Studienzusammenhang nicht auf.

Bei verkäuflichen pflanzlichen Zubereitungen handelt es sich häufig um Mischungen von Kräutern und anderen Inhaltsstoffen (9). Diese können falsch etikettiert sein und unbekannte Kräuter und Medikamente enthalten. Aus diesem Grund ist nicht immer klar, ob die gemeldeten Fälle auf Ashwagandha und einen seiner Bestandteile oder auf eine Verunreinigung zurückzuführen sind. In mehreren gemeldeten Fällen wurde jedoch das eingenommene kommerzielle Produkt getestet und festgestellt, dass es Ashwagandha ohne andere Verunreinigungen enthält. Klinisch sichtbare Leberschäden, die auf Ashwagandha zurückzuführen sind, scheinen also vorzukommen, sind aber selten.

Aus Tierstudien weiss man, dass Ashwagandha-Extrakte auch die Schilddrüsenfunktion beeinflussen können. Dies wurde ebenfalls in einer Studie an Menschen mit bipolarer Störung, die Withania somnifera-Präparate einnahmen, beobachtet.

Was sagt die Medizin?

Bei der Frage, ob Ashwagandha als Schlafmittel wirksam und sicher ist, kommen die meisten Organisationen wie die europäische Zulassungsbehörde EMA, die Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin, sowie das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung BfR zu dem Schluss, dass noch weitere Studien erforderlich sind (8, 10, 11). Das liegt an der mässigen Qualität der bisher durchgeführten Humanstudien.

Die EMA spricht aktuell für einige Phytotherapeutika eine Empfehlung zur Schlafunterstützung aus, tut dies aber eher aufgrund von traditioneller oder etablierter Anwendung als aufgrund von wissenschaftlicher Evidenz. Zu diesen gehören etwa die Baldrianwurzel, Hopfen, Lavendel, die Passionsblume und Melissenblätter, nicht aber Ashwagandha (10).