Medical Tribune
27. Nov. 2020Phagen sollen Bakterien angreifen

Neue Strategie wirkt Resistenz von NTM entgegen

Wenn ein Mikroorganismus schwer zu bekämpfen ist, hetzt man einen anderen auf ihn, der ihn zerstört. Nach diesem Prinzip funktionieren Bakteriophagen, die jetzt auch gegen nichttuberkulöse Mykobakterien (NTM) entwickelt werden.

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NTM sind von Natur aus gegen diverse Antibiotika resistent. Das hat eine Reihe von Gründen: Die lipidreiche Aussenmembran wirkt wie ein Schutzschild gegen eindringende Wirkstoffe und die Tatsache, dass die Organismen Biofilme bilden, unterstützt das noch. Hinzu kommt, dass die Keime in phagozytierenden Zellen sitzen, sich nur langsam vermehren und zeitweise ganz in «Winterschlaf» fallen.

Ein Arzneimittel, das sich selbst vervielfältigt

Lytische Phagen sind ein attraktives Konzept, weil sie selektiv bestimmte Bakterien anfallen, den Rest der Flora aber in Ruhe lassen, erinnerte Professor Dr. Paul E. Turner von der Yale University in New Haven. Ausserdem stellen sie ein sich selbst vervielfältigendes «Arzneimittel» dar, das seine Produktion einstellt, sobald das Pathogen eliminiert ist – speziell bei NTM braucht es dafür jedoch einen langen Atem, weil sie sich so langsam vermehren. Dafür muss man in Kauf nehmen, dass die Phagen nur ein begrenztes Spektrum von Bakterien angreifen, manchmal sogar nur einen Genotyp eines bestimmten Bakteriums. Dann braucht es möglicherweise einen ganzen Phagen-Cocktail für eine erfolgreiche Therapie. Es gibt aber auch «Breitband-Phagen» mit breiterem Angriffsspektrum. Der Transport zum Ort der Infektion kann schwierig sein und ein Angriff des Immunsystems auf die Phagen droht. Schliesslich sind Pathogene in der Lage, auch gegen Phagen Resistenzen zu entwickeln.

Phagen können in grosser Zahl aus einfachen Umweltmaterialien isoliert werden, anschliessend lässt sich anhand ihres Genoms die Wirtsspezifität ermitteln. Das Howard Hughes Medical Institute und die Universität Pittsburgh haben auf diese Weise – und mithilfe von über 5000 Studierenden – innerhalb von mehr als zehn Jahren im Projekt SEA-PHAGES* eine riesige Phagen-Bibliothek zusammengetragen. Es ist nicht ganz einfach, daraus für jeden Patienten die geeigneten Phagen herauszufischen. Nicht selten stirbt ein Patient mit seiner NTM-Infektion, bevor ein oder mehrere Phagen identifiziert sind. Unter Umständen müssen die Phagen noch genetisch modifiziert werden, bevor man sie dem Patienten infundiert, um zu vermeiden, dass sie sich in den Bakterien replizieren, ohne diese abzutöten.

Attacke trifft mehrere Überlebensfunktionen

Wie bei Antibiotika können Bakterien auch gegen Phagen Strategien entwickeln, mit denen sie den Viruseintritt abblocken, das Viruserbgut zerstören oder den Zusammenbau der fertigen Viren verhindern. Um das zu verhindern, suchen Forscher jetzt nach lytischen Phagen, die natürlicherweise an Strukturen andocken, die als Virulenz- oder Antibiotikaresistenzfaktoren dienen. Ziel ist, die Pathogene zu zerstören und zugleich für Mechanismen zu selektieren, die Virulenz oder Resistenz bei den Keimen abschwächen, die dem Phagenangriff entgehen, erklärte Prof. Turner.

«Bei Effluxpumpen funktioniert das wunderbar, denn die haben ein Protein ausserhalb der Zellmembran, das als Bindungsstelle für Phagen dienen kann», so der Infektiologe. Effluxpumpen sind ausserdem an Kolonisation, Immun-Escape und Biofilmbildung beteiligt, sodass eine Phagenattacke gleich mehrere wichtige Überlebensfunktionen trifft.

Bei multiresistenten Pseudomonas aeruginosa klappt das recht gut. Behandelt man die Keime mit den entsprechenden Phagen, erledigen Antibiotika jene, die überlebt haben. Prof. Turners Arbeitsgruppe hat das unter Aufsicht der Arzneibehörde FDA als Notfalltherapie bei 13 Patienten – zehn mit zystischer Fibrose, zwei mit Bronchiektasen und einer nach Lungentransplantation – erprobt und bei allen einen Erfolg erzielt, ohne dass Sicherheitsprobleme aufgetreten wären. Dabei kamen sowohl einzelne Phagen als auch Sequenzen oder Cocktails zum Einsatz. Bei NTM gibt es bisher nur Einzelfallberichte, aber die lassen hoffen, dass die Phagenstrategie auch hier funktionieren wird.

* Science Education Alliance – Phage Hunters Advancing Genomics and Evolutionary Science

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