Medical Tribune
31. März 2020Reizdarmbeschwerden durch Bakterienflut

Überbevölkerung im Dünndarm

Blähungen, Ob­stipation und Bauchkrämpfe: Das klingt erst mal nach einem Reizdarmsyndrom. Bei solchen Beschwerden kann sich jedoch ein Atemgastest lohnen. Fällt dieser positiv aus, ist eine Antibiotika-Therapie angesagt.

Darmzotten. Kleine fingerartige Vorsprünge, die sich in das Lumen des Dünndarms erstrecken. Darmbakterien, Flora, Mikrobiom. 3D-Darstellung.
iStock/ChrisChrisW

Im gesunden Dünndarm finden sich in der Regel deutlich weniger Bakterien als im Kolon. Diese natürliche Balance kann durch bakterielle Überwucherung und Fehlbesiedlung des Dünndarms (Small Intestinal Bacterial Overgrowth, SIBO) gestört werden und zu gastrointestinalen Beschwerden führen. Da die unspezifischen Symptome jedoch denen anderer Erkrankungen wie beispielsweise dem Reizdarmsyndrom gleichen, ist eine Abgrenzung oftmals schwierig. Die Therapie erfolgte bisher eher empirisch. Nun hat das American College of Gastroenterology (ACG) eine evidenzbasierte Leitlinie mit Empfehlungen zur Dia­gnostik und Therapie des SIBO im klinischen Alltag veröffentlicht.

Günstig, nichtinvasiv und einfach anzuwenden

SIBO wird definiert als klinisches Syndrom gastrointestinaler Beschwerden, das durch eine exzessive und messbare bakterielle Überbesiedlung des Dünndarms (≥ 103 KBE/ml) hervorgerufen wird. Meist handelt es sich bei den Bakterien um gasbildende gramnegative aerobe sowie anaerobe Stämme, die eine Malabsorption der Nahrung, eine erhöhte intestinale Permeabilität, Entzündungen sowie eine Aktivierung des Immunsystems verursachen. Mehr als zwei Drittel der Betroffenen klagen über Blähungen, Übelkeit, Krämpfe, Obstipation, Schmerzen oder Durchfall. In seltenen Fällen (z.B. im Rahmen eines Blind-loop-Syndroms) kann es zu Steatorrhö, Gewichtsverlust, Anämie, einem Mangel an fettlöslichen Vitaminen oder einer Entzündung der Dünndarmschleimhaut kommen.

Diagnostik

Mittels Atemgastest lassen sich bakteriell produzierter Wasserstoff und/oder Methan detektieren. Die Untersuchung ist günstig, nichtinvasiv und einfach in der Anwendung. Um möglichst aussagekräftige Testergebnisse erzielen zu können, sollten Patienten folgende Punkte beachten:

  • Antibiotika vier Wochen vorher absetzen
  • Laxanzien eine Woche vorher absetzen
  • 24 Stunden vor Messung des Basalwerts auf fermentierbare Nahrungsmittel verzichten
  • acht bis zwölf Stunden vor der Untersuchung nichts mehr essen
  • während der Dauer des Tests Rauchen und körperliche Anstrengung vermeiden

Als einheitliche Dosis nimmt der Patient 75 g Glukose oder 10 g Laktulose zusammen mit einem Glas Wasser (ca. 250 ml) ein.
Ein Anstieg der Wasserstoff-Konzentration auf ≥ 20 ppm innerhalb von 90–120 Minuten wird als positiv gewertet. Für eine methanogene Fehlbesiedlung spricht eine Methan-Konzentration von ≥ 10 ppm an einem beliebigen Zeitpunkt der Testung. Meistens findet sich dann Methanobrevibacter­ smithii. Dieser gehört zu der Domäne der Archaea und damit strenggenommen nicht zu den Bakterien, weshalb das Expertengremium um Professor Dr. Mark­ Pimentel­ vom Cedars-Sinai Medical Center in Los Angeles statt SIBO den Terminus IMO (intestinal methanogen overgrowth) vorschlägt. Eine Testung auf IMO ist vor allem bei Patienten mit Verstopfung sinnvoll.

Die Leitlinien-Autoren empfehlen Atemtests bei Patienten mit:

  • Reizdarmsyndrom (einer Meta­analyse zufolge leiden bis zu 78 % der Patienten unter SIBO)
  • Verdacht auf Motilitätsstörung und entsprechenden Symptomen
  • entsprechenden Symptomen nach bauchchirurgischen Eingriffen

Nicht sinnvoll sind sie bei asymptomatischen Patienten, die Protonenpumpen-Hemmer einnehmen.
Weder Probiotika noch Diäten zu empfehlen
Eine weitere diagnostische Methode ist die endoskopische Gewinnung von Aspirat aus dem Dünndarm. Sie gilt als diagnostischer Goldstandard, ist allerdings zeitaufwendiger, teurer und stellt für den Patienten eine deutlich grössere Belastung dar. Vor allem bei persistierender Symptomatik ist oftmals eine Kombination mehrerer Testverfahren sinnvoll.

Therapie

Zur Eradikation bzw. Reduktion der Darmüberwucherung sowie der Beschwerden werden symptomatische Patienten mit Antibiotika behandelt. Die Therapie sollte Aerobier und Anaerobier abdecken (s. Kasten). Patienten mit einem positiven Atemgastest sollten diesen nach Behandlungsende wiederholen. Um wiederholte Antibiotika-Gaben zu vermeiden, empfiehlt es sich, präventiv tätig zu werden. Dazu gehört, zugrunde liegende Erkrankungen wie Diabetes oder Pankreasinsuffizienz optimal zu behandeln. Aufgrund der unzureichenden Datenlage können derzeit weder spezifische Probiotika noch bestimmte Diäten (z.B. FODMAP) oder ein fäkaler Mikrobiota-Transfer zur Therapie empfohlen werden.

Empfohlene Antibiotika bei bakterieller Überwucherung

  • Rifaximin 550 mg 3 x tgl.
  • Amoxicillin-Clavulansäure 875 mg 2 x tgl.
  • Ciprofloxacin 500 mg 2 x tgl.
  • Doxycyclin 100 mg 1–2 x tgl.
  • Metronidazol 250 mg 3 x tgl.
  • Neomycin 500 mg 2 x tgl.
  • Norfloxacin 400 mg 1 x tgl.
  • Tetracyclin 250 mg 4 x tgl.
  • Trimethoprim-Sulfamethoxazol 160 mg / 800 mg 2 x tgl.

Pimentel M et al.
Am J Gastroenterol 2020; 115: 165–178.