Medical Tribune
13. Feb. 2023Seltene Erkrankungen

Hämophilie A: Erleichtern ein stabilisierter Faktor VIII und ein Biologikum künftig das Management?

Zwei Studien bringen Hoffnung für Patienten mit der häufigsten Form der Hämophilie. So soll der stabilisierte rekombinante Faktor VIII Efanesoctocog Alfa Erleichterung für Patienten mit schwerer Hämophilie A bringen. Patienten mit leichteren Verlaufsformen könnte hingegen der Antikörper Emicizumab eine leicht anwendbare Blutungsprophylaxe bescheren.  

Die beiden Therapeutika Efanesoctocog Alfa und Emicizumab könnten künftig die Prophylaxe bei Patienten mit Hämophilie A verbessern.
selvanegra/gettyimages

Die häufigste Form der Hämophilie ist die Hämophilie A. Sie kann zu rezidivierenden Blutungen an unterschiedlichen Lokalisationen und in unterschiedlichen Ausmassen führen. Von diesen schweren Blutungsereignissen sind ausschliesslich Männer betroffen.

Das Management der Erkrankung besteht in der Substitution des Faktors VIII mit heute meist rekombinant hergestellten Konzentraten.

Die Hämophilie gilt als seltene Krankheit. In der Schweiz weiss man von etwa 750 Betroffenen mit Hämophilie, die mehr oder weniger regelmässig medizinische Dienste aufgrund ihrer Erkrankung in Anspruch nehmen.

Hintergrund der Erkrankung ist eine funktionelle Defizienz des Faktors VIII, die zu unterschiedlichen Faktor-VIII-Spiegeln führen kann. Symptome treten erst bei Aktivitäten von unter 25 Prozent der normalen Aktivität des Gerinnungsfaktors auf.

Eine schwere Hämophilie liegt dann vor, wenn die Aktivität unter einem Prozent des Normalbereichs liegt. Bei diesen Patienten ist die Neigung für mitunter auch spontane Blutungen besonders hoch. Aber auch bei Patienten mit mittelschwerer oder leichter Hämophilie können Blutungen, vor allem in Gelenken, auftreten.

Efanesoctocog Alfa überkommt die «von Willebrand ceiling»

Zwei neue Publikationen von Anfang Februar 2023 geben Anlass Hoffnung, dass sich das Management der Hämophilie A in absehbarer Zeit verbessern könnte.

In der ersten Studie (1) wurde der stabilisierte rekombinante Faktor VIII Efanesoctocog Alfa bei Patienten mit schwerer Hämophilie A untersucht. Efanesoctocog Alfa ist dank einer angefügten Region des Von-Willebrand-Faktors stabiler als aktuell verwendete rekombinante Faktor-VIII-Präparate. Das Design des Proteins verhindert die Bindung des von Willebrand Faktors, der ansonsten die Eliminationsrate des Faktor VIII bestimmt («von Willebrand ceiling»). Es besitzt eine Aktionsdauer von 47 Stunden, im Gegensatz zu aktuellen Präparaten, deren Halbwertszeit rund 18 Stunden beträgt.

Die Phase-III-Studie schloss 133 Patienten mit Hämophilie A ein, bei denen gezeigt werden konnte, dass eine einmal wöchentliche intravenöse Gabe von Efanesoctocog Alfa (50 IU/kg) zur Prophylaxe die mittlere jährliche Blutungsrate von 2,96 (mit Faktor-VIII-Prophylaxe ohne Efanesoctocog Alfa) auf 0,69 reduzieren konnte. Die Gabe von Efanesoctocog Alfa erhielt dabei vier Tage lang fast das Faktor-VIII-Level von Gesunden, und reichte zur Blutungsprophylaxe eine ganze Woche aus.

 In einer weiteren ("on-demand") Patientengruppe konnte bei 26 Personen gezeigt werden, dass fast alle auftretenden Blutungen mit einer Injektion von Efanesoctocog Alfa gestoppt werden konnten.

Emicizumab für leichtere Verlaufsformen

Gleichzeitig erschien eine Studie in Lancet Haematology (2), die zeigte, dass der monoklonale Antikörper Emicizumab, der bereits jetzt zur Behandlung schwererer Verlaufsformen der Hämophilie A zugelassen ist, auch für die Therapie von Patienten mit leichteren Verlaufsformen geeignet sein könnte. Bei Patienten mit leichter oder mittelschwerer Ausprägung einer Hämophilie A wird die zeitintensive und unpraktische regelmässige Infusionstherapie zur Prophylaxe oft nicht durchgeführt, da diese nicht so häufig unter Blutungen leiden. Viele Patienten leiden im Erwachsenenalter dennoch oft unter Blutungsepisoden vor allem in den Gelenken.

Die Studie konnte bei 73 Probanden mit leichten oder mittelschweren Verlaufsformen zeigen, dass die prophylaktische Behandlung mit Emicizumab die jährliche Rate aller auftretenden Blutungen von 10,1 auf 2,3 senken konnte. Emicizumab kann alle ein bis zwei Wochen subkutan verabreicht werden, was eine deutlich einfachere Anwendung darstellt als die Infusionstherapie mit dem Faktor VIII.

Emicizumab ist ein Faktor-VIII-Mimetikum in Form eines bispezifischen monoklonalen Antikörpers, der gegen den Gerinnungsfaktor IXa und den Faktor X gerichtet ist. Durch die Bindung an die beiden Moleküle vermittelt Emicizumab deren Aktivierung, und ahmt damit die Funktion des Faktors VIIIa nach, der die Umsetzung von Faktor X mittels des Faktors IXa zu Faktor Xa vermittelt.

Referenzen
  1. Lissitchkov T et al. Efanesoctocog alfa for hemophilia A: results from a phase 1 repeat-dose study. Blood Adv. 2022 Feb 22;6(4):1089-1094. doi: 10.1182/bloodadvances.2021006119.
  2. Négrier C et al. Emicizumab in people with moderate or mild haemophilia A (HAVEN 6): a multicentre, open-label, single-arm, phase 3 study. Lancet Haematol. 2023 Jan 27:S2352-3026(22)00377-5. doi: 10.1016/S2352-3026(22)00377-5.