Medical Tribune
25. Aug. 2021Nutzen, was da ist

Migräne: Therapeutika werden nur unzureichend eingesetzt

Wirksame Mittel gegen Migräne gibt es eigentlich genug. Doch Fakt ist: Die Betroffenen sind unterversorgt, wie Daten aus Europa zeigen. Ein Team internationaler Experten nahm das zum Anlass, einen aktuellen Überblick über die Therapieoptionen zu geben.

Kunststil des menschlichen Gehirns mit Donnerstrom im Inneren
iStock/pickbiz

Weltweit leiden mehr als eine Milliarde Menschen an Migräne. Die Erkrankung gilt als führende Ursache für Lebensjahre mit Einschränkungen bei Menschen unter 50 Jahren. Dazu kommen erhebliche individuelle und soziale Kosten, schreiben die Forscher unter Federführung von Professor Dr. Messoud Ashina vom Danish Headache Center, Abteilung Neurologie der Universität Kopenhagen. Eine Fülle von Behandlungsoptionen steht zur Verfügung, doch die Ergebnisse aus sechs europäischen bevölkerungsbasierten Studien liessen 2018 erhebliche Missstände erkennen und zwar in puncto Unterbehandlung, mangelnder Therapieadhärenz oder Zugriff auf bestimmte Medikamente. So nahmen nur 3–22 % der Migräne-Patienten Triptane und lediglich 2–14 % der Betroffenen, die für eine medikamentöse Prophylaxe infrage kommen, nutzten sie tatsächlich.

Wann ist die Akutbehandlung der Migräne erfolgreich?

Die International-Headache-Society hat zwei klinische Outcomes definiert, die in randomisierten kontrollierten Studien den Behandlungserfolg kennzeichnen:

  • Schmerzfreiheit innerhalb von zwei Stunden nach der Therapie
  • Abklingen von störenden Migräne-assoziierten Begleiterscheinungen wie Übelkeit, Erbrechen, Lichtscheu oder Lärmempfindlichkeit innerhalb von zwei Stunden nach der Therapie

Ergotamine nicht mehr routinemässig verwenden

Zur Akutbehandlung von Attacken werden häufig einfache Analgetika wie Paracetamol und NSAR eingesetzt, obwohl eine Paracetamol-Monotherapie nicht als Erstlinien-Medikation gilt. Effektiv sind die NSAR Ibuprofen, Acetylsalicylsäure und Diclofenac. Ergotamine gehören zu den ältesten Migräne-Therapeutika, wirken aber in oraler Form nicht so gut wie Triptane und können zu vaskulären Ereignissen führen. Daher rät die European Headache Federation, sie nicht mehr routinemässig zu verwenden.

Die Migräne-spezifischen Triptane liegen in unterschiedlichen Formulierungen vor, wobei Sumatriptan in den meisten Ländern der Welt zur Verfügung steht. In der Regel werden Triptane zur Behandlung von Migräne-Attacken mit mittelschweren oder schweren Kopfschmerzen verordnet, die Anwendung empfiehlt sich möglichst früh, bevor die Kopfschmerzen an Stärke zunehmen. Orale Triptane kosten weniger und sind leichter verfügbar als z.B. subkutanes Sumatriptan. Dennoch wird eine nicht orale Formulierung bevorzugt, wenn Patienten Migräne-Attacken mit begleitender Übelkeit und Erbrechen haben, bereits beim Aufwachen an mittelschweren oder schweren Kopfschmerzen leiden oder eine rasche Wirkung brauchen. Bei Erbrechen und Übelkeit können zusätzlich prokinetische Antiemetika hilfreich sein.

Falls die Betroffenen auf ein bestimmtes Triptan nicht ansprechen, sollte man einen anderen Vertreter der Substanzklasse versuchen. Sumatriptan kann auch erfolgreich in Kombination mit Naproxen eingesetzt werden. Auch Triptane haben vasokonstriktorische Effekte. Daher raten die Autoren, sie bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit, zerebrovaskulärer Erkrankung oder unkontrollierter Hypertonie nicht zu verwenden.

Die Gepante Ubrogepant und Rimegipant sowie das Ditan Lasmiditan sind neue, bisher nur in den USA zugelassene Substanzen gegen mittelschwere bis schwere Attacken. Gepante agieren als Antagonisten am CGRP(Calcitonin Gene-Related Peptide)-Rezeptor, Ditane als Serotoninrezeptor-Agonisten. Der therapeutische Nutzen der Gepante gilt als moderat, Lasmiditan beeinträchtigt Autofahren und das Bedienen von Maschinen für mindestens acht Stunden nach Einnahme, sodass der Einsatz dieser Präparate auf Kranke beschränkt bleiben dürfte, bei denen Kontraindikationen gegen nichtsteroidale Antirheumatika und Triptane vorliegen oder diese nicht anschlagen.

Die European Headache Federation empfiehlt eine Prophylaxe für Patienten, die Attacken an mindestens zwei Tagen pro Monat haben und deren Lebensqualität dadurch eingeschränkt wird. Ausserdem sollte sich die Migräne trotz optimierter Akutmedikation nicht angemessen kontrollieren lassen oder zu einer sehr häufigen Anwendung von Akutmedikamenten führen. Die Autoren betonen, dass die Entscheidung für die Vorbeugung individuell und in Übereinstimmung mit den lokalen Praxisleitlinien getroffen werden sollte. Folgende Substanzgruppen kommen infrage:

  • Antidepressiva: insbesondere Amitriptylin
  • Antihypertensiva: vor allem Betablocker (Propranolol, Metoprolol, Atenolol), aber auch Candesartan und weitere Substanzen
  • Antikonvulsiva: Topiramat und Valproat
  • Flunarizin (ein Kalziumantagonist)
  • Injektionen mit Onabotulinumtoxin A
  • subkutane oder intravenöse Gabe von monoklonalen Antikörpern gegen CGRP

Akupunktur: Placeboeffekt eine Chance geben

Neben den verschiedenen medikamentösen Optionen gibt es laut den Autoren weitere Erfolg versprechende Möglichkeiten:

  • Neuromodulation (über implantierte oder nichtinvasiv verwendete Geräte)
  • kognitive Verhaltenstherapie
  • Biofeedback
  • Entspannungsübungen

Inkohärente Daten liegen zu diätetischen Massnahmen, physikalischer Therapie und Akupunktur vor. Was Letztere betrifft, mögen potenziell günstige Einflüsse auf einem Placeboeffekt beruhen, da die Nadelung aber kaum schadet, kann sich ein Versuch lohnen, so die Experten. Generell gilt es, die Therapie individuell an die Wünsche der Migräne-Patienten anzupassen, eine wiederholte Edukation durchzuführen und vor allem: die Kommunikation mit den Betroffenen nicht zu vernachlässigen.

Ashina M et al. Lancet 2021; 397: 1505–1518.