Medical Tribune
1. Sept. 2021Zusatznutzen durch Radioligandentherapie beim mCRPC?

PSMA-617 mit therapeutisch wirksamem Lutetium-177 markiert

Das prostataspezifische Membranantigen PSMA ist auf Karzinomzellen in der Regel deutlich stärker exprimiert als auf gesunden Prostatazellen. Da es im übrigen Körper wenig vorkommt, eignet es sich als Therapieziel. Für PSMA-positive, metastasierte und kastrationsresistente Tumoren liegen nun positive Phase-III-Studiendaten zum Einsatz des Radiotherapeutikums 177Lu-PSMA-617 vor.

Durch die Radioligandentherapie mit PSMA werden Prostatakrebszellen von «innen» bestrahlt.
Foto: iStock/hh5800

Das vorgestellte Radiopharmakon 177Lu-PSMA-617 besteht aus einem kleinen Molekül, das spezifisch an PSMA bindet und mit dem therapeutischen Radionuklid Lutetium(Lu)-177 beladen ist. Mittels Endozytose gelangt der Betastrahler ins Zellinnere und setzt die Prostatakarzinom- und ihre Nachbarzellen radioaktiver Strahlung aus. Da diese nur wenige Millimeter weit wirkt, können höhere und effektivere Strahlendosen direkt gegen die Tumorzellen gerichtet werden als bei einer externen Radiotherapie, erläuterte Professor Dr. Michael J. Morris vom Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York.

Für die internationale Phase-III-Studie VISION wurden insgesamt 831 Männer mit PSMA-positivem, metastasiertem und kastrationsresistentem Prostatakrebs (mCRPC) 2:1 randomisiert. Alle waren zuvor mit mindestens einer gegen den Androgenrezeptor gerichteten Substanz sowie ein bis zwei taxanbasierten Chemotherapien behandelt worden.

rPFS und OS signifikant um 4–5 Monate verlängert

Im experimentellen Arm erhielten die Patienten zusätzlich zum «Standard-of-Care» 177Lu-PSMA-617 alle sechs Wochen über vier bis maximal sechs Zyklen. Der Standard im Kontrollarm durfte u.a. keine Chemo- oder Radium-223-Therapie beinhalten. Alternierende primäre Studienendpunkte waren das radiographische progressionsfreie Überleben (rPFS) sowie das Gesamtüberleben (OS).

Die Studienarme waren balanciert hinsichtlich Alter, Vorbehandlungen und Metastasierung.Das mediane Alter in der Kohorte betrug 70 Jahre bei mehrheitlich (> 90 %) gutem Allgemeinzustand (ECOG 0–1). Mehr als 90 % der Patienten hatten Knochenmetastasen, etwa die Hälfte befallene Lymphknoten und jeweils etwa 10 % Leber- bzw. Lungenmetastasen.

Die zusätzliche Radioligandentherapie verlängerte das mediane rPFS auf 8,7 Monate gegenüber 3,4 Monaten im Kontrollarm (Hazard Ratio [HR] 0,40; p < 0,001). Das mediane OS betrug mit der Zusatztherapie 15,3 Monate im Vergleich zu 11,3 Monaten unter dem Standard (HR 0,62; p < 0,001). Subgruppen-Auswertungen ergaben grösstenteils ähnliche Ergebnisse wie die Gesamtkohorte.

Im Prüfarm erreichte gut die Hälfte der Patienten mit messbarer Erkrankung eine objektive Remission, darunter 9,2 % komplette Remissionen. Im Kontrollarm kam es dagegen nur zu 3,1 % partiellen Remissionen.

Primär progredient waren 13,0 % der Behandelten mit zusätzlicher Radio-Liganden-Therapie versus 45,3 % unter dem Standard. Ein PSA-Ansprechen mit einem PSA-Wert-Abfall max. 50 % bzw. max. 80 % zeigten 46,0 % bzw. 33,0 % im Vergleich zu 7,1 % bzw. 2,0 %.

Diskutantin hatte sich von den Daten «mehr erhofft»

Prof. Morris bezeichnete 177Lu-PSMA-617 als gut verträglich. Trotz einer höheren Nebenwirkungsrate im Vergleich zur Kontrolle seien keine neuen oder bedenklichen Sicherheitssignale aufgetreten. Nach Zulassung biete 177Lu-PSMA-617 künftig eine wichtige neue Option beim mCRPC. In der Diskussion sprach Professor Dr. Mary-Ellen Taplin, Harvard Medical School und Dana Farber Cancer Institute, Boston, zwar von positiven Ergebnissen. Sie wies jedoch darauf hin, dass die Studienpatienten vorab auf PSMA-Positivität selektiert wurden. Die erreichte mediane Gesamtüberlebenszeit liege mit 15,3 Monaten im Rahmen dessen, was in früheren Phase-III-Studien mit der Systemtherapie erreicht wurde. Vor diesem Hintergrund habe sie sich von 177Lu-PSMA-617 mehr erhofft.

Morris MJ et al. 2021 ASCO Annual Meeting (virtuell); Abstract LBA4