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19. Okt. 2016Medical Tribune bringt Fortbildung online in Ihre Praxis

Was bringt die überaktive Blase zur Ruhe?

«Hinter dem Krankheitsbild Reizblase verbirgt sich eine heterogene Entität mit oft unklarer Ursache», führte Professor Dr. Annette Kuhn, Bern, anlässlich einer von Astellas und Unimedtec unterstützten Webkonferenz der Medical Tribune aus. Die Behandlung ist deshalb meist symptomatisch ausgerichtet. Für die medikamentöse Therapie stehen Anticholinergika und mit Mirabegron auch ein Beta-3-Adrenorezeptor-Agonist zur Verfügung.

Eine überaktive Blase wird gelegentlich «nur als eine Störung des Befindens» abgetan. Zu Unrecht, betonte Prof. Kuhn. Denn die Folgen – gestörter Schlaf, Hautprobleme, emotionale Belastung – setzen die Lebensqualität stark herab.

Ein wichtiger Bestandteil in der Abklärung ist neben der Anamnese das Miktionstagebuch. «Dieses gibt Aufschluss über das Trink- und Miktionsvolumen und Einblick, wie sich die Probleme im Alltag der Patientin konkret äussern», sagte die Gynäkologin. Die Initialdiagnostik umfasst Urinstatus und Urikult, eine Restharnbestimmung und eine körperliche Untersuchung. Bei neurologischen Patientinnen und Frauen mit rezidivierenden Harnwegsinfekten, einer Senkung oder Hämaturie sind rasch auch invasive Untersuchungen wie eine Urodynamik und Zystoskopie indiziert.

Die Basisbehandlung umfasst meist eine Kombination aus Blasentraining, Physiotherapie und Pharmakotherapie. Bei den Medikamenten spielen – trotz ihrer Nebenwirkungen und Interaktionen – die Anticholinergika eine wichtige Rolle. «Zur Verfügung stehen verschiedene Präparate, doch nicht alle sind gleich», betonte die Referentin. Mit Blick auf die zerebrale Sicherheit verwendet sie etwa bei älteren Menschen keine Ditropan-Präparate, bei Patientinnen mit starker Obstipation kein Darifenacin. Eine gute Wahl bei eingeschränkter Leberfunktion ist Trospiumchlorid, da die Substanz unverändert renal ausgeschieden wird.

Sympatikusaktivierung entspannt Blase

Mit Mirabegron ist seit einiger Zeit eine neue Medikamentenklasse zur Behandlung der hyperaktiven Blase zugelassen. «Anders als die Anticholinergika, die den Parasympathikus hemmen, aktiviert der Beta-3-Adrenorezeptor-Agnonist den Sympathikus, was in der Blase zu einer Relaxation des Detrusormuskels führt», erläuterte die Expertin. Mirabegron ist hinsichtlich Wirksamkeit vergleichbar mit den Anticholinergika, aber besser verträglich. Die Kombination beider Substanzen hat eine additive Wirkung. «Sie ist eine gute Option bei Patientinnen, bei denen sich die Beschwerden unter einem Anticholinergikum etwas, aber nicht genügend bessern», so Prof. Kuhn. Eine Monotherapie mit Mirabegron ist bei allen Patientinnen angezeigt, bei denen Anticholinergika kontraindiziert sind, etwa bei einem Glaukom oder starker Verstopfung, sowie bei Parkinson- und Demenzkranken.

Prof. Kuhn empfahl, die Therapie mit Mirabegron mit einer tiefen Dosis zu starten und bei Bedarf zu erhöhen. Eine Beschränkung der Behandlungsdauer besteht nicht, sinnvoll ist jedoch ein Auslassversuch nach zwölf Wochen. «Wichtig ist, den Patientinnen zu vermitteln, dass sich das Reizblasenproblem unter der Therapie nicht ganz eliminieren lässt», führte Prof. Kuhn aus. Mit einer Mono- oder Kombitherapie mit Mirabegron müssen die Patientinnen pro Tag ein- bis zweimal weniger häufig Wasserlösen und haben drei bis fünf Drangepisoden weniger.

Für Reizblasen-Patientinnen mit einer vulvovaginalen Atrophie empfiehlt Prof. Kuhn eine lokale Östrogentherapie. Alternativ stehen zudem pflanzliche Therapeutika zur Verfügung. Auch Yoga, Hypnose und Akupunktur haben einen Platz. Bei neurologischen Erkrankungen oder wenn die anderen Massnahmen nicht den gewünschten Erfolg bringen, steht mit der Injektion von Botulinumtoxin in die Harnblase eine wirksame, aber teure Therapieoption zur Verfügung.