Medical Tribune
1. Juli 2020MS und Schwangerschaft

Gute Chancen auf ein gesundes Kind

Die schubförmig remittierende Multiple Sklerose (MS) betrifft vor allem junge Frauen. Besteht ein Kinderwunsch, so ist die gute Planung das A und O für die Gesundheit von Mutter und Kind.

iStock/Honeyriko

Sobald die Diagnose MS gestellt ist, sollte die erste Frage sein, ob die Patientin erwägt, ein Kind zu bekommen, da dies Auswirkungen auf die Behandlung der Krankheit selbst hat, empfahl Professor Dr. Letizia Leocani, Universität Vita-Salute San Raffaele in Mailand. Laut einer US-Umfrage entscheiden sich etwa 79 % der Frauen mit MS nach der Diagnose gegen eine Schwangerschaft. Das gleiche Ergebnis zeigte sich in einer italienischen Fall-Kontroll-Studie: Patientiennen mit MS waren häufiger kinderlos und liessen Abtreibungen vornehmen, obwohl aus anderen Studien bekannt ist, dass es zwischen MS-Patientinnen und Kontrollen keinen Unterschied in Bezug auf die Fruchtbarkeits- oder Fehlgeburtenrate gibt. «Die Patientinnen fürchten vor allem, krankheitsmodifizierende Medikamente (DMDs) absetzen zu müssen oder Kinder mit MS zu bekommen», erklärte Prof. Leocani.

Nur wenige Kinder erkranken

Insgesamt überschätzen Patienten die genetische Komponente. Die MS resultiert aus einer Gen-Umwelt-Interaktion. Nur 2 % der Kinder, bei denen ein Elternteil betroffen ist, werden die Krankheit haben, und selbst wenn beide Elternteile betroffen sind, erkrankt nur ein Fünftel der Kinder. Zumindest während des letzten Jahrzehnts gab es eine Tendenz zu einer Zunahme von Schwangerschaften bei MS: «Ich denke, dass die Patientinnen aufgrund einer verbesserten Krankheitsbekämpfung mit DMDs mehr Selbstvertrauen haben, sie wissen mehr über die Erkrankung und kommunizieren besser mit Ärzten», sagte Prof. Leocani. Nach ihrer Erfahrung ist die schlimmste Befürchung von MS-Patientinnen, dass eine Schwangerschaft den Verlauf ihrer Krankheit verändert.

Die MS-Aktivität ist aufgrund der relativen mütterlichen Immuntoleranz in der Schwangerschaft geringer – besonders im dritten Trimenon. Dies ändert sich jedoch rasch nach der Entbindung: Drei Monate nach der Geburt nehmen Schübe, die das Risiko eines Fortschreitens der Behinderung erhöhen, um 30 % zu. Diese Gefahr kann teilweise durch sorgfältige Planung verhindert werden – noch bevor die Schwangerschaft eintritt, so die Expertin. Es ist wichtig, die richtige Behandlung im Voraus zu planen und eine gute Krankheitskontrolle vor der Schwangerschaft zu erreichen.

Die Planung beginnt vor der Schwangerschaft

Eine Schwangerschaft sollte bei Frauen mit stabiler Erkrankung in Betracht gezogen werden, die im Vorjahr keine Schübe erlitten haben und auf einem kürzlich durchgeführten MRI keine aktiven Läsionen aufweisen. Bei jeder Frau ist das Risiko zwischen Behandlung oder Nicht-Behandlung abzuwägen, empfahl Prof. Leocani. Die Basistherapie mit Prednisolon ist im zweiten und dritten Trimester ziemlich sicher. Da es zu 10 % plazentagängig ist, sollte das Medikament jedoch im ersten Trimester vermieden werden. Interferone gelten im gesamten Schwangerschaftsverlauf als sicher. «Eine Zweitlinientherapie z.B. mit Natalizumab würde ich bei einer sehr aktiven Erkrankung in Betracht ziehen. Es handelt sich um ein grosses Molekül, das die Plazenta in der frühen Phase der Schwangerschaft nicht durchqueren kann», sagte Prof. Leocani. Dieses Medikament sollte nach 32 Wochen abgesetzt werden, um hämatologische Anomalien bei den Nachkommen zu vermeiden.

Wegen des hohen Schubrisikos ist es notwendig, dass Frauen mit aktiver Erkrankung eine Therapie erhalten. Dabei sollte die Behandlung mit Natalizumab oder DMDs innerhalb eines Monats nach der Entbindung wieder aufgenommen werden. Es gilt, einen doppelten Rebound-Effekt zu vermeiden: einen natürlichen post partum und einen zweiten durch den Entzug von Natatalizumab, so die Referentin. Prädiktoren für einen Schub nach der Geburt sind höhere Schubraten im Jahr vor und während der Schwangerschaft sowie eine schnelle Progredienz der Behinderung vor der Schwangerschaft.

Rechtzeitig mit DMDs behandeln

Die Art der Entbindung sollte der Entscheidung des Frauenarztes überlassen werden. Daten zeigen, dass MS-Patientinnen kaum mehr per Kaiserschnitt gebären als gesunde Frauen. Die Behandlung mit DMDs in den zwei Jahren vor der Schwangerschaft verringert das Risiko eines Schubs nach der Geburt um 45 %. «Eine MS an sich schliesst eine Schwangerschaft nicht aus. Es ist allerdings sehr wichtig, jeden Schritt mit dem Neurologen im Voraus zu planen. Auch psychologisch ist es hilfreich, einen Plan zu haben, um sich der Angst vor dem Unbekannten zu stellen», schloss die Expertin.

DMDs in der Schwangerschaft

Behandeln = Risiken für das Baby

  • Verlust des Fetus/Abnormalitäten
  • vorzeitige Geburt
  • Geburtsgewicht/Grösse vermindert
  • zukünftige Entwicklung (?)

Nicht Behandeln = Risiken für die Mutter

  • Krankheitsreaktivierung
  • Progredienz der Behinderung

Quelle: Leocani L.etizia. Pregnancy in Multiple Sclerosis. EAN (European Association of Neurolgy) virtual congress, 24 May 2020.