Medical Tribune
19. Apr. 2022Sportmedizin

Was Doping und Supplemente an Herz und Kreislauf anrichten können

Man kann nur staunen, was Menschen alles schlucken und spritzen, um ihre körperliche und geistige Leistung zu steigern. An Neben- und Wechselwirkungen denkt kaum einer. Die grösste Gefahr droht dem kardiovaskulären System.

Für viele Sportler gehören Doping und Supplemente dazu
iStock/mixedreality

In einem aktuellen Positions­papier der European Association of Preventive Cardiology stellen die Autoren drei relevante Kategorien von Menschen vor, die Medikamente oder Substanzen zum Sport ­gebrauchen (1):

  1. Profis, die im klassischen Sinne dopen, um ihre Leistung zu verbessern.
  2. Chronisch Kranke mit vorbestehender Medikation, die ihre körperlichen Aktivitäten steigern, um ihre Behandlung zu unterstützen. Dabei gibt es Wechselwirkungen in beide Richtungen: Die Medikation kann das Training beeinflussen und der Sport die Wirkung und Nebenwirkungen der Therapeutika.
  3. Sportler und junge Menschen, die Substanzen bzw. Substanz­gemische als Nahrungsergänzung oder zur Steigerung der kognitiven Performance einnehmen.

«Alle Substanzen, die zu diesen Zwecken verwendet werden, haben Nebenwirkungen, und die kardiovaskulären Effekte wiegen am schwersten», schreibt die internatio­nale Gruppe um Dr. Paolo Adami vom Weltleichtathletikverband. Anlass zur Sorge bereitet vor allem die Anwendung im Freizeitsport, wo die Athleten weniger gesundheitlichen Kontrollen unterliegen als Profi­sportler. Und der Gebrauch hat in den letzten Jahren sprunghaft zugenommen.

Risikoprofil von selektiven Modulatoren kaum bekannt

Beim Doping kommen insbesondere anabole Steroide und Wachstumshormone zum Einsatz, seit Kurzem auch sogenannte selektive Androgenrezeptormodulatoren (SARM) wie die Substanzen Ostarin und Andarin, die keine steroidale Struktur besitzen und primäre anabole Effekte ausüben. Während die kardio­vaskulären Risiken der klassischen Anabolika ebenso vielfältig wie gut untersucht sind – sie reichen von prämaturer KHK und Herzinfarkt über Arrhythmien mit Herztod-Risiko bis hin zur Herzinsuffizienz –, gibt es zu SARM noch wenige Erkenntnisse. Was nicht bedeutet, dass sie harmlos sind: Auch ihnen schreibt man potenzielle karzinogene und kardiovaskuläre Nebenwirkungen zu.

Humanes Wachstumshormon (hGH) wird in supraphysiologischer Dosierung angewandt, um anabole Wirkungen zu erzielen. Über kardiovaskuläre Effekte ist noch wenig bekannt, aber bei Patienten mit Akromegalie­ löst der hGH-Überschuss auf lange Sicht Hypertonie, Kardiomyopathien und Herzinsuffizienz aus.

Auf der Verbotsliste der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA stehen ausserdem unter anderem:

  • Narkotika wie Buprenorphin oder Fentanyl, die die Reizleitung stören und ein Takotsubo-Syndrom oder eine KHK verursachen können­ aus der ADHS-Therapie «geborgte» Stimulanzien mit der Gefahr von Herzinsuffizienz, Myo­kardinfarkt, Kammer- und Vorhoffibrosen, Lungenhochdruck und Schlaganfall
  • Beta-2-Agonisten, die arrhythmogene Effekte haben und Schäden am Myokard anrichten können
  • Glukokortikoide, die Hypertonie und Dyslipidämie begünstigen

Unter dem Oberbegriff «Blut-Doping» lassen sich Eigenbluttransfusionen, EPO und Wirkstoffe zusammenfassen, welche die periphere Sauerstoffaufnahme, den Sauerstoffgehalt des Blutes und/oder die kardiale Auswurfleistung steigern. EPO erhöht das Risiko für Herzinsuffizienz und Thrombosen.
Von Wettkampfsportlern weiss man, dass sie z.B. versuchen, Erythropoese und Angiogenese mit Kobaltchlorid zu steigern oder die Hb/O2-Dissoziation mit dem synthetischen Hb-Modifikator Efaproxiral zu forcieren. Weder Nutzen noch Risiken sind bei diesen Wirkstoffen systematisch erforscht.

40 bis 100 Prozent der Sportler nehmen rezeptfreie Präparate ein

Weit unübersichtlicher als die verschreibungspflichtigen Medikamente, über deren Risiken und Nebenwirkungen der Arzt als Verordner in der Regel eine gute Orientierung hat, ist die Fülle von Pillen, Drinks und Supplementen, die sich Sportler rezeptfrei in Apotheken, Drogerien oder Supermärkten besorgen. Studien zufolge nehmen je nach Sportart und Wettkampflevel 40 bis 100 Prozent der Athleten solche Präparate. Die Spanne reicht von den üblichen Multivitamin- und Mineralstoffmischungen über Koffein, Carnitin und Taurin bis hin zu exotisch anmutenden Kandidaten wie Colostrum und Randensaft. Letzterem werden aufgrund des hohen Nitratgehalts positive Wirkungen auf die aerobe Performance zugeschrieben.

Natürlich darf auch Nikotin nicht fehlen, das zwar keine Leistungssteigerung im eigentlichen Sinne bewirkt, aber Berichten zufolge die Zeit bis zur Erschöpfung verlängern kann. Bei den Energy­drinks stellt nicht nur der hohe Koffeingehalt ein Problem dar, der bei exzessivem Konsum schnell in toxische Bereiche führt. Viele Sportler mixen sie auch mit Alkohol und unterschätzen die motorischen­ Defizite, die das mit sich bringt.

Kumulative Dosis durch Konsum mehrerer Produkte

Häufig schlucken Athleten mehrere Produkte gleichzeitig, ohne sich Gedanken über die kumulative Dosis der Inhaltsstoffe, synergistische und antagonistische Effekte zu machen. «Ein natürliches Supplement ist nicht automatisch ein sicheres Supplement», warnen die Experten und empfehlen, auf jeden Fall nur Produkte etablierter Hersteller mit anerkannt guten Qualitätsstandards zu verwenden. Vor allem Sportwillige mit kardialen Vorschäden sollten unbedingt ärztlichen Rat suchen, bevor sie irgendwelche Supplemente konsumieren. Für Ärzte wiederum gilt es, sich zu vergewissern, dass ein klinischer Bedarf besteht, bevor sie Supplemente empfehlen oder verordnen.

Referenz