Rückenschmerzen beim Kind – wann es den Spezialisten braucht
Rückenschmerzen sind bei Kindern und Jugendlichen häufig. Mit der Pubertät können sie exponentiell zunehmen. Wie sie abgeklärt, behandelt und wann ein Spezialist beigezogen werden sollte, erklärte der Kinderorthopäde PD Dr. Daniel Studer, Teamleiter Wirbelsäule am Kinderspital in Basel, in einem Vortrag am FomF Pädiatrie Update Refresher.
Mit Beginn der Pubertät kommt es zu einem Wachstumsschub. Die Kinder wachsen aber nicht am ganzen Körper gleich schnell. Unmittelbar vor der Pubertät beobachtet man ein akzeleriertes Wachstum der Extremitäten und in den letzten zwei Drittel der Pubertät der Wirbelsäule.
«In dieser sind die Wachstumszonen mechanisch anfälliger, was die Pubertät für die Wirbelsäule zu einer vulnerablen Phase macht», erklärte PD Dr. Studer.
Trainingsintensität den Wachstumsphasen anpassen
Bei Mädchen liegt der Wachstumspeak der Wirbelsäule kurz vor der ersten Regelblutung. In dieser Zeit zeigen Wachstumsstörungen, wie bestehende idiopathischen Skoliosen, oft eine deutliche Intensivierung. Abgeschlossen ist das relevante Wirbelsäulenwachstum ungefähr zwei Jahre nach der Menarche. Bei den Knaben gibt es dazu keine guten Referenzwerte.
Während des Wachstums befindet sich der Körper idealerweise in einem biologischen Gleichgewicht und kann sich an intrinsische (z.B. Anzahl der Muskelfasern, Qualität der Bandscheiben, Ligamente und Sehnen) und extrinsische Einflüsse (z.B. Ausmass und Art der sportlichen Aktivitäten), sowie die altersabhängigen biomechanischen Veränderungen anpassen.
«Ab einem Trainingsvolumen von mehr als sechs Stunden pro Woche steigt die Wahrscheinlichkeit für Überlastungsschäden und Rückenschmerzen um etwa das Zweieinhalbfache an», so Dr. Studer. Genauso sind kein Sport, Schmerzen an anderer Lokalisation als am Rücken (z.B. Bauch- oder Kopfschmerzen) sowie eine positive Familienanamnese für Schmerzerkrankungen weitere Risikofaktoren.
Rückenschmerzen sind nicht gleich Rückenschmerzen
In der Praxis wird zunächst ursächlich zwischen spezifischen und unspezifischen sowie chronologisch zwischen akuten und chronischen Schmerzen (ab drei Monaten Dauer) unterschieden. «Unspezifische, meist muskulär bedingte Rückenschmerzen sind weitaus am häufigsten. Die meisten Kinder haben deshalb keine relevanten Einschränkungen und brauchen keine Analgetika», so PD Dr. Studer. Können sie wegen der Beschwerden keinen Sport treiben oder sogar nicht zur Schule gehen, sind dies Warnzeichen und sollten weiter abgeklärt werden.
«Schmerz lässt sich nicht objektivieren und ist somit immer ein subjektives Kriterium», sagte PD Dr. Studer. Die Anamnese spielt deshalb bei der Abklärung eine Schlüsselrolle. «Mit ihr lassen sich bereits viele Differenzialdiagnosen sortieren, um danach gezielter die Untersuchung und Diagnostik lenken zu können», so der Referent.
Hinter akuten Schmerzen verbirgt sich oft ein Trauma, eine Diskopathie oder eine Spondylolyse, hinter chronischen Beschwerden Wachstumsstörungen, ein Morbus Scheuermann oder auch psychologische Probleme.
Treten die Schmerzen bei Beugung auf, ist dies ein möglicher Hinweis auf eine mögliche Diskopathie, bei Beschwerden in der Überstreckung auf eine Spondylolyse oder -olisthese. Wacht das Kind aufgrund von Schmerzen nachts öfters auf, lässt dies auf stoffwechselaktive Prozesse (z.B. Tumor, Infektion/Entzündung) schliessen.
Untersuchung in Unterwäsche
«Immer abgefragt werden müssen die Red Flags», so der Kinderorthopäde. Dazu gehören
- Nacht- und ausstrahlende Schmerzen,
- Funktionsverlust,
- Schul-/Sportabsenzen,
- Fieber,
- schlechter Allgemeinzustand sowie
- chronische Beschwerden.
Die klinische Untersuchung sollte laut PD Dr. Studer in Unterwäsche bekleidet erfolgen und dynamisch beginnen (normal Hin-und-Her-Gehen, auf den Fersen gehen, breit- und einbeiniges Hüpfen).
Anschliessend sollte die Beweglichkeit der Wirbelsäule getestet (Inklination, Reklination, Seitenneigung) und eine kurze neurologische Untersuchung hinsichtlich Kraft und Reflexe (inklusive Bauchreflexe) durchgeführt werden.
Chronifizierung von Rückenschmerzen vermeiden
Der mit Abstand häufigste Grund für Rückenbeschwerden im Kindes- und Jugendalter sind nichtspezifische Rückenschmerzen. «Sie treten typischerweise paravertebral thorakolumbal/lumbal oder an wechselnden Lokalisationen auf sowie bei monotonen Belastungen, wie langem Sitzen oder Stehen», erklärte der Referent.
Diesen Kindern mangelt es oft an Bewegung und sie zeigen oft eine ungenügend trainierte Rumpfmuskulatur. Ihr Allgemeinzustand ist gut, sie haben keine Begleiterkrankungen, Red Flags in der Anamnese fehlen.
Sie nehmen keine oder nur selten ein Schmerzmittel ein und die klinische Untersuchung ergibt keine Auffälligkeit. In dieser Situation braucht es in der Regel keine weitere Diagnostik. «Die Kinder sollten sich mehr bewegen.
Manchmal ist eine Physiotherapie zur Vermittlung gezielter Übungen zur Förderung der Rumpf- und Rückenmuskulatur gerechtfertigt», so der Experte. Kommt es innert zwei bis drei Monate zu keiner Besserung, sollte das Kind sicherheitshalber und um eine Chronifizierung zu vermeiden orthopädisch untersucht werden.
Bei Verdacht auf spezifische Rückenschmerzen und/oder dem Vorliegen von Red Flags ist eine fachärztliche Beurteilung, vorzugsweise bei einem Kinderorthopäden, sinnvoll, gerade bei jüngeren Kindern, denn «Je jünger das Kind, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein morphologisches Korrelat finden lässt, das die Rückenschmerzen erklärt, und umso mehr sollte die Diagnostik vorangetrieben werden», erklärte PD Dr. Studer.