Medical Tribune
28. März 2025Ursache für lebensbedrohliches Inflammationssyndrom möglicherweise entschlüsselt

MIS-C nach Covid-19: Heisst der Schuldige EBV?

Das Multisystem Inflammatory Syndrome in Children (MIS-C) ist eine seltene, aber schwere und potenziell lebensbedrohliche entzündliche Erkrankung, die nach einer Covid-19-Infektion bei Kindern auftreten kann. Einer neuen Studie zufolge könnte eine Reaktivierung des Epstein-Barr-Virus (EBV) durch SARS-CoV-2 verantwortlich sein – ein Zusammenspiel von Viren, das bereits im Zusammenhang mit Long Covi bekannt ist.

Bei einem grossen Teil der Kinder mit MIS-C konnte eine EBV-Reaktivierung nachgewiesen werden.
Anna Ritter/stock.adobe.com

Eine Coronainfektion bei Kindern verläuft meist mit wenigen und milden Symptomen. In seltenen Fällen können allerdings Komplikationen auftreten, darunter das schwere Multiinflammationssyndrom MIS-C (auch Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome, PIMS). Bislang war die genaue Ursache für MIS-C unbekannt.

Deutsche Forscher haben nun Indizien für eine mögliche Erklärung gefunden, und ihre Ergebnisse in einer neuen Nature-Publikation vorgestellt (1).  Sie konnten zeigen, dass bei Kindern mit MIS-C nicht nur Spuren des Epstein-Barr-Virus (EBV) vorlagen, sondern auch Hinweise auf eine überschiessende EBV-Immunreaktion.

MIS-C nach Covid-19

MIS-C/PIMS ist eine gefürchtete Komplikation von SARS-CoV-2. Es kann bei Kindern und Jugendlichen mit einer Latenz von vier bis acht Wochen nach Coronainfektion auftreten. Besonders häufig betroffen sind dabei Kinder im Grundschulalter (ca. 6-12 Jahre), darunter etwas mehr Jungen als Mädchen.

MIS-C äussert sich unter anderem durch Fieberschübe, Exantheme und eine kardiovaskuläre Beteiligung bis hin zur Herzinsuffizienz, Myokarditis und Perikarditis. Rund die Hälfte der Patienten muss auf der Intensivstation behandelt werden. Ziel ist es, ein Organversagen zu verhindern. Meist erfolgt eine anti-entzündliche Behandlung, beispielsweise mit Steroiden.

Schätzungen zufolge entwickelte etwa eines von 800 Kindern nach Infektion mit dem Ursprungs-Covid-19-Virus ein MIS-C. Seit Zirkulation der Omicron-Varianten, die seit dem Jahr 2021 dominant sind, ist das MIS-C-Risiko deutlich geringer. Es tritt bei etwa einem von 4.000 Kindern auf.

Je nach Alter des betroffenen Kindes unterscheidet sich das klinische Bild des MIS-C. Während es bei Babys und jüngeren Kindern dem Kawasaki-Syndrom ähnelt, zeigen ältere Kinder eher Symptome des Toxic-Shock-Syndroms (TSS).

EBV und Covid

Das Epstein-Barr-Virus gehört zur Familie der Herpesviren und äussert sich bei einer Erstinfektion häufig als Mononukleose (Pfeiffersches Drüsenfieber). Einmal infiziert, verbleibt das Virus lebenslang im Körper und kann unter bestimmten Bedingungen reaktiviert werden. Die Seroprävalenz für EBV liegt weltweit bei etwa 95 Prozent der Erwachsenen – die meisten Menschen machen bereits in der Kindheit eine EBV-Infektion durch.

Der Zusammenhang zwischen EBV und Covid-19 ist Forschern bereits gut bekannt. So legen mehrere Studien nahe, dass langfristige Beeinträchtigungen, wie Fatigue nach einer SARS-CoV-2-Infektion, mit einer EBV-Reaktivierung assoziiert sein könnten.

Eine aktuelle Forschungsarbeit (2) wies ausserdem zirkulierende EBV-Antikörper und eine Daueraktivierung des Komplementsystems in Long-Covid-Patienten nach. Zudem gibt es Hinweise auf eine Verbindung zwischen EBV und Autoimmunerkrankungen wie dem systemischen Lupus erythematodes und der Multiplen Sklerose.

MIS-C-Kinder bekämpfen EBV mit stumpfen Waffen

Das Forscherteam um Prof. Dr. Tillmann Kallinich vom Deutschen Rheumaforschungszentrum (DRFZ) untersuchte insgesamt 145 Kinder zwischen zwei bis 18 Jahren, die in fünf europäischen Zentren behandelt wurden. Sie fanden im Blut der MIS-C-Patienten Spuren einer EBV-Reaktivierung sowie hohe Konzentrationen an Anti-EBV-Antikörpern und EBV-spezifischen Immunzellen. 105 Kinder mit Covid-19-Infektion aber ohne MIS-C zeigten hingegen eine niedrigere Seroprävalenz von EBV sowie das Fehlen von EBV-spezifischen Entzündungszeichen. Das deutet laut den Forschern darauf hin, dass das Immunsystem der betroffenen Kinder aktiv versucht, das Virus zu beseitigen.

Gleichzeitig wies das Serum der erkrankten Kinder unüblich hohe Spiegel des Transforming Growth Factor Beta (TGF-beta) auf. Der Entzündungsmediator ist für seine antiinflammatorische Wirkung bekannt; im Fall der untersuchten Kinder dämpfte er unter anderem die Funktion von virusspezifischen Memory-T-Zellen. Beim MIS-C vereitelt TGF-beta laut den Forschern möglicherweise die Beseitigung von EBV und zieht den Kampf gegen das Herpesvirus in die Länge.

Hintergrund des MIS-C könnte also neben der EBV-Infektion eine fehlgeleitete Reaktion des Immunsystems auf die SARS-CoV-2-Infektion mit Überproduktion von TGF-beta sein. Die Forscher hoffen nun, dass die Blockade von TGF-beta ein neues Angriffsziel zur Therapie des MIS-C sein könnte.