Studien nicht um jeden Preis!
Nicht immer führen grosse randomisiert-kontrollierte Studien zu neuen und klinisch relevanten Erkenntnissen. Anlässlich des 32. Deutschen Krebskongresses in Berlin sparte Professor Dr. Michael Untch bezüglich einiger Studien zum Mammakarzinom weder an Kritik noch Selbstkritik.
Immer wieder gibt es Studien, deren Fragestellung klinisch keine Relevanz hat oder bei denen keine praxisrelevanten Ergebnisse zu erwarten sind, betonte Prof. Untch, Helios Klinikum Berlin-Buch.
So sei die Studie IBIS-II mit dem Vergleich der Sekundärprävention beim duktalen Carcinoma in situ – zunehmend häufig entdeckt durch das Mammografie-Screening – mit adjuvantem Anastrozol oder Tamoxifen über fünf Jahre «überflüssig wie ein Kropf» gewesen. Tamoxifen gebe im klinischen Alltag in dieser Situation niemand und Anastrozol auch kaum. «Das kostet viel Geld, macht einen Haufen Nebenwirkungen, hat keinerlei klinische Relevanz und am Ende bleibt von der Studie nur eine hochrangige Publikation», war sein bewusst provozierendes Fazit.
In einer Phase-III-Studie1 mit 4000 Patientinnen wurde die adjuvante Therapie des nodal-positiven bzw. nodal-negativen Mammakarzinoms mit hohem Risiko mit Doxorubicin und Cyclophosphamid gefolgt von Paclitaxel mit und ohne Bevacizumab untersucht. «Fünf Jahre und 40 Millionen Dollar später haben wir gelernt: Es bringt gar nichts», ist hier Prof. Untchs Fazit.
Dabei hätte man aus einer früheren, 400 Patienten umfassenden Studie bereits klüger sein können2: Dort erhöhte Bevacizumab das Ansprechen auf eine neoadjuvante Therapie bei den basal-like tripelnegativen Mammakarzinomen, bei anderen tripelnegativen Mammakarzinomen war das Ansprechen aber sogar schlechter als ohne, was insgesamt zu einem negativen Studienergebnis führte.
Hätte man die Patientinnen mit tripelnegativem Mammakarzinom entsprechend stratifiziert, wäre das Ergebnis der Phase-III-Studie möglicherweise doch positiv ausgefallen. «Das forschende Pharmaunternehmen wird aber wohl nicht noch einmal 40, 50 Millionen in die Hand nehmen. Damit haben wir eine Chance verpasst», meinte der Kollege.
Auch in anderen Studien wurde Patientinnen möglicherweise eine wirksame Therapie vorenthalten, weil vorab nicht korrekt stratifiziert worden war. Die ALTTO-Studie mit 8000 Patientinnen mit HER2-positivem Mammakarzinom zeigte, dass der Standard Trastuzumab nach Abschluss der Chemotherapie nicht getoppt werden kann. Ergebnisse einer kleinen Studie3 mit 305 Patientinnen weisen allerdings darauf hin, wie man es auch hier hätte besser machen können, erläuterte Prof. Untch: Bei der Untersuchung der Untergruppen Claudin low/HER2-enriched, Luminal A und Luminal B zeigte sich einerseits, dass es ein Fehler ist, Lapatinib als Monotherapie zu geben. Auf der anderen Seite sprachen HER2-enriched Mammakarzinome aber deutlich stärker auf eine neoadjuvante Kombination von Chemotherapie und HER2-gerichteter Therapie an als Luminal-A- und -B-Tumoren. «Ich will nicht behaupten, dass das ein Survivalbenefit ist, aber das wäre doch zu untersuchen», forderte der Referent.
Völlig überflüssig hält er die Studie F.A.C.E., in der Letrozol und Anastrozol als adjuvante Therapie des postmenopausalen HR- und nodal-positiven Mammakarzinoms verglichen wurden. 4000 Patienten nahmen teil, die Kosten bezifferte Prof. Untch auf 50 Millionen Euro. «Kein Mensch hat geglaubt, dass es einen Unterschied zwischen den Aromatasehemmern gibt, warum macht man eine solche Studie?», klagte Prof. Untch. «Und dann landet sie nach zehn Jahren da, wo sie hingehört: in der Posterecke in San Antonio. Zu Recht: Diese Studie hat nichts, aber auch gar nichts an Erkenntnissen gebracht.»
Umgekehrt gibt es Evidenz aus klinischen Studien, die im Praxisalltag nicht umgesetzt wird. «Die meiste Zeit, die eine Mammakarzinom- Patientin im Rahmen der Behandlung aufbringen muss, verbringt sie auf dem Weg zu und von der adjuvanten Strahlentherapie », sagte Prof. Untch und stellte fest, dass die Wege, um dies zu verkürzen, mit intraoperativer, Booster- oder hypofraktionierter Bestrahlung da und evidenzbasiert seien. Dass dies im klinischen Alltag nicht umgesetzt werde, habe schlicht pekuniäre Gründe: Die Strahlentherapie werde nicht als Paket, sondern nach der Anzahl der Sitzungen bezahlt. «Es wird Zeit, dass wir umdenken», forderte der Referent. «Wir können und müssen aus Fehlern lernen!»
1. Miller K et al. J Clin Oncol 2014; 32: (Suppl) Abstract 500
2. Sikov WM et al. San Antonio Breast Cancer Conference December 2015; Abstract S4-05.
3. Carey LA et al. J Clin Oncol 2014; 32: (Suppl) Abstract 506.
32. Deutscher Krebskongress, Berlin